seinen Körper als Schattenspiel an den Felsen. Er musste zugeben, dass er langsam unsicher wurde. Aber es half nichts. Er hatte einen Auftrag. Niemals würde er König werden, wenn er nicht dem Willen seines Vaters gehorchte. Keiner erbte den Titel des mächtigsten Herrschers des Landes Nehats, wenn der Vorfahre es nicht wollte.
Atlacoya fasste sich ein Herz und ging hinein.
Der Weg in der Höhle war ebenfalls mit Fackeln gesäumt. Das Licht zeigte die schaurigen Zeichnungen an den Wänden. Aufwändige Wandmalereien, die verschiedene Szenen zeigten. Atlacoya erkannte einige historische Details. Schlachten aus der Zeit des Krieges gegen die Shiva. Sexuelle Szenen in denen überraschenderweise vor allem die Frauen dominierten. Und Bilder von Bauern, die ihre Ernte einfuhren. Aber am Eindrucksvollsten waren die Zeichnungen von Dämonen, Göttern und seltsamen Wesen. Atlacoya blieb vor dem Bild eines Lucrezen stehen. Eine grüne Gestalt, die das Maul weit aufriss und seine heftigen Reißzähne zeigte. Noch nie hatte er einen Lucrezen in Natura gesehen. Aber er wusste, dass dieses Volk auf der Insel, jenseits des Meeres lebte. Man musste die Meeresenge von Zwirn überqueren und fand sich dann in einem dschungelartigen Land wieder. Und dort lebten sie. Die grünen Wesen, über die es viele Legenden gab. Andere Bilder zeigten Malefica. Sogenannte Hexenwesen. Sie schienen den Lucrezen nicht unähnlich. Auch sie hatten wahnsinnige Reißzähne.
Atlacoya ging weiter und kam schließlich in einen größeren Raum.
«Willkommen!», dröhnte die Stimme seiner Tante. Der Hall hier unten im Felsen verstärkte die Macht ihrer Worte.
«Atlaua?», fragte der Königssohn unsicher. Und er erschrak vom Wiederhall seiner eigenen Stimme.
«Ich habe gehört, du bist ein unartiger Sohn!», meinte Atlaua. Und nun löste sich aus dem hinteren Bereich der Höhle eine Gestalt. Wie alle Nehataner war auch sie von schwarzer Hautfarbe. Aber als sie näher kam sah Atlacoya, dass sie anders war. Sehr viel anders. Er hatte sie noch nie gesehen. Und im Grunde hatte auch nie jemand darüber gesprochen, wer oder was sie war. Nur unter vorgehaltener Hand erzählte man sich Gerüchte. Aber die hatte Atlacoya nie geglaubt. Und nun sah er, dass vieles wahr war. Sie war ein Bastard. Sie war die Tochter des alten Königs von Nehats. Von Atlacoyas Großvater. Aber ihre Mutter war eine Malefica gewesen. Eine Hexe.
Sie grinste ihn an und entblößte damit die gefährlich aussehenden Reißzähne. Ihre Augen schienen ihn wach und aufmerksam zu mustern. Noch nie hatte er solche Augen gesehen. Sie waren fast schwarz. Pechschwarz. Sie sahen tot und lebendig zugleich aus. Atlacoya fröstelte.
«Ich bin kein unartiger Sohn, ich ...»
«Schweig!», befahl sie ihm und der kräftige Mann verstummte: «Du solltest mir niemals widersprechen. Hast du mich verstanden?»
Atlacoya nickte. Der große, kräftige Mann vor dem jeder erzitterte, wenn er näherkam. Er wirkte kleinlaut vor seiner Tante. Und schlagartig wurde ihm klar, dass seinem Vater bewusst gewesen war, welche Macht seine Schwester hatte. All seine körperliche Kraft und männliche Energie war nichts gegen sie. Oder täuschte er sich? War es nur die Aura, die ihm das Gefühl gab und er musste sich nur einfach zusammenreißen? Vielleicht war das alles nur ein täuschendes Szenario.
«Knie nieder!», befahl sie.
Und er tat es. Er wusste nicht warum, aber er tat es.
Sie ging zu einem Tisch und nahm einen Becher. In aller Seelenruhe mischte sie ein paar Kräuter, Beeren oder was auch immer, fügte Wein hinzu und gab alles in den Becher. Dann ging sie zu ihm, hielt ihm den Becher an die Lippen und befahl: «Trink!»
Und er trank ...
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