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Hans Müller-Jüngst
Clarissa und Fiete III
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Inhaltsverzeichnis
Berufsstart
Clarissa und Fiete absolvierten ihr Studium fast zur gleichen Zeit, Fiete hatte noch ein Kolloquium vor sich, als Clarissa ihr Examen schon in der Tasche hatte. Bei Clarissa war während des Studiums der Wunsch gereift, im Anschluss an ihr Examen eine Doktorarbeit zu schreiben, sie hatte ein gutes Examen gemacht, sodass sie schnell einen Doktorvater fand, sie würde weitere zwei Jahre brauchen, bis sie ihren Doktor hätte. Fiete hatte auch einen guten Abschluss gemacht und kurze Zeit überlegt, auch seinen Doktor zu machen, den Gedanken aber wieder fallen gelassen, zumal er in Elektrotechnik mit zwei Jahren ganz sicher nicht hingekommen wäre.
Sie waren beide glücklich über ihren Studienabschluss und gaben in ihrer Wohnung eine Party, zu der sie alle Bekannten einluden, auch Hedda und Hauke und Frauke und Thomas, die beiden Paare existierten immer noch und waren glücklich miteinander, auch seinen Bruder Jan und Clarissas Schwester Isolde hatte Fiete eingeladen. Hedda und Hauke waren auch in Hannover und studierten Lehramt für die Sekundarstufe II, Frauke und Thomas waren beide in Bremen und studierten irgendwelche technischen Studiengänge. Die Party war sehr lustig, jeder hatte etwas zu essen mitgebracht, das Übliche eben, Kartoffel-, Reis- und Nudelsalat, Frikadellen und tolle Nachtische von Tiramisu bis Panna Cotta, es gab natürlich auch Alkohol, nicht nur Bier, man trank auch Wein und Cocktails. Zu vorgerückter Stunde wurde auch getanzt, aber alle merkten, dass sie zu laut wurden, nicht, dass sich die Nachbarn beschwert hätten, die hatten Clarissa und Fiete vorher informiert, unter der Lautstärke litten einfach die Gespräche, die man miteinander führen wollte. Viele der Partygäste standen im Examen oder hatten auch gerade ihren Abschluss gemacht, für sie gab es jedenfalls auch einen Grund zu feiern. Hedda und Hauke wollten nach ihrem Ersten Staatsexamen eine Referendariatsstelle am gleichen Studienseminar antreten, deshalb wollten sie vorher heiraten, damit ihre Chance, an einen gemeinsamen Ausbildungsort zu kommen, stieg.
Clarissa und Fiete wären selbstverständlich zur Hochzeit eingeladen und könnte sich schon einmal nach einem Geschenk umsehen, sagte Hauke, er schätzte, dass die Hochzeit innerhalb der nächsten sechs Wochen stattfände. Für alle Hochschulabsolventen stellte sich die Aufgabe, sich nach einem Job umzusehen, für Fiete bot es sich an, zumindest für eine Übergangszeit zu E.ON zu gehen, er müsste weiterhin Geldeinkünfte haben, sein BAFöG liefe zum nächsten Ersten aus. Fiete wusste, dass der E.ON-Konzern nicht unumstritten war, er betrieb zusammen mit Vattenfall Kernkraftwerke und ging damit offensiv an die Öffentlichkeit. Kernkraftwerke wie „Krümel“ und „Brokdorf“ waren alt und hatten schon eine Menge an Störfällen zu verzeichnen, die vor der öffentlichen Kontrolle durch die Medien allerdings weitestgehend verborgen geblieben waren. Die vor nicht allzu langer Zeit vom Bundeskabinett beschlossene Laufzeitverlängerung stieß bei vielen sauer auf, sie war im Grunde unverantwortlich, niemand machte sich doch wirklich klar, was ein GAU in Deutschland bedeutet hätte, der große Unfall in Tschernobyl im Jahre 1986 war längst vergessen. Fiete würde gegen die Machtinteressen der Konzerngiganten vorzugehen versuchen, wenngleich er wusste, dass seine Möglichkeiten als Einzelner da eher beschränkt waren. Er wollte bei E.ON ja auch nur temporär beschäftigt sein, um sich finanziell über Wasser halten zu können.
Er sprach am Folgetag einfach bei einem relativ untergeordneten Mitarbeiter von E.ON vor und bekam tatsächlich einen Job.
„Sie müssen in einer Arbeitsgruppe, die mit der publikumswirksamen Veröffentlichung von Aktivitäten im Bereich Windenergie zu tun hat, die Computerarbeit erledigen“, sagte man ihm dort. Der Job war auf zwei Monate begrenzt, man hatte Fiete in Aussicht gestellt, dass man ihn nach Ablauf dieser Zeit möglicherweise eine unbefristete Anstellung geben würde, man war von seinem Examen sehr angetan. Clarissa stieg später in ihr Promotionsstudium ein, sie bekam eine halbe Stelle als Assistentin und musste in der Woche ein Seminar halten, dafür bekam sie 1400 Euro brutto, die zwar keine Riesensumme waren, sie kamen zusammen aber auf 2300 Euro nach Abzug aller Abgaben. Sie waren es ja über Jahre hinweg gewohnt gewesen, mit wenig Geld auszukommen. Fiete wurde während seiner Tätigkeit bei E.ON von vornherein klar, dass seine und die Arbeit des Teams, in dem er arbeitete, nur dazu herhalten sollte, E.ON in der Öffentlichkeit reinzuwaschen und als sauberen Energiekonzern erscheinen zu lassen. Auf der Windenergie wurde neben der Sonnenenergie gerade herumgeritten, die Windkraftwerke, die in Offshore-Parks in der Nordsee gebaut worden waren, waren die Vorzeigeobjekte der Republik, es wurde mit Windenergie in Deutschland gerade so viel Strom erzeugt, dass er sieben Prozent des Bruttostromverbrauchs deckte.
Fiete war von Anfang an nicht ganz wohl in seiner Haut, als er in seinem Arbeitsteam die Werbetrommel für E.ON rühren sollte, er wusste, dass E.ON einen großen Teil seiner Umsätze aus dem Betrieb von Kernkraftwerken realisierte, und Kernkraftwerke hatten in weiten Teilen der Bevölkerung zu Recht keine Lobby. Sie suggerierten eine Sicherheit und Sauberkeit bei der Energiegewinnung, die so nicht existierte. Hauptkritikpunkt an der Stromerzeugung aus Kernenergie war, neben den immer wieder auftretenden Störfällen, deren Erscheinen kaum einmal veröffentlicht wurde, vor allem die Entsorgung der abgebrannten Brennstäbe und sonstigen Atommülls. Die Diskussion um mögliche Endlager für radioaktive Abfälle in einem Salzstock bei Gorleben war immer noch in vollem Gang und erhitzte die Gemüter besonders der direkt Betroffenen, es gab immer wieder Demonstrationen gegen die Verfrachtung von Atommüll nach Gorleben, sei es nun gegen die Atommülltransporte vom nordfranzösischen La Hague oder sei es gegen die Lagerung anderen Atommülls. Fiete machte in seiner Arbeitsgruppe keinen Hehl aus seiner Haltung, er hatte seine Mitarbeiter im Prinzip auf seiner Seite, die rührten sich aber nicht aus Angst um ihren Job. Clarissa und Fiete fuhren nur noch selten nach Süderland, der Heimatinsel Fietes, und wenn, nahmen sie sich einige Tage Zeit, um einen Kurzurlaub dort zu verbringen.
Sie hatten immer noch kein Auto, weil der Unterhalt eines Autos einfach zu teuer war, sie fuhren mit dem Zug bis Nordhafen, das war erschwinglich und ausgesprochen bequem. Clarissa hatte Semesterferien und löste sich für eineinhalb Wochen von ihrer Dissertation, wie auch Fiete zwei Wochen Urlaub genommen hatte, das Wetter war herrlich es war sommerlich warm. Sie fuhren nach Braunschweig, um zusammen mit Clarissas Eltern und Isolde, die sich in einem Lehramtsstudium befand und einen netten Kommilitonen zum Freund hatte, nach Süderland zu reisen. Da sie sechs Personen waren, käme eine Fahrt mit einem Kleinbus für alle am günstigsten, so die Überlegung, sie liehen sich also in Braunschweig einen Kleinbus, packten ihr Gepäck hinein und fuhren mit ihm nach Nordhafen, wo sie auf dem Riesenparkplatz parkten, wie sie das früher schon immer getan hatten. Sie liefen zur Fähre und sahen, dass die „Süderland I“ inzwischen ein modernes Fahrgastschiff geworden war, sie gingen an Bord und gesellten sich zu einer immensen Fülle an Touristen, die alle auf Süderland Urlaub machen wollten. Clarissa musste daran denken, wie sie vor nunmehr zwölf Jahren das erste Mal nach Süderland gekommen war, damals war sie als Kind mit ihren Eltern dorthin gefahren, ihre Schwester Isolde und sie waren ganz begeistert von dem Gedanken, zur Nordsee zu fahren und hatten sich die Insel Süderland ausgesucht. Das war der schönste Urlaub, den die Kinder bis dahin in ihrem Leben gemacht hatten, und auch ihre Eltern waren sehr angetan von dem erholsamen Urlaub.
Clarissa hatte damals