Edgar Wallace

Die seltsame Gräfin


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du meinst Mr. Dorn – nein, das hat mich nicht im mindesten aufgeregt, es war wirklich eine sehr ruhige Aussprache.«

      »Hast du ihm auch gesagt, was das für eine Frechheit von ihm war.«

      »Das schien er alles selbst zu wissen«, sagte Lois lächelnd.

      »Ich wette, daß er ganz verstört war und um Entschuldigung gebeten hat. Ist er vor dir auf die Knie gefallen?« Sie wollte alles ganz genau wissen, aber Lois schüttelte den Kopf.

      »Es ist nichts Aufsehenerregendes passiert. Er hat es ein wenig bereut, aber nur ein wenig. Ich bin erschrocken.«

      »Erschrocken?« fragte Lizzy entrüstet. »Weshalb denn? Jetzt werde ich aber einmal hingehen und ihm den Kopf waschen.«

      »Nein, das wirst du nicht tun – er wird uns nicht wieder beunruhigen«, sagte Lois schnell.

      »Aber was ist denn passiert? Hast du ihn nicht um Aufklärung gebeten?«

      »Ja, so etwas Ähnliches habe ich wohl getan.« Lois hätte das Thema gern gewechselt, aber Lizzy blieb hartnäckig dabei.

      »Wenn ihr richtig verlobt wärt und du krank wärst und wenn ihr euch außerdem gezankt hättet, dann würde ich ja nichts dabei finden, daß er gekommen ist«, begann Lizzy.

      »Wir sind aber nicht verlobt, weder öffentlich noch heimlich, ich bin gesund und habe mich auch nicht mit ihm gezankt – also war es nicht richtig. Aber er wird uns nicht mehr belästigen, Lizzy.«

      »Ich versuchte schon den ganzen Morgen, ein Wort mit dir zu sprechen, aber du bist ja ganz verstört und geistesabwesend herumgegangen. Da mußte ich doch annehmen, daß du ihm die Hölle heiß gemacht hast – entschuldige den Ausdruck – und daß es eine fürchterliche Szene gegeben hat. Aber ich dachte, du würdest mir wenigstens alles berichten, wenn wir zum Essen gingen.«

      Aber Lois war hart wie Stein, und die Mittagspause ging vorüber, ohne daß Lizzy etwas Genaueres über die Pläne ihrer Freundin erfahren hätte.

      Das einzige angenehme Resultat ihrer morgendlichen Unterredung mit Dorn war, daß sie weder an diesem noch am nächsten Tag etwas von ihm oder seinem langen, schwarzen Auto sah. Aber als die Tage vorübergingen, war ihr diese Erleichterung nicht so angenehm, wie sie gedacht hatte, und am Sonnabendnachmittag wünschte sie sogar, daß sie eine Entschuldigung hätte, um ihn wieder zu treffen. Was wußte er über ihre Mutter? Kannte er die Zusammenhänge schon lange und interessierte er sich deshalb so sehr für sie? Es schien unmöglich, daß er selbst auch nur entfernt an dem Fall beteiligt war. Ihrer Schätzung nach war er ungefähr dreißig Jahre alt, vielleicht auch jünger; er mußte ein Kind gewesen sein, als Mary Pinder vor Gericht stand.

      Lois kam plötzlich der Gedanke, daß sie eigentlich auch Pinder heißen müßte, aber das berührte sie kaum.

      Am Montagmorgen packte sie ihre beiden Koffer und brachte sie mit Lizzys Hilfe auf die Straße zu dem wartenden Auto. Ihre Freundin war dem Weinen nahe. Der alte Mackenzie hielt sich ängstlich im Hintergrund. Er verließ das Haus nur selten, seit Jahren lebte er hier in freiwilliger Gefangenschaft.

      »Warum steckt er seine Nase schon wieder heraus?« fragte Lizzy boshaft. »Wenn du fortgehst, spielt er sicher ›Martha, Martha, du entschwandest‹.«

      Aber ihre Prophezeiung erfüllte sich nicht, und Lois kam in das Palais am ehester Square, ohne irgendeinen der Unfälle erlebt zu haben, die Lizzy ihr düster vorausgesagt hatte.

      Ein livrierter Portier öffnete ihr die Tür. Man erwartete sie anscheinend, denn er führte sie die breite, mit dicken Läufern belegte Treppe hinauf in einen großen, luftigen Raum. Von hier aus hatte man eine schöne Aussicht auf den Platz.

      Lady Moron saß an ihrem kleinen Schreibtisch, als Lois gemeldet wurde. Sie erhob sich in ihrer imponierenden Größe, um sie zu begrüßen. Keine andere Frau hätte das leuchtendgrüne Samtkleid tragen dürfen, das ihre Gestalt so vorteilhaft erscheinen ließ. Auf ihrer vollen Brust glänzte und sprühte ein großer Diamant, der an einer Perlenkette um ihren Hals hing. Ihr Gesicht war weiß gepudert, und ihre schwarzen, hochgeschwungenen Brauen hoben sich scharf davon ab. Lois hatte jetzt Zeit und Gelegenheit, ihre neue Herrin zu betrachten, und sah, daß ihr schwarzes Haar echt war; dagegen waren Augenbrauen und Lider stark nachgezogen.

      »Das Mädchen wird Ihnen Ihr Zimmer zeigen, Miss Reddle«, sagte die Gräfin in ihrer ruhigen Art. »Ich hoffe, Sie werden sich bei uns wohl fühlen. Wir leben anspruchslos, und Sie haben keine Pflichten, die eine Dame nicht erfüllen könnte.«

      Lois verneigte sich leicht bei diesem Versprechen, und ein paar Minuten später betrachtete sie überrascht ihr neues Schlafzimmer. Es war ein großer Raum im Obergeschoß, der ebenfalls nach dem Platz zu lag. Alle Bequemlichkeiten waren vorhanden, und ohne daß es ihr zum Bewusstsein kam, verglich sie die Möbel Mike Dorns mit diesen. Sie waren ebenso luxuriös.

      Sie kleidete sich um und ging dann zum Salon zurück, der gleichzeitig auch Lady Morons ›Arbeitszimmer‹ war. Sie öffnete die Tür und zögerte, denn es waren jetzt noch zwei Herren in dem Raum. Den einen erkannte sie als den jungen, schmächtigen Grafen, der zweite hatte eine gedrungene, untersetzte Gestalt. Sein rotes, volles Gesicht zeugte von seiner Vorliebe für gutes Leben. Wenn er lächelte, was er häufig tat, blitzten seine weißen Zähne auf, die Lois irgendwie an das Gebiss eines Tigers erinnerten, obwohl sicherlich nichts Raubtierartiges an diesem Mann mit dem plumpen Körper und den gelockerten, rötlichen Haaren war. Das einzige Interessante war seine hohe Stirn.

      »Mr. Chesney Praye«, stellte ihn die Gräfin vor.

      Lois' Finger wurden von einer dicken, großen Hand umschlossen.

      »Ich freue mich sehr, Sie kennenzulernen, Miss Reddle.« Seine Stimme klang angenehm, obwohl er etwas heiser sprach. Mit unverhohlener Bewunderung lag sein zudringlicher Blick auf ihr.

      »Lord Moron ist Ihnen ja schon bekannt.«

      Der junge Graf nickte und murmelte etwas Unverständliches.

      »Miss Reddle ist meine neue Sekretärin«, erklärte die Gräfin. Sie sprach die vier Silben des letzten Wortes aus, als ob sie getrennt wären. »Sie werden sie häufig bei mir sehen, Chesney – Mr. Praye ist nämlich mein Berater in finanziellen Angelegenheiten.«

      Chesney Praye machte durchaus nicht den Eindruck, als ob er zu dieser Stellung irgendwie befähigt wäre. Er hätte eher einen Rat über den korrekten Schnitt eines Anzugs oder den richtigen Sitz einer Krawatte geben können. Er war tadellos gekleidet. Lois hatte die Redensart ›geschniegelt und gestriegelt‹ oft gelesen, aber jetzt erlebte sie zum erstenmal, was das bedeutete.

      »Sie haben hier eine hübsche Stellung, Miss Reddle«, sagte Praye. »Sicher werden Sie mit der Gräfin gut auskommen. Waren Sie schon einmal bei der Bühne?«

      »Nein«, sagte sie mit einem schwachen Lächeln, als sie sich an die Warnung des alten Mackenzie erinnerte.

      »Schade. Sie müßten sich prächtig auf der Bühne ausnehmen«, plauderte er weiter. »Sie haben die Haltung, die Gestalt, die Stimme und alles, was man sonst noch braucht. Ich bin ein paar Jahre an einem Lustspieltheater gewesen – es ist ein Hundeleben für einen Mann und nicht viel besser für eine Frau.«

      Er lachte laut, als ob irgendein Witz in seinen Worten stecke. Lois war erstaunt, daß die Gräfin sein freies und vorlautes Wesen nicht rügte, da es kaum mit seiner Stellung vereinbar schien.

      »Ich würde gern zur Bühne gehen.«

      Der schweigsame Lord Moron hatte das gesagt, und seine Stimme hatte einen mürrischen Unterton. Es war, als ob ein kleiner Junge nach etwas fragte, das ihm schon versagt worden war.

      Die Gräfin wandte ihre dunklen, unfreundlichen Augen ihrem Sohn zu. »Du wirst niemals zur Bühne gehen, Selwyn«, sagte sie bestimmt. »Bitte, schlage dir diesen Unsinn aus dem Kopf.«

      Lord Moron spielte mit seiner Uhrkette und bewegte die Füße unbehaglich hin und her. Lois schätzte ihn auf fünfundzwanzig bis dreißig Jahre und vermutete, daß er nicht verheiratet war. Sie hatte