Orangensaft. „Die hat doch wirklich nicht mehr alle Tassen im Schrank. Ich hab´s der Teck schon gesagt, nicht dass die Uhlmann einfach weiter da herumsitzt und erst zugibt, dass wir sie gefeuert haben, wenn sie was arbeiten soll, worauf sie keine Lust hat.“
„Was hat Frau Teck gesagt?“, fragte ich und wischte mir müde die Stirn. Puh, was für ein Weibsbild! „Na endlich, hat sie gesagt. Jetzt kommen wir hier endlich mal zum Arbeiten.“ Die Reichle grinste mir aufmunternd zu.
„Ich hasse so was. Wie eine Hinrichtung“, murmelte ich. „Aber Frau Uhlmann hat´s wirklich nicht besser verdient.“
„Eben“, stellte die Reichle fest. „Sie haben das ganz richtig gemacht. So, und jetzt trinken Sie mal schön Ihren Saft, bevor er warm wird. Möchten Sie einen Keks dazu?“ Was hatte ich an mir, dass mich alle Sekretärinnen bemuttern wollten? Nein, ich wollte keinen Keks, ich hatte noch einiges zu tun.
Wenigstens hatte die Affäre Uhlmann mich von der blöden Klamottenfrage abgelenkt.
„Wissen Sie jetzt schon, was Sie auf der Hochzeit anziehen wollen?“, fragte Frau Reichle freundlich, bevor sie nach draußen verschwand, und ich stöhnte auf. Da sah ich mir ja lieber dieses komische neue Fortbildungskonzept an!
Gegen halb sieben kam ich nach Hause und schleuderte schon im Flur erschöpft meine Schuhe von mir. Am besten erst einmal duschen und etwas Bequemeres anziehen! Ich verstreute meinen Business-Hosenanzug, die anständige strenge Bluse und alle Dessous auf dem Weg ins Bad und ließ erst einmal heißes Wasser auf mich prasseln. Leider auch auf die Samtschleife, mit der ich meine Haare zurückgebunden hatte. Wütend warf ich sie ins Waschbecken. Samt – der würde nie mehr so werden wie er mal war. Wenigstens war ich jetzt nass, erfrischt und sauber, und wenn Carla mich heute verschonte, stand mir vielleicht sogar ein friedlicher Abend bevor.
Ach nein, ich hörte das Telefon schon. Egal, auf nasse Fußtapper auf meinem kostbaren Parkett legte ich keinen Wert. Carla würde es unverdrossen noch zehnmal probieren, außerdem sprang gerade der Anrufbeantworter an. Ich trocknete mich in aller Ruhe ab und wickelte mich in meinen wunderbaren Morgenmantel – außen Seide, innen Fleece, dunkelgrau und silbern gemustert. Damit würde ich sogar auf Schloss Grafenreuth einen guten Eindruck hinterlassen. Aber nicht mit dem Kaffeefleck vorne! Waschen musste ich das Ding also auch noch. Waschen musste ich überhaupt mal wieder. Und einkaufen. Am Samstag war Feiertag, also spätestens morgen...
Und die ganze Wohnung, so schön sie war, wirkte ein kleines bisschen stumpf. Das lag möglicherweise an der Staubschicht, die sich überall ausgebreitet hatte. Wann hatte ich eigentlich zum letzten Mal anständig geputzt?
Heute stand das jedenfalls nicht auf dem Programm.
Ich fiel aufs Sofa und angelte nach meiner Flyersammlung. Heute mal mexikanisch? Oder indisch? Auf jeden Fall nicht schon wieder Pizza!
Oder sollte ich mich in einen Jogginganzug werfen und hoffen, dass der Supermarkt in der Franziskanerstraße noch aufhatte? In Anbetracht meiner düsteren Gedanken heute bei der Sitzung sollte ich nicht so viel Geld ausgeben, das ich doch besser anlegen konnte als in Takeaway-Essen. Ich hatte aber Hunger. Und den ganzen Tag geschuftet. Und verdammt, so arm war ich auch nicht! Die Wohnung war fast abbezahlt, mein Depot sah ganz erfreulich aus, und zur Not konnten mir auch Papa und Mama aushelfen – obwohl mir das schon sehr peinlich sein würde. Nein, heute gab es Enchiladas und einen großen Salat mit roten Bohnen. Um Himmels Willen, keine Bohnen – was, wenn die mir Blähungen einbrachten und mir vor Rosen ein Missgeschick passierte? Dann hatte ich endgültig keine Chancen mehr bei ihm.
Ich kuschelte mich in die Sofalehne und rief mir ins Gedächtnis zurück, wie hinreißend er heute wieder gewesen war, als er mit vergrämter Miene in den höchstrichterlichen Entscheidungen geblättert hatte. Warum er so entzückend war, wusste ich auch nicht, ich konnte kein einziges objektiv entzückendes Detail an ihm entdecken, aber der Gesamteindruck... Liebe machte eben blind. Und blöd.
Ich raffte mich wenigstens auf und rief den Lieferservice an. Vierzig Minuten – da konnte ich doch wenigstens die herumliegenden Klamotten aufsammeln und eine Ladung T-Shirts in die Maschine stecken.
Meine Wohnung war relativ pflegeleicht, weil ich schon bei der Einrichtung darauf geachtet hatte, mir keine Staubfänger zuzulegen – aber Staub musste man gar nicht fangen, der kam auch so, ganz ungebeten. Woher kam der eigentlich? Ich wischte flüchtig mit einem Microfasertuch herum, das auch nicht so ein Zaubermittel war wie auf der Packung versprochen, lüftete, stellte mir einen Teller und Besteck bereit und blätterte durchs Fernsehprogramm. Serien, lauter Serien, die ich entweder gar nicht kannte oder so lange nicht geguckt hatte, dass ich den Faden verloren hatte. Kein einziger anständiger Film! Doch, da! Fritz Lang, Der Verlorene. Superfilm – Mist, auf MDR, das war bei uns nicht im Kabel.
Dann eben etwas Eigenes! Wozu sammelte ich DVDs? Ich wühlte etwas herum und entschied mich für Vom Winde verweht. Nicht, dass ich Vier Hochzeiten und ein Todesfall nicht auch gehabt hätte – genau! Ich würde ihn mir zum hundertsten Male anschauen und mir einige Peinlichkeiten notieren, mit denen ich Carlas großen Tag dann etwas aufpeppen konnte. Zum Beispiel dem Trauzeugen die Ringe klauen und sie durch solchen Hippiekrempel wie im Film ersetzen...
Sehr gut – aus Scarletts Hochzeiten konnte man sowieso nichts lernen, außer, dass man nicht immerzu die falschen Männer aus den falschen Gründen heiraten sollte. Ich schob die Schublade ein, überlegte kurz, ob ich mich bilden und den Film auf Englisch anschauen sollte, entschied mich dagegen (viel zu anstrengend) und startete. Halt, Notizblock! Ich war noch nicht einmal über die Credits hinaus, als das Telefon läutete. Carla, da war ich mir sicher. Ich griff zum Hörer. „Was ist jetzt wieder schief gegangen?“
„Was, wieso schief gegangen?“, wunderte sich Anette.
„Sorry, ich dachte, es ist Carla. Zum hundertfünfzigsten Mal, ob sie nicht doch lieber Lachskanapées... oder ob ich Freesien gut fände für den Ratssaal...“
„Und nichts geht dir mehr am Arsch vorbei, was? Weißt du, was mich mal interessieren würde? Ich meine, ich finde Carla ja wirklich nett, und bis vor einigen Wochen hab ich sie auch durchaus für intelligent und vernünftig gehalten – aber warum müssen eigentlich deine Freundinnen Brautjungfern spielen? Was ist mit ihren eigenen?“
Ich seufzte theatralisch. „Corinna ist genau da in Bali. Sie hat die Reise gewonnen, und der Termin lässt sich nicht mehr ändern. Und Sandras Mutter liegt im Sterben, ziemlich gruselig, Knochenkrebs, die hat jetzt wirklich keinen Sinn für Hochzeiten. Na, und ich muss sowieso ran, als Trauzeugin, und Nina, weil sie die Kinder haben will, zum Blümchen streuen.“
„Sind die nicht ein bisschen zu alt?“
„Andere Kinder kennt Carla aber nicht. Jetzt hat sie schon zwei von uns, da dachte sie wohl, dich und Silke kann sie auch gleich noch verknacken. Na, und eigentlich machen wir doch sonst auch jeden Blödsinn mit.“
„Aber nicht in apricotfarbenem Chiffon“, maulte Anette. „Ich hab rote Haare, verflixt! Hat ihr das denn keiner gesagt?“
„Doch. Aber alle müssen gleich angezogen sein, wie im Film eben.“
„Dann komme ich aber stilecht in einem verbeulten linksgesteuerten Mini mit nachgeschleifter Parkkralle!“
Ich gackerte. „Ich wollte mir gerade den Film noch mal reinziehen und Peinlichkeiten sammeln. Weißt du, wo man solche Trauringe kriegt?“
„Die geschmackvollen? Am Bahnhof, denke ich, da ist doch dieser krasse Modeschmuckladen, gleich neben dem oberschmuddeligen Tattoostudio – Mensch! Und wenn wir uns alle ein abwaschbares Tattoo zulegen? Die Kleider haben doch diesen gewaltigen Ausschnitt. Irgendwas Kleines, aber Unfeines, direkt über den Titten?“
Ich freute mich. „Sollten wir als Option im Auge behalten. Carla überlegt übrigens, ob wir statt der dämlichen apricotfarbenen Hüte lieber weiße Blütenkränze tragen sollen. Und die Braut dann einen in Apricot zum weißen Kleid.“
„Sie wird wie ein Bellini-Dessert aussehen“, unkte Anette. „Ist Carla eigentlich klar, dass ich ganz, ganz kurze Haare habe und total