Ludwig Witzani

Der Garten der Welt


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einmal im Leben eine wirkliche Abkürzung zu erwischen. Sie leiden nicht weniger als die Touristen im April unter den Hundstagen des Vormonsuns und danken doch Buddha für jedes Gewitter, das sich während der Regenzeit über der dampfenden Stadt entlädt und Smog und Schmutz wenigstens für eine glückliche Stunde davon schwemmt. Und auch wenn sie ein blindes Geschick in eine der unwohnlichsten Großstädte der Erde verschlagen hat, schmücken sie alljährlich zu Songkran, dem buddhistischen Neujahrsfest, ihre Geisterhäuser und danken Buddha für die kleinen Freuden des vergangenen Jahres ,,Krung Tep Mahanakhon", die ,,großen Stadt der Engel", ist Bangkoks offizieller Name, und die einzigen wirklich guten Geister in der großen Stadt findet man unter ihren Bewohnern.

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       Khao San Road / Bangkok

      

      

       Wie daheim, nur schön weit weg

       Die Khao San Road in Bangkok

       Man stelle sich in ferner Zukunft eine große Stadt in Deutschland vor, vielleicht Köln mit Blick auf den Dom oder Berlin in unmittelbarer Nachbarschaft zum Kurfürstendamm, in der nur Asiaten logieren, die von deutschen Bäckern, Fleischern, Hoteliers, Schneidern, Taxifahrern auf das Emsigste hofiert werden. Deutsche Küche wird nur am Rande serviert, dafür füllen Angebote wie Sate Ayam, Schweinefleisch mit Bambussprossen, Schlangensteaks oder Chicken Curry die in Hindi, Thai oder Chinesisch geschriebenen Speisekarten. Die zum Teil erstaunlich jungen Inder oder Chinesen, mit Rucksack und bequemer Kleidung angereist, testen gerne auch mal die deutsche Lederhose oder das Tiroler Hütchen, während die deutschen Schneider oder Fremdenführer sich der besseren Geschäftsanbahnung wegen in Turban oder Sarong präsentieren. Und weil man so scharf auf Rupies, Baht oder Renmimbi ist, durchstreifen deutsche Frauen in eindeutiger Absicht die Lokale, und wer von den Asiaten keine Lust verspürt, im Air-Con-Bus allein den Schwarzwald oder Heidelberg zu besuchen, kann sich für ganz kleines Geld ein blondes Mädel mit auf die Reise nehmen.

       Ein befremdliches Bild? Das genaue Gegenteil gibt es bereits: eine Straße in Bangkok, in der die dienstwilligen Einheimischen lange Hosen und europäische Hemden tragen und sich die westlichen Touristen in völliger modischer Freiheit aus dem Arsenal des asiatischen Kleiderschrankes bedienen und in Saris, Longhies oder Reispflückerhosen über die Straßen laufen: die Rede ist vor der Khao San Road im Stadtbezirk Banglamphoo, der größten Anlaufstelle des Individualtourismus weltweit.

       Auf den ersten Blick ähnelt die Khao San Road einer beliebigen asiatischen Großstadtstraße, nur dass das Gewirr der Stromkabel über den Straßen, die Verschachtelung der Fassaden und das Wirrwar der Reklameschilder womöglich noch eine Spur trostloser ist. Erst der zweite Blick lenkt die Aufmerksamkeit auf die fast lückenlose Reihe von Guesthäusern, Garküchenrestaurants, Internetcafés, Textil- und Ledergeschäften, Kurzwarenläden, Seidenschneidereien, Reisebüros Wäschereien, Fotoshops und Stempelfälschern – kurz: auf einen leistungsfähigen touristischen Mikrokosmos, in der nahezu jeder, der eine Asienreise auf eigene Faust unternimmt, irgendwann einmal integriert wird.

      Die Geschichte der Khao San Road reicht zurück bis in die Anfänge des internationalen Backpackertourismus. Als sich in den Neunzehnhundertsechziger und -siebziger Jahren die damals noch spärlichen Anlaufstellen für Individualreisende schnell zu üblen Treffpunkten von Drogenhändlern und Prostitution entwickelten, begann unter dem Druck polizeilicher Razzien der Umzug der seriösen Anbieter in die Khao San Road in der unmittelbaren Nachbarschaft des Democracy Monuments in der Radjamnoen Klang. Hier entstand in den nächsten zehn Jahren eine in ihrer Art damals einzigartige Enklave der westlichen Welt, ein effizientes Dienstleistungszentrum, dessen preiswerte Zuverlässigkeit sich im Zuge des anhebenden Backpacker- und Fernreisetourismus schnell herumsprach.

       Zuerst erscheinen die notorischen Asien-Fans, die von diesem Kontinent nie genug gesehen haben werden und die in Thailand inzwischen nur noch wie bei einer lieben, aber etwas langweiligen Tante auf dem Weg von Flores nach Goa Station einlegen. Zur Befriedigung der oft recht komplizierten Reisepläne dieser vagabundierenden Klientel entstanden die ersten leistungsfähigen Reisebüros, die sich auf die schnellstmögliche Beschaffung von Visas und Graumarkttickets konzentrierten. Wo zunächst gerade nur wenige Guesthäuser ihre Dienste anboten, ließ die Konkurrenz nicht lange auf sich warten, so dass der Reisende heute auf der Khao San Road und in den etwas ruhigeren Nachbarstraßen unter einer kaum noch überschaubaren Zahl von Anlaufstellen wählen kann. Die Kommunikationskanäle zwischen den unscheinbaren Reisebüros und den Airlines auf der einen und den Botschaften der Nachbarländer auf der anderen Seite funktionieren inzwischen so gut, dass es schon lange keinen schnelleren, bequemeren und preisgünstigeren Startplatz für die Durchreisung Asiens mehr gibt als in Bangkok.

       Dementsprechend bilden die Gäste der Khao San Road einen multikulturellen und altersunspezifischen Querschnitt durch die Population westlicher Gesellschaften. Abiturienten auf ihrer interkontinentalen Jungfernreise ebenso wie gewiefte Asienenthusiasten, junge Familien mit Kindern, graue Panther mit einem Rucksack voller Erwartungen und noch unausgelebter Träume, Einzelreisende beiderlei Geschlechts, Hetero- und Homosexuelle, Gutbetuchte und die sogenannten Low Budget Traveller, die jeden Baht dreimal umdrehen müssen, ehe sie ihn ausgeben können, geben sich auf den fünfhundert Meters dieser Straße ein immerwährendes Stelldichein. Zwar sind mit dem Ruhm der Straße auch die Preise gestiegen, aber noch immer gilt in der Khao San Road die Schmerzgrenze von einhundert Baht (umgerechnet knapp drei Euro). Dafür erhält man alternativ ein Bett im Schlafsaal, ein Essen eine strapazierfähige Baumwollhose, drei Paar Socken oder Unterhosen, einen Telefonanruf in die Heimat, einige raubkopierte Musikkassetten oder die Komplettreinigung eines mittelgroßen Rucksackinhaltes. Bettler und Prostituierte allerdings haben schlechte Karten in diesem Ambiente. Nicht, dass ihre Bemühungen gänzlich unnütz wären, aber einerseits erfordern die ambitionierten Reisepläne einen strikten Sparkurs und zum anderen gilt: Was man untereinander regeln kann, dafür braucht man auch nicht zu bezahlen.

       Auf die Farben und Lichter Asiens, die in der Nudelwerbung so vorteilhaft zur Geltung kommen, kann man in der Khao San Road leicht verzichten, weil hier die internationale Backpackerszene selbst für ausreichende Kolorierung sorgt. Die vor einigen Jahren in den Feuilletons diskutierte These von einer Rückkehr des Mittelalters und seiner extravertierten Selbstdarstellung fände in den Freiluftrestaurants der Khao San Road eine anschauliche Bebilderung. Da diskutiert ein Brite mit einem prägnanten Germanenzöpfchen auf der Glatze mit einem behaarten Deutschen, dem der Flachmann aus der Tasche lugt. Eine bildschöne afroamerikanische Studentin flirtet mit einem rothaarigen Australier, knalleng sind ihre Radler Hosen, während ihr präsumtiver Partner sein Gebein in einer grellgelben Ali-Baba-Hose verbirgt. In dieser farbenfrohen Umgebung mit all den Saris, Seidenblusen, Kurdenhosen, Lederhüten und philippinischen Käppis wird sogar das milde Grau des Studienassessors neben dem pechschwarzen Pagenschnitt einer japanischen Studentin zum farblichen Kontrast, und wer es nicht geglaubt hätte, wie weit und wie früh die Kinder der entwickelten westlichen Gesellschaften bereits in der Welt herumgekommen sind, den belehrt ein einziger Blick durch das Restaurant von Wallys Guesthouse eines anderen: wie Positionsmarken einer imaginären Weltkarte lassen sich die typischen Weltreiserouten von den T-Shirts der Gäste ablesen. Hawaii und Ko Samui essen eine Nudelsuppe, Boracay nippt an einem Bier, während Goa und Hongkong (männlich) mit Columbia University (weiblich) flirten.

       In den vormodernen Zeiten, als die juvenile Bildungsreise nicht weiter als bis nach Rom oder Neapel führte, hatte sich schon der junge Herder in seinem Reisejournal von 1769 über die eigentümliche „Verjüngung“ gewundert, die immer dann eintritt, „wo die Seele mit einer großen Anzahl starker und eigentümlicher Sensationen hat beschwängert werden können“. Auch wenn sich die klassische Bildungsreise inzwischen zur Grand Tour für jedermann gewandelt hat, bleibt das Ziel das gleiche: die Suche nach dem stimulierenden Elixier der Jugendlichkeit im starken Eindruck – nur dass an die Stelle des Forum Romanums die Riesentempel