Peter Schmidt

Kalter Krieg im Spiegel


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keine direkte Order, sondern nur eine Art »Pauschalarrangement« für eine nicht näher festgelegte Anzahl von Personen, eine stillschweigende Übereinkunft, Im Ernstfall würde niemand zu solch einem Befehl stehen wollen. Meine Berichte seien die einzigen Unterlagen, und niemand außer ihm, F., wisse, wer sie verfasse. Sie seien weder mit vollem Namen gezeichnet noch dritten Personen überhaupt zugänglich.

      Im Grunde besäßen sie nur dokumentarischen Wert und würden in einem sicheren Tresor verwahrt, um bei einem fiktiven Fall (der natürlich nie eintreten werde), nachweisen zu können, warum man die betreffende Person habe eliminieren müssen.

      Das Ganze hatte offenbar eine ausgemachte Alibifunktion. Es lag irgendwie zwischen Rechtsstaatlichkeit, Notwendigkeit und Verbrechen: ein Kompromiss, der sich aus der Praxis ergab.

      Der Laser stand rechts im mittleren der drei durchgehenden Zimmer auf einem stabilen Holztisch vor einem Spezialfenster mit Doppelscheiben, in das durch Spiegelschlitze das Bild einer durchsichtigen Gardine projiziert wurde, hinter der auch mit stärksten Teleskopen aus dem Ostsektor nie etwas anderes wahrnehmbar sein würde als eine verstaubte Wohnungseinrichtung, deren Besitzer seit Jahren im Ausland lebte.

      Von innen her war das Glas vollkommen durchsichtig, allerdings ließ es kein Tageslicht herein, so dass wir ständig Lampen brennen mussten.

      Links von diesem Raum befand sich Koflers Zimmer, ein durchaus luxuriös eingerichtetes Einzimmerapartment mit breitem Bett, Einbauschränken, einem Farbfernseher schräg in der Ecke, Videogerät, Schreibtisch, rundem Rauchtischchen mit Sesseln und einem in das Zimmer ragenden, gekachelten Badezimmer. Lediglich das Fenster fehlte.

      Mein eigenes Zimmer auf der gegenüberliegenden Seite war weniger komfortabel: Bett, Tisch, Kleiderschrank. Tapeten in fadem Beige, hochglanzlackiert. Aber ich hatte nie viel Wert auf Luxus gelegt.

      Während der Gespräche saßen wir in Koflers Zimmer, wegen der vertrauten Atmosphäre. Klienten, die zwischen ihren eigenen vier Wänden lebten, waren gesprächiger und verrieten sich schneller. Eine ungewohnte Umgebung dagegen signalisierte Zurückhaltung und Vorsicht. Kofler hatte, um die Zeit bis zu seiner Abreise zu nutzen, mit einem neuen Buch begonnen – er ahnte wohl kaum, dass er es nicht zu Ende bringen würde –, und wir ließen ihn gewähren.

      Um in der Bundesrepublik rasch Fuß fassen zu können, benötigte er größere Summen, doch auf dem Konto einer Kölner Bank, auf die man sein restliches Vermögen überwiesen hatte und dessen Nummer er uns bereitwillig mitteilte, war kaum Geld.

      Wir nahmen an, dass ein Geheimkonto existierte. Ihm dieses Geheimnis irgendwann zu entreißen, würde uns einen zwingenden Beweis für seine Schuld liefern …

      Die drei Räume waren untereinander verbunden. Es gab keinen Korridor – auch keinen Zugang zum Treppenhaus mehr. Sicherheitsvorkehrung. Der alleinige Ein- und Ausgang war die Fahrstuhltür im mittleren Zimmer, dem Arbeitszimmer Kruschinskys. Sie konnte nur durch ein in einer Wandnische versenktes Tipptastenfeld geöffnet werden, für dessen Bedienung man durch einen Sehschlitz blicken musste. So ließ sich vermeiden, dass Unbefugte den Zahlenkode erfuhren.

      Der Fahrstuhlschacht endete ohne Zwischenstation in einer Tiefgarage, deren Ausfahrt im Nachbarhaus lag, einem Neubau, in dem Geschäfte, Büros und Arztpraxen untergebracht waren. Ein fast perfektes Gefängnis und eine Tarnung, die so wirksam war, dass noch keiner der übrigen Mieter bisher von uns Notiz genommen zu haben schien.

      Irgendwo im Treppenhaus des dritten Stockwerks gab es eine blinde, immer verschlossene Wohnungstür, hinter der sich Mauerwerk befand. Ihr von Werbesendungen überquellender Briefkasten wurde gelegentlich von einem wohlmeinenden Hausmeister geleert. Das Gegenstück des Tipptastenfeldes in der Tiefgarage war hinter einem verschlossenen Eisentürchen verborgen.

      Sie hatten Kofler am frühen Morgen in einem fensterlosen Lieferwagen herübergefahren. Vom Übergang Friedrichstraße zur Wohnung waren es nur wenige hundert Meter. Allerdings brachte man ihn zunächst nach Lichterfelde – ein Umweg von einigen Kilometern durch den Süden des Westsektors –‚ wo man ihn sicherheitshalber in einer Garage umsteigen ließ.

      Als er mir in der Wohnung zum ersten Mal entgegentrat, wirkte er unausgeschlafen, übermüdet und sah gar nicht wie ein »Messias« aus.

      Angeblich hatte ihn die Nachricht von seiner endgültigen Abschiebung in den Westen überrascht. Es mochte auch Nervosität sein oder Angst. Leider lassen die sichtbaren Gemütsbewegungen eines Menschen nicht unbedingt Rückschlüsse auf seine wahren Gedanken zu, wie jeder gute Pokerspieler bestätigen kann. Deshalb misstraute ich auch allen Arten von Apparaten, die neuerdings im Einsatz waren – vom alten Lügendetektor ganz abgesehen, denn Hautwiderstand ist mental beeinflussbar – also: Stimmenstressanalysator, Gesichtswärmemesser und ähnlichem Zeug.

      Koflers rötlich durchschimmernde Haut hatte einen fahlen, aschgrauen Ton angenommen. Nur seine strahlend blauen Augen machten genau denselben lebendigen Eindruck, wie ich ihn von einem kurzen Super-8-Film her kannte, der in Warschau aufgenommen worden war.

      Dieser Gegensatz irritierte mich ein wenig. Er hatte den durchdringenden Blick, der jemanden mit schlechtem Gewissen – und wer von uns hat nicht irgendwo wegen irgendetwas ein schlechtes Gewissen? – befangen werden ließ. F.s Leuten gegenüber hatte er behauptet, die letzten vier Stunden vor seiner Ausweisung verhört worden zu sein.

      »Sie haben mich nicht geschlagen«, betonte er. »Allerdings haben sie mir Schläge angedroht. Einer von diesen Kerlen, die den Verein drüben leiten – ein merkwürdiger Bursche mit rosigem Gesicht, der eher wie ein Pfarrer aussieht und eine Vorliebe für breitkrempige dunkle Hüte zu besitzen scheint – «

      »Mit hellblondem Haar und auffälligen Hängebacken?«, unterbrach ich ihn.

      Kofler musterte mich überrascht. »Sie haben schon mit ihm zu tun gehabt? Nun, sie drohten mir an …«, er stockte und schluckte kurz, ehe er fortfuhr, »falls ich – wie sie es nannten – im Westen meine revisionistischen Schmierereien, meine angeblichen Diffamierungen und Agitationsversuche fortsetzte, würden sie dafür sorgen, dass meine Schwester, sie lebt in der Schweiz, jeden Monat einen Finger meiner rechten Hand zugeschickt bekäme – der Schreibhand.«

      Er betrachtete seine Faust.

      »Was sind das für Leute«, stellte er kopfschüttelnd fest. Er schien tatsächlich peinlich berührt. Es wirkte echt.

      »Sie haben eine Schwester in der Schweiz? Davon wusste ich nichts.«

      »Zweiundsiebzig«, bestätigte er. »Eine alte Lehrerin. Aber noch sehr rüstig.«

      Wir gingen hinüber, und ich bot ihm Platz in seinem Apartment an. Er warf einen wohlwollenden Blick auf die Inneneinrichtung.

      »In Polen leben wir zur Zeit sehr armselig«, bemerkte er.

      Kruschinsky ging frische Brötchen und Tageszeitungen holen.

      An der Fahrstuhltür fing ich ihn ab.

      »Lass dein hageres Pickelgesicht um Gottes willen möglichst wenig bei uns sehen« – Kruschinsky hatte den Teint eines Primaners, der seine Pubertät in die Studienjahre verschleppt hatte –, »ich glaube, Kofler ist ein Ästhet, eine empfindsame Künstlerseele. In seinem Koffer haben wir ein Exemplar von Stefan Georges Im Jahr der Seele entdeckt«, raunte ich ihm zu.

      Das war nicht sehr freundlich, geschweige denn zartfühlend. Doch F. wollte möglichst wenig Kontakt der Techniker zu den Klienten, und das gelang am ehesten, wenn man sie auf irgendeine Weise beleidigte.

      Es fand sich immer ein Anlass dazu: O-Beine, Stottern oder eine Freundin, unter deren Pantoffel man angeblich stand – genug, um jemanden so vor den Kopf zu stoßen, dass er sich eine Zeit lang gekränkt an das Fenster mit dem L.D.A. (Laser-Daten-Austauscher) zurückzog.

      Besonders in der Anfangsphase neigten Neulinge dazu, jedem Gespräch, jedem Wortfetzen zu folgen, den sie aufschnappen konnten, und das hätte leicht dazu führen können, den Zweck der Aktion zu erraten.

      Da Kruschinsky auch für die Verpflegung und das Reinemachen der Wohnung zuständig war, ließ sich der