Edgar Wallace

Die seltsame Gräfin


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Ding mußt du dir elektrisch wegmachen lassen«, sagte das frische, derbe Mädchen, aber Lois schüttelte leicht den Kopf. »Du kannst auch lange Ärmel tragen, sie sind in dieser Saison modern.«

      Lois hörte während des Bades ihre Freundin in der kleinen Küche herumwirtschaften. Während die Setzeier in der Pfanne brutzelten, pfiff Lizzy die Melodie des letzten Tanzschlagers.

      Die beiden hatten zusammen das Obergeschoß eines Hauses in der Charlotte Street gemietet, seitdem Lois nach London gekommen war. Sie war eine Waise, ihr Vater starb, als sie noch klein war, und sie konnte sich auch nur dunkel auf die freundliche, mütterliche Frau besinnen, die sie während ihrer ersten Schulzeit betreut hatte. Später wurde sie von einer weitläufig verwandten Tante erzogen, die sich aber nur um ihre vielen eingebildeten Leiden kümmerte. Sie starb bald, trotz ihrer vielen Medizinflaschen oder vielleicht gerade deshalb, und Lois kam dann zu fremden Leuten.

      »Der Gräfin wird deine vornehme Ausdrucksweise gefallen«, sagte Lizzy, als das hübsche Mädchen in die Küche kam.

      »Ich wußte nicht, daß ich vornehm spreche«, erwiderte Lois in guter Laune.

      Lizzy schwenkte mit einer geschickten Bewegung die Eier aus der Bratpfanne auf den Teller.

      »Sicher hat auch ihn das sofort für dich eingenommen«, meinte sie bedeutungsvoll.

      Lois errötete.

      »Wenn du doch nicht immer von diesem schrecklichen Menschen sprechen wolltest, als ob er ein junger Gott wäre!« erwiderte sie kurz.

      Lizzy Smith ließ sich aber nicht im mindesten aus der Fassung bringen. Sie wischte sich die Stirn mit dem Handrücken ab, stellte die Bratpfanne an ihren Platz zurück und setzte sich energisch an den Tisch.

      »Hör mal, das ist kein gewöhnlicher Mensch! Er gehört nicht zu diesen Gecken, die einen auf der Straße ansprechen«, sagte Lizzy, in Erinnerung versunken. »Ich bitte dich, der ist doch Klasse. Als er mir dankte, hat er mich wie eine Lady behandelt, und während der ganzen Unterhaltung ist kein Wort gefallen, das nicht auf der ersten Seite einer frommen Sonntagszeitung hätte stehen können. Als ich aber kam und dich nicht mitbrachte, war er furchtbar enttäuscht, und es war wirklich kein Kompliment für mich, daß er ganz verlegen dreinschaute und sagte: ›Ach, ist sie nicht mitgekommen?‹«

      »Die Setzeier sind angebrannt«, sagte Lois.

      »Er ist wirklich ein feiner Kerl«, fuhr Lizzy fort, »ein Gentleman! Er fährt seinen eigenen Wagen. Er spaziert in der Bedford Row auf und ab, nur um dich einmal kurz von weitem sehen zu können. Solche Anhänglichkeit würde selbst das härteste Herz aus Stein erweichen.«

      »Meins ist aber aus Bronze«, erwiderte Lois vergnügt. »Du machst dich lächerlich, Elizabeth!«

      »Du bist die erste, die mich seit meiner Taufe Elizabeth genannt hat. Aber das ändert an der Sache gar nichts, soweit ich daran beteiligt bin. Mr. Dorn –« »Der Tee schmeckt nach ausgelaugtem Holz«, unterbrach sie Lois, und diesmal fühlte Lizzy sich getroffen.

      Es entstand eine Pause.

      »Hast du den alten Mackenzie in der vergangenen Nacht gehört?« begann Lizzy dann wieder. »Nein? Er hat dieses süße Stück aus Hoffheims Erzählungen – Hoffmanns Erzählungen wollte ich sagen – gespielt. Komisch, daß ein Schotte Violine spielt. Ich dachte, sie wären alle Dudelsackpfeifer.«

      »Er spielt wundervoll. Manchmal höre ich seine Musik in meinen Träumen.«

      Lizzy murrte.

      »Mitten in der Nacht macht man keine Musik«, sagte sie böse. »Wenn er auch unser Hausherr ist, so haben wir doch das Recht auf Schlaf. Er ist eben verrückt, das ist es.«

      »Mir gefällt er aber gerade mit seinen Eigenheiten gut, er ist ein netter alter Mann.«

      Lizzy rümpfte die Nase.

      »Alles zu seiner Zeit«, sagte sie, stand auf und holte eine dritte Tasse aus dem Küchenschrank. Sie stellte sie geräuschvoll auf den Tisch und goss Tee und reichlich Milch ein.

      »Heute bist du an der Reihe, ihm den Tee hinunterzutragen. Vielleicht kannst du eine Bemerkung fallen lassen, daß ich am liebsten ›Mondnacht in Italien‹ höre.«

      Die Mädchen hatten es sich zur Gewohnheit gemacht, dem alten Mann, der die Etage unter ihnen bewohnte, jeden Morgen eine Tasse Tee zu bringen. Ganz abgesehen von seiner Eigenschaft als Hauswirt, stand der alte Herr mit beiden Mädchen auf gutem Fuß. Die Miete, die sie zahlten, war im Verhältnis zu der zentralen Lage des Hauses und der Beliebtheit dieser Gegend sehr niedrig.

      Lois trug die Tasse die Treppe hinunter und klopfte an eine der beiden Türen auf dem unteren Treppenabsatz. Schlürfende Schritte näherten sich auf dem harten Fußboden, die Tür öffnete sich, und Mr. Mackenzie verneigte sich mit einem dankbaren Blick über seine Hornbrille hinweg. Er betrachtete wohlgefällig die hübsche Erscheinung des Mädchens.

      »Tausend Dank, Miss Reddle«, sagte er eifrig, als er ihr die Tasse abnahm. »Wollen Sie nicht ein bißchen hereinkommen? Ich habe meine alte Violine zurückbekommen. Habe ich Sie die letzte Nacht gestört?«

      »Nein. Leider habe ich Sie nicht gehört«, sagte Lois, als er die Tasse auf die sauber gescheuerte Platte des einfachen Tisches stellte.

      Das Zimmer war peinlich sauber und nur mit dem Allernotwendigsten möbliert. Aber es paßte so recht zu diesem kleinen alten Herrn mit den bauschigen Hosen, den feuerroten Pantoffeln und der schwarzen Samtjacke. Runzeln und Falten durchzogen sein glattrasiertes Gesicht, aber die hellen blauen Augen, die unter buschigen Brauen saßen, waren voller Leben und Güte.

      Er nahm die Violine, die auf der Kommode lag, behutsam, fast zärtlich in die Hand.

      »Musik ist ein hoher Beruf«, sagte er, »wenn man ihr genügend Zeit widmen kann. Aber die Bühne ist etwas Fürchterliches! Gehen Sie niemals zum Theater, mein liebes Fräulein, bleiben Sie hübsch auf der anderen Seite der Rampenlichter. Diese Komödianten sind sonderbare, unaufrichtige Leute.« Er nickte nachdenklich. »Früher saß ich ruhig und geborgen im tiefen Orchester und beobachtete nur, wie ihre kleinen, süßen Füße über die Bühne trippelten ... Sie war ein schönes Mädchen, nicht viel älter als Sie, aber sehr hochmütig, wie die Schauspielerinnen eben sind. Wie ich den Mut fand, sie anzusprechen und zu fragen, ob sie mich heiraten wolle, verstehe ich heute selbst nicht mehr.« Er seufzte schwer. »Ach ja, und doch war es für mich Narren ein Paradies, und das Leben mit ihr war schöner als die Einsamkeit, wenn ich auch betrogen und ausgenützt wurde. Zwei Jahre lang –« Er schüttelte den Kopf. »Sie war ein süßes Geschöpf, aber sie war verbrecherisch veranlagt. Manche jungen Mädchen sind leider so. Sie haben kein Gewissen und fühlen keine Reue, und wenn man kein Gewissen und keine Reue kennt, dann gibt es nichts, was man nicht tun könnte – bis zum Mord.«

      Lois hatte ihn schon öfters über diese sonderbare Frau klagen hören, ohne daß sie aus seinen Äußerungen ein klares Bild gewinnen konnte. Aber heute hatte er zum erstenmal ihre verbrecherische Veranlagung erwähnt.

      »Frauen sind merkwürdige Geschöpfe, Mr. Mackenzie«, sagte sie scherzend.

      Er nickte.

      »Ja, das sind sie«, erwiderte er schlicht. »Aber im allgemeinen sind sie den meisten Männern überlegen. Ich danke Ihnen auch schön für den Tee, Miss Reddle.«

      Sie stieg die Treppe wieder hinauf. Lizzy zog gerade ihren Mantel an.

      »Na, hat er dich wieder vor der Bühne gewarnt?« fragte sie, als sie zu dem kleinen Spiegel trat und sich puderte. »Ich möchte wetten, daß er wieder davon anfing. Gestern habe ich zu ihm gesagt, daß ich auch ein schönes Chormädchen werden wollte. Da hätte er beinahe einen Anfall bekommen!«

      »Du mußt den netten alten Herrn nicht so aufziehen!«

      »Er müßte doch etwas mehr Verstand haben«, sagte Lizzy verächtlich. »Ich – ein hübsches Chormädchen! Wo hat denn der seine Augen gelassen?«

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