Pearl Blakes

Come back to me


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ich konnte das Land des süßen Nichts nicht mehr erreichen. Ich war gefangen in dieser Hölle, und Paul war der Teufel, dem ich auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war.

      Das nächste Mal, dass ich aus meiner Lethargie gerissen wurde, war Paul nicht allein. Mit Entsetzen erkannte ich meinen Vater, der neben Paul stand als wäre es vollkommen normal, dass man seine Tochter an Ketten von der Decke baumeln ließ.

      „Dad“, krächzte ich stimmlos, ein Anflug von einem Flehen darin. Das kleine naive Mädchen in mir wollte noch immer glauben, dass mein Vater mich retten würde, dass er nicht zusehen würde, wie man seiner Tochter Gewalt antat. Doch er machte keine Anstalten, mir zu helfen.

      „Du hast mich enttäuscht, Opal“, sagte er stattdessen kühl. „Wie konntest du dich mit meinem ärgsten Feind einlassen? Hast du denn gar kein Ehrgefühl, keinen Respekt für deine Familie?“ Er schüttelte missbilligend den Kopf.

      Tränen sammelten sich in meinen Augen. Dieser Mann vor mir war ein Fremder. Sollte ein Vater nicht das Wohlergehen seines Kindes im Sinne haben anstatt irgendwelcher Geschäftsinteressen? Wie konnte er mir in die Augen sehen, wissend, was Paul mir angetan hatte und noch antun würde? Was für ein Monster tat seiner eigenen Tochter so etwas an?

      „Okay. Mach sie los“, sagte er zu Paul, und mein Verlobter gehorchte.

      Als die Ketten nachließen, fiel ich ungebremst zu Boden. Meine Beine waren zu taub, zu schwach, um mich zu tragen. Schmerz schoss in meine Hüfte, als ich auf den unnachgiebigen Boden prallte. Dad trat neben mich, beugte sich herab und riss mich grob auf die Beine. Doch die wollten mein Gewicht noch immer nicht tragen und so musste ich meine Finger in seinen Anzug graben in dem Versuch, mich halbwegs aufrecht zu halten. Kurzerhand hob mein Vater mich auf und warf mich über seine Schulter. Übelkeit erfasste mich und ich schloss aufstöhnend die Augen, als ich versuchte, gegen die aufsteigende Galle anzukämpfen. Dad hatte sich in Bewegung gesetzt. Hin und wieder blinzelte ich, als er mich aus dem Verließ hinauf ins Erdgeschoss trug. Ich hatte keine Kraft, einen Fluchtversuch zu unternehmen. Die Hoffnungslosigkeit meiner Lage stürzte mich in tiefe Verzweiflung. Selbst wenn ich die Flucht schaffen sollte, wohin sollte ich gehen? Ich hatte niemanden mehr. Meiner Familie war ich egal und Darius ... Oh Gott! – Darius. Der Schmerz traf mich so heftig, dass es mir den Atem raubte. Ich wollte nicht an ihn denken. Wollte nicht die Bilder vor mir sehen. Darius. Tot. Erschossen. Der Schmerz löste einen Anflug von Widerstand in mir aus. Ich begann, mich zu winden. Meine Finger krallten sich in das Gesicht des Mannes, der eigentlich für meine Sicherheit sorgen sollte anstatt mich einem Sadisten auszuliefern. Er brüllte auf. Es war nur ein kurzer Kampf. Dad schleuderte mich zu Boden, wo ich reglos auf dem Rücken liegenblieb. Der Aufprall hatte mir die Luft genommen, und ich röchelte in dem verzweifelten Versuch, Sauerstoff in meine Lungen zu bekommen.

      „Undankbares Miststück!“, brüllte Dad mich an und trat mir in die Seite.

      Ich röchelte noch immer. Ich fasste nach meiner Kehle. Meine Sicht wurde unscharf und dunkle Flecken tanzten vor meinen Augen. Erneut trat Dad mich, doch den Schmerz spürte ich schon nicht mehr. Sauerstoff war mein wichtigstes Problem.

      „Hey! Genug!“, hörte ich Pauls Stimme wie von weit her, als mein Vater mich zum dritten Mal in die Seite trat. „Wenn jemand Opal wehtut, dann ich! Sie gehört mir! Verstanden?“

      „Du bekommst sie. Doch erst wenn es Zeit für die Hochzeit ist. Meine Anwälte kümmern sich derweil um den Vertrag“, hörte ich Dad antworten.

      Mittlerweile konnte ich wieder atmen, doch dafür tat mir jetzt jeder Knochen im Leib weh. Ich stöhnte, rollte mich zur Seite und krümmte mich zusammen. Ich wollte nur noch sterben. Wenn es ein Leben nach dem Tod gab, würde ich Darius dann wiedersehen? Mein Herz, meine Seele, jede Faser meines Körpers und Seins sehnte sich nach ihm. So sehr, dass der Schmerz unerträglich war.

      Ich musste das Bewusstsein verloren haben. Als ich wieder zu mir kam, lag ich auf dem Rücksitz eines Wagens. An dem sanften Rütteln und den leisen Motorengeräuschen konnte ich erkennen, dass wir in Bewegung waren. Ich war zu schwach, den Kopf zu heben, um aus dem Fenster zu sehen. Ich wusste auch so, wohin wir fuhren. Zum Anwesen meiner Eltern. Ein Haus, welches ich einst als Zuhause empfunden hatte, wenngleich es auch ein goldener Käfig gewesen war, und das nun zu meinem wirklichen Gefängnis werden würde. Ein Teil von mir wünschte, ich würde noch immer angekettet in Pauls Keller sein. So schmerzhaft und unangenehm das auch gewesen war. Doch ins Haus meiner Eltern zurück zu kehren mit dem Wissen welches ich jetzt über meine Familie und ihre Pläne hatte, erschien mir noch schlimmer, noch schmerzlicher als die Qualen in Pauls Verlies.

      Mein Zuhause. Ein Zuhause sollte einem ein Gefühl von Geborgenheit geben. Sicherheit. Doch mein Zuhause war nicht sicher. Es war ein perverses Lügengebilde. Was würde Mum wohl zu meiner Rückkehr sagen? Zu meinem Zustand? Würde sie schweigend wegsehen, wenn man mich misshandelte? Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie jemals das Wort gegen Dad erheben würde.

      Der Wagen hielt und ich hörte Dad mit einem Mann reden. Wir mussten uns am Tor zum Anwesen befinden. Kurz darauf setzte sich das Auto wieder in Bewegung und ich hörte den Kies unter den Reifen knirschen. Mein Herz klopfte schmerzhaft in meiner Brust. Als der Wagen erneut anhielt und das Geräusch des Motors verstummte, war ich einer Panikattacke nahe. Die Tür wurde aufgerissen und Hände griffen nach mir, zerrten mich grob aus dem Inneren des Autos.

      „Bring sie auf ihr Zimmer!“, ordnete mein Vater an.

      Der Mann, der mich aus dem Wagen gezogen hatte, schwang mich über seine Schulter, dann setzte er sich in Bewegung. Erneut befiel mich Übelkeit, als meine Welt sich auf den Kopf stellte und ich schloss die Augen. Doch auch das war nicht besser, denn das Schaukeln ohne etwas zu sehen gab mir das Gefühl als würde ich jeden Moment von der breiten Schulter des Mannes fallen. Also öffnete ich die Augen zu Schlitzen. Wir betraten das Haus, durchquerten die Halle in Richtung Treppen. Mein Blick fiel auf eine Gestalt die in der Tür zum Salon stand. Meine Mutter. Sie hielt sich eine Hand vor den Mund, als unterdrückte sie einen Schrei. Ihre Augen waren geweitet, als sie mich mit Entsetzen anstarrte. Ich bemerkte das dunkle Veilchen um ihr linkes Auge. Offenbar war sie geschlagen worden. Ich fragte mich, was Dad dazu veranlasst hatte, sie zu verletzen. Hatte es etwas mit mir zu tun? Hatte sie vielleicht doch ihren Mund meinetwegen aufgemacht?

      „Geh zurück in den Salon!“, hörte ich Dad brüllen, und meine Mutter floh zurück in den Raum.

      Wir stiegen die Treppen hinauf ins erste Geschoss, wo sich mein Zimmer befand. Dort angekommen, warf der Mann, der mich getragen hatte, mich einfach aufs Bett und verließ den Raum. Ich hörte, wie er die Tür hinter sich verriegelte. Erneut war ich gefangen. Meine Fenster waren, wie alle Fenster in diesem Haus, vergittert. Die Tür war verschlossen und ich wusste nicht, wie man ein Schloss aufbrach. Ich war so gefangen wie ich es in Pauls Verlies gewesen war. Auch ohne Ketten.

      

       Kapitel 2

      

       Opal

      Ein Tag ging nahtlos in den nächsten über. Ich nahm keine Notiz von Zeit oder Geschehnissen. Meist lag ich auf dem Bett und starrte ins Nichts. Ich wusste, ich musste zwischendurch etwas gegessen haben, zur Toilette gewesen sein oder so, doch ich konnte mich nicht erinnern. Man ließ mich allein. Oder ich konnte mich an keine Besuche erinnern. Ich hatte keine Ahnung. Es war mir egal. Alles war egal, denn ich war taub. Tot. Zumindest in allem was zählte. Dass mein Körper weiterhin funktioniert, Atem holte, Blut durch meine Venen pumpte – es war egal. Ich lebte friedlich und ohne Erinnerungen in meiner süßen Blase des Nichts. Bis ich erneut aus meinem Zustand der Taubheit gerissen wurde.

      „Steh auf!“, befahl die herrische Stimme meines Vaters.

      Er schlug mir ins Gesicht. Ich riss erschrocken die Augen auf. Mein Herz raste. Ich fühlte mich orientierungslos. Wo war ich? Was war geschehen? Wieso war mein Vater so wütend?

      „Ich sagte: STEH! AUF!“, fuhr er mich an und zerrte mich grob aus dem Bett.