Edgar Wallace

Der Doppelgänger


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machte keinen Versuch, sich zu erheben.

      »Wann werde ich Sie wiedersehen, Gordon? Das Leben ist so leer und öde ohne Sie. Hat denn Diana ein Monopol auf Sie? Die Leute würden uns beide nicht verstehen. Ich liebe Sie nicht, und Sie lieben mich nicht; wenn Sie dächten, daß ich Sie etwa liebte, würden Sie mich nicht wiedersehen wollen.« Sie lachte ruhig vor sich hin. »Es ist nur Ihre Seele und Ihr Geist« – sie sprach sehr leise – »nur das vollkommene Verstehen, das uns eint. Liebe oder Ehe bringen das nicht zustande.«

      »Es ist wundervoll«, sagte er und nickte. »Nein, die böse Welt würde uns nie verstehen.«

      »Ich sehne mich so sehr nach dem einen Tag.« Sie schaute zu dem Fluß hinüber. »Aber ich wage nicht zu hoffen, daß er jemals kommen wird, dieser Tag meiner Träume.«

      Auch Gordon Selsbury glaubte nicht daran und hatte schon den ganzen Nachmittag darüber nachgedacht, wie er ihr seine Zweifel sagen könne.

      »Ich habe mir den Plan unserer Reise nach Ostende genau überlegt, Heloise. Es würde natürlich etwas Wunderbares sein, wenn wir einander den ganzen Tag sehen könnten und miteinander, wenn auch nicht unter demselben Dach, so doch in derselben Umgebung, leben könnten. Die ungestörte Verbindung unserer Seelen – das ist ein zu glücklicher Gedanke. Aber glauben Sie, daß es klug ist, nach Ostende zu gehen? Ich spreche natürlich von Ihrem Standpunkt aus, denn Skandal und Klatsch berühren einen Mann kaum.«

      Sie wandte ihm ihre sehnsüchtig strahlenden Augen zu.

      »Was könnten uns die Leute anhaben? Was wollen sie denn von uns sagen? Lassen Sie sie doch klatschen!« sagte sie verächtlich. Er schüttelte den Kopf.

      »Ihr Ruf ist mir heilig«, erwiderte er bewegt. »Er ist mir teuer und kostbar und darf nicht irgendwie in den Schmutz getreten werden. Die Saison in Ostende ist zwar vorüber, die meisten Hotels sind geschlossen, und viele Kurgäste sind abgefahren, aber trotzdem besteht die Möglichkeit – allerdings nur die Möglichkeit, daß wir einen Bekannten treffen, der womöglich gleich das Schlimmste über unsere unschuldige Seelenfreundschaft dächte. Es ist außerordentlich gefährlich.«

      Sie lachte hart, als er sich erhob.

      »Ich sehe, daß Sie sich doch innerlich noch nicht befreien können, Gordon. Es war ein verrückter Gedanke, wir wollen nicht mehr darüber sprechen. Es tut mir weh.« Er zahlte schweigend, und schweigend folgte er ihr zu seinem Auto. Er war etwas gekränkt. Niemand hatte ihm bis jetzt gesagt, daß er innerlich gebunden sei.

      »Wir werden nach Ostende fahren. Ich werde Sie treffen, wie wir es schon seit langem verabredet haben«, sagte er, als sie halbwegs zum Richmond-Park gefahren waren.

      Sie antwortete ihm nicht, aber sie drückte seinen Arm innig.

      Sie saßen schweigend nebeneinander und träumten.

      »Es liegt etwas Unendliches in unserer Freundschaft. Ach, Gordon, es ist doch zu wundervoll ...«

      Diana las ein Magazin im Studierzimmer, als Gordon eintrat. Sie ließ das Heft sofort sinken und sprang von ihrem Stuhl auf. Wenn sie las, saß sie an seinem Schreibtisch, der sich gewöhnlich bei seiner Rückkehr abends in einem chaotischen Zustand befand, obwohl er ihn morgens nett und ordentlich zurückgelassen hatte.

      »Das Essen ist schon lange fertig«, sagte sie kurz. »Du kommst verteufelt spät, mein lieber Gord.«

      Mr. Selsbury fühlte sich bedrückt.

      »Ich wünschte, du würdest mich nicht Gord nennen, Diana«, sagte er vorwurfsvoll. »Es klingt – es klingt fast wie Hohn.«

      »Aber es paßt doch so gut zu dir. Du weißt gar nicht, wie dir dieser Name steht.«

      Gordon zuckte die Schultern.

      »Jedenfalls nimmt eine Dame nicht das Wort ›verteufelt‹ in den Mund.«

      »Wo bist du eigentlich gewesen?« fragte sie mit herausfordernder Offenheit, die ihr besonders eigen war.

      »Ich bin aufgehalten worden –«

      »Aber doch nicht in deinem Büro«, erwiderte Diana prompt, als sie sich zu Tisch setzten. »Seit dem Mittagessen bist du nicht dort gewesen.« Mr. Selsbury sah verzweifelt zur Decke.

      »Ich bin in einer reinen Privatsache aufgehalten worden«, sagte er steif.

      »Aha!« Diana schien von seinen Worten in keiner Weise beeindruckt zu sein. Sie hatte, wie sie selbst sagte, das Alter längst hinter sich, in dem man sich durch andere Leute imponieren läßt.

      Gordon hatte sich eingestanden, daß sie sehr hübsch sei: In gewisser Weise war sie sogar eine Schönheit. Sie hatte tiefe, graublaue Augen und eine seidenweiche Haut. Auch gab er zu, daß ihre Figur sehr anmutig und graziös war. Wenn sie älter oder jünger gewesen wäre – wenn sie keinen Bubikopf trüge, wenn sie ein wenig mehr Respekt vor wahrer Bildung und Kenntnissen hätte, wenn sie die Gedankenarbeit mehr schätzte und wenn sie weniger selbstsicher wäre!

      Er trat nachdenklich ans Fenster und schaute in die Dunkelheit. Diana war für ihn ein ungelöstes Problem.

      Der Butler erschien in diesem Augenblick im Zimmer.

      »Trenter!«

      »Jawohl, Sir?«

      »Sehen Sie den Herrn dort auf der anderen Seite der Straße den Mann mit dem roten Gesicht?«

      Es war wieder der Fremde, der am Nachmittag an ihnen vorbeigefahren war. Gordon hatte ihn sofort wiedererkannt.

      »Ich habe ihn heute schon einmal gesehen – es ist ein merkwürdiges Zusammentreffen.«

      »Das ist Mr. Julius Superbus.«

      Gordon schaute Trenter erstaunt an.

      »Julius Superbus – was zum Teufel wollen Sie denn damit sagen?«

      »Welch eine Sprache in Gegenwart einer Dame«, tönte eine Stimme aus dem Hintergrund. Das sah Diana wieder ganz ähnlich.

      »Was meinen Sie denn – das ist doch ein lateinischer Name.«

      Trenter lächelte verschmitzt.

      »Jawohl, Sir, Mr. Superbus ist ein Römer, der letzte Römer in England. Er stammt aus dem Ort Caesaromagnus, das ist ein kleines Dorf bei Cambridge. Ich bin dort in der Nähe in Stellung gewesen, daher weiß ich das.«

      Gordon runzelte die Stirn.

      Welch ein merkwürdiger Zufall führte ihm diesen seltsamen Menschen zweimal am Tage in den Weg – einmal in Hampton, wo er mit größter Anstrengung in einem Boot an ihm vorbeiruderte, und dann in Cheynel Gardens, wo er scheinbar in den Anblick eines Laternenpfahls versunken war?

      »Was ist er denn – ich meine von Beruf?«

      »Detektiv, Sir«, sagte Trenter.

      Gordon wurde plötzlich blaß.

      6

      Meistens vergaß Gordon, daß vor dem Namen der angebeteten Heloise van Oynne das kleine Wörtchen Mrs. stand. Er war zu diskret veranlagt, um auch nur auf indirekte Weise festzustellen, wie ihre Ehe beschaffen war. Er stellte sich Mr. van Oynne als einen großen, phantasielosen und brutalen Geschäftsmann ohne Seele vor, und er ahnte den Kampf zwischen dieser feinsinnigen Frau und diesem materiellen, rücksichtslosen Mann: Ärger und verhaltene Wut oder vollständige Interessenlosigkeit auf seiner Seite, resigniertes Leiden und stete Unruhe auf ihrer Seite, bis sie der anderen Hälfte ihres geistigen Wesens begegnete. Und das war eben Gordon.

      Er schaute wieder aus dem Fenster.

      Mr. Julius Superbus hatte einen Tabakbeutel aus Wildleder aus der Tasche gezogen und war gerade damit beschäftigt, seine kurze schwarze Pfeife zu stopfen. Er schien ein Mann zu sein, der selbst die gemeinsten Methoden anwandte, um zu seinem Ziel zu kommen. Ein gewöhnlicher, brutaler Mensch, der sich nichts dabei dachte, seinem Auftraggeber Berichte zu schicken, die eine Frau mit einer feinen, ästhetischen Seele