Spaziergang keinen Spaß, auch wenn man nicht vorhatte, etwas zu kaufen.An der Ecke kam schon die Boutique Janine – wovon die lebte, wusste Leonie auch nicht, sie hatte dort noch nie jemanden etwas kaufen gesehen. Kein Wunder, bei dem Angebot!
Sie bewunderte die grellrosa, paillettenbestickten Westchen und Hemdchen im Schaufenster, die höchstens magersüchtigen Vierzehnjährigen passen konnten, und die dazu gehörenden Militaryhosen mit tausend klobigen Taschen aus grauer Camouflage.
Dazu musste man wahrscheinlich rosa Glitzersöckchen und Militärstiefel tragen, überlegte sie. Nichts für sie, dafür war sie zu alt – und schön gefunden hatte sie so etwas auch noch nie.
Was gab es sonst noch? Hässliche Baumwollwäsche – fünf Slips mit lasziv sein wollenden Aufschriften für zehn Euro. Die lösten sich in der Waschmaschine wahrscheinlich sofort auf. Und dieser grobmaschige Pullover, in unsäglichem Lila mit Kanten in Orange – schlampig gestrickt und so kurz, dass man sein Bauchnabelpiercing zeigen konnte – so man hatte, hieß das. Mit solchen Verzierungen konnte sie genauso wenig dienen wie mit dem legendären Arschgeweih, das ja, wie sie voller Häme dem Fernsehen entnommen hatte, schon wieder aus der Mode war - aber verteufelt schwer loszuwerden. Tja, Mädels – blöd gelaufen!
Die Parfümerie nebenan warb mit allem, was man für eine Bikinisaison brauchte – Sonnenmilch in allen Varianten, Sonnenspray für die Haare, Anti-Cellulite-Krempel. Zufrieden dachte Leonie an ihre geraden, schmalen, dellenlosen Schenkel – wer einen geringen Anteil Körperfett hatte (und sich vergangenen Speck schön langsam angefressen hatte), musste sich weder über Cellulite noch über Dehnungsstreifen ärgern. Außerdem cremte sie sich nach jedem Duschen sorgfältig ein, allerdings mit einer ganz normalen preiswerten Q10-Lotion, denn diese Zaubermittelchen waren ja sowieso nur Augenwischerei. Eine Werbefrau sollte so etwas eigentlich nicht einmal denken, tadelte sie sich selbst. Aber deshalb stimmte es doch.Der Pareo dahinten war nett, verschiedene frische Blautöne, wie eine große Welle. Die perfekte Welle – das hörte sie immer noch gerne.Aber sie brauchte ihn nicht, sie hatte schon einen Pareo, der fast genauso schön war, und die Saison war ohnehin vorbei. Außerdem musste sie aufhören, auf alles hereinzufallen, was blau war, Lieblingsfarbe hin oder her: Sie hatte blaue Handtücher, blau gemusterte Bettbezüge, blaue Sofakissen (blaue Sofas, nicht zu vergessen) und blaues Geschirr. Das musste reichen, die Wohnung sollte ja schließlich nicht zu voll werden. Gekauft wurde also nichts – gut, dass die Läden längst zu hatten.Die Buchhandlung warb mit Reiseführern über Burgund (klang nicht uninteressant) und die Normandie (nein, der Atlantik war einfach zu kalt. Und am Kanal auch zu dreckig), außerdem mit einer ganzen Reihe isländischer Kriminalromane. Leonie bevorzugte aber das gute alte britische Ambiente, wenn schon. Oder Krimis, die im Brokermilieu spielten, wo es um betrügerische Anleihen oder feindliche Übernahmen ging – so etwas fand sie spannender als depressive, trunksüchtige Skandinavier, in deren Leben ständig Dämmerung herrschte. Vorurteil, sicher – aber warum nicht? Sie konnte doch schließlich lesen, was sie wollte!Das Cucaracha war gut gefüllt, aber sie hatte weder Hunger noch genügend Geld dabei.Sie las die Immobilienangebote der beiden Banken sorgfältig durch und freute sich an den hohen Preisen, hieß das doch, dass ihre Wohnung ihren Wert auch recht ordentlich gehalten hatte. Die Anlagenangebote waren weniger interessant, und die Videothek warb nur mit Filmen, die sie entweder schon kannte oder nicht kennen wollte. Eines Tages würde sie sich durch die linke, extra gekennzeichnete Tür hineinschleichen und sich einen Porno kaufen, weil sie so etwas noch nie gesehen hatte. Bildungslücke! Aber heute traute sie sich wie immer nicht. Grässliche Vorstellung – da reingehen und auf Tiefenbacher oder sonst jemanden stoßen, den sie kannte. Und dann herumstottern, Ich steh – nein, besser – Mein Freund steht auf Kettensägemassaker. Und dann den mitleidigen Blick aushalten: Hat die arme Sambacher das nötig? Einen gewalttätigen Freund? Soo langweilig schaut sie doch auch wieder nicht aus... Ob sie deshalb so viel arbeitet? Weil sie sich nicht heimtraut? Und dann lässt sie sich noch losschicken, diesen Mist auszuleihen...Nein, vielen Dank, das brauchte sie nicht.Im Supermarkt gab es Sonderangebote in Himbeeren und Grillfleisch. Über die Himbeeren sollte sie morgen mal nachdenken, beschloss sie, bevor sie umkehrte. Nach dem Supermarkt kamen nur noch ein Optiker, eine Wäscherei und die Tankstelle – uninteressant.Heute war irgendwie alles uninteressant, ärgerte sie sich und ging auf dem Heimweg etwas zügiger, um wenigstens etwas für ihre Fitness zu tun. Am besten setzte sie sich mit ein paar Aprikosen von den Fernseher und telefonierte morgen mal mit Lena und Rieke. Und ganz vielleicht auch mit Thea – vormittags war Papa bestimmt nicht zu Hause, sonst hätte er ja Thea beim Putzen helfen müssen. Da hatte er immer wichtige Termine im Baumarkt oder beim Elektronikhändler (obwohl er weder vom Heimwerken noch von Hightech auch nur das Geringste verstand, aber das waren eben so Männerdomänen).
2
Das Wochenende war wirklich fad gewesen, dachte Leonie, als sie am Montagmorgen pünktlich (sogar schon um fünf vor acht!) auf den Parkplatz der Veit KG fuhr und sorgfältig darauf achtete, ja keinen der markierten Parkplätze zu erwischen, sondern ganz bescheiden zwischen den Büschen zu parken.
Lena war zwar auf dem Handy erreichbar gewesen, aber mit Kindergeburtstag und Besuch der Schwiegermutter voll ausgelastet. Und dieser Nichtsnutz Torsten hatte sich natürlich mal wieder vom Acker gemacht, dringendes Mandantengespräch. Aber sich als toller Vater feiern lassen, der in diesen schlechten Zeiten, wo das Rentensystem wegen der Faulheit egoistischer Weiber vor die Hunde ging, drei Kinder in die Welt gesetzt hatte! Dass Lena die drei ernährte und erzog, während er kaum wusste, wie sie hießen, geschweige denn, wie alt sie waren, erzählte er natürlich nicht herum. Gut, Lena verdiente als freiberufliche Illustratorin erstaunlich gut und konnte sich und die Kinder alleine durchbringen, solange sie nicht so dumm war, sich an der Abzahlung des Hauses zu beteiligen, das nur auf Torstens Namen lief. Trotzdem war es unfair, wie sehr Torsten für gar nichts bewundert wurde.
Und Rieke – Rieke hatte auch keine Zeit gehabt, denn der süße neue Typ aus der Exportabteilung hatte sich mit ihr im Happy´s verabredet, und sie musste dringend überlegen, was sie da am besten anziehen sollte. Leonie konnte sich so richtig vorstellen, wie sie ratlos vor den Bergen stand, die sie aus dem Schrank gerissen hatte. Ja, natürlich würde sie am Samstag anrufen und erzählen, wie´s gewesen war. Kein Anruf am Samstag, keiner am Sonntag. Das konnte natürlich bedeuten, dass sie mit dem süßen Typen zwei Tage im Bett verbracht hatte und dann nach Las Vegas zum Heiraten geflogen war (Riekes Lieblingsfantasie), aber leider war es erheblich wahrscheinlicher, dass der Typ eine Pfeife war – schwul, verheiratet, frisch geschieden, bindungsgeschädigt, ein Mamasöhnchen, blöd, angeberisch, ein Macho, ein Softi, politisch extrem links oder rechts, orthodox fromm oder sonst etwas, was Rieke nicht leiden konnte. Die zweite Option war wahrscheinlicher, wie Leonie aus Erfahrung wusste, und nun traute sie sich kaum, bei Rieke anzurufen. Also hatte sie das Wochenende mit Fernsehen, Spazierengehen und diversen Wellness-Aktionen wie Ölbad, Gurkenmaske, Sonnenbad und Augenbrauenzupfen verbracht und weiter über Konzepte für die Veit KG nachgedacht.
Jetzt war sie immerhin so schön wie möglich und hatte eine ganze Mappe voller Ideen, von denen die meisten wahrscheinlich sofort verworfen werden würden. Sie schloss den Wagen ab und betrat das Gebäude, von einem müden Pförtner wortlos beäugt. Sollte der nicht fragen, wer sie war und was sie hier wollte? Schlechtes Personal, registrierte sie, bei XP wäre das nicht passiert.
Im vierten Stock stieg sie aus dem Lift und suchte nach dem Büro von Patrick Veit. Dort musste sie prompt warten, obwohl es schon fast Viertel nach acht war. Hatte er einen früheren Termin oder schlicht und einfach verschlafen?Eher Letzteres, überlegte sie, angesichts der Verlegenheit seiner Sekretärin.Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und in einem Wirbel kühler Luft kam ein Mann hereingestürzt. Nett, registrierte Leonie automatisch, bevor sie sich erhob und die Hand ausstreckte.„Entschuldigung“, keuchte der Neuankömmling, „Veit... Sie sind Frau Sarbach... stimmt´s?“„Sambacher“, korrigierte Leonie und lächelte freundlich. „Von XP. Wir hatten telefoniert.“„Genau. Geben Sie mir noch eine Sekunde, bitte!“Er verschwand in seinem Büro, und Leonie sah ihm nach, nicht ganz ohne Kopfschütteln. Die Sekretärin seufzte leise und eilte ihm mit einer Unterschriftenmappe hinterher.
Leonie sah auf die Uhr. Fünf vor halb... immerhin war sie angemessen gekleidet – dunkelgraue