Nick Stein

Flammenkiller


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eine gestandene Kriminalhauptkommissarin Tag für Tag Uniform trug und im Streifenwagen fuhr, aber so war sie eben.

      Wir stiegen aus, Hinnerk zündete sich mit einem Sturmfeuerzeug seine Pfeife an, ohne die Augen von der Ersten zu lassen. Sie war einige Jahre jünger als er und verheiratet, dennoch konnte er seine Augen offenbar nicht abwenden, wie mir aufgefallen war.

      Als Svantje ausstieg, hatten wir die Aufmerksamkeit auf unserer Seite. Ihr roter Feuerkopf wirkte so, als ob sie mit einer großen, funkelnden Wunderkerze aus dem Auto gestiegen wäre.

      »Na so was, Sie sind ja doch hergekommen«, wunderte sich Erika Meier. »Sie kennen die Regeln, die Spurensicherung ist noch am Werk.«

      Die genannte Gruppe bestand aus Werner Reemtsma und einer jungen Kollegin, die meine Frau Lisa ersetzt hatte. Lisa wollte sich voll und ganz auf ihre medizinische Karriere und die Gerichtsmedizin konzentrieren und hatte ihren Job in der Spurensicherung an Johanna Kleinschmidt abgegeben, eine junge Kollegin, die gerade Fahrspuren in der Nähe mit schnell härtendem Zement ausgoss.

      Hinnerk ging ein paar Schritte abseits und zündete seine lange vorher gestopfte Pfeife an, während Svantje und ich uns, eingehüllt von seinen aromatischen Wolken, Überschuhe und Handschuhe überstreiften und auf Umwegen zum Fundort der Leiche gingen.

      Der Mann lag wie angekündigt in einer alten Badewanne, die als Pferdetränke auf der Weide diente. Seine beiden Unterschenkel hingen über den Wannenrand, sein Körper lag innen, mit beiden Armen überkreuz über dem Bauch. Sein Mund stand weit offen.

      Svantje beugte sich vor, um besser sehen zu können. »Iih«, sagte sie. »Das sieht aber scheiße aus.«

      Was sie beschrieb, war ein Gemisch aus Blut, Gehirn und Gewebeflüssigkeit, das sich erstarrt an den Schultern des korpulenten Mannes gesammelt hatte.

      »Dass da so viel von drin ist«, wunderte sie sich, bevor sie sich zur Seite beugte und sich von Keksen und Tee trennte.

      Ich hatte mich auch jedes Mal gewundert, wie viel Blut in einem Menschen drinsteckte. Beim Wannenmann war es hinten aus dem zerbrochenen Schädel ausgetreten, verursacht von einem Projektil, das vorne fein säuberlich ausgestanzt in die Stirn eingetreten war, hinter dem Austritt vermutlich aufgepilzt war und Knochen, Blut, Gehirn und ein Auge mit nach hinten gerissen hatte.

      Das linke Auge saß jedenfalls nicht mehr in seiner Höhle.

      Werner Reemtsma besah sich die Wanne von unten. »Kein Durchschuss«, befand er. »Die Kugel hat die gesamte Energie schon im Schädelbereich verbraucht.«

      Svantje wischte sich gerade den Mund mit einem Taschentuch ab, das ich ihr gereicht hatte. Hinnerk gesellte sich zu uns, paffte eine Wolke weißen Rauchs aus, die dem Vatikan bei der Papstwahl zur Ehre gereicht hätte, und besah sich den Schaden. »Hohlkopf«, sagte er. »Die Munition, großes Kaliber.«

      Svantje musste bei dem Wort Hohlkopf schon wieder kotzen, obwohl Tjaden das Geschoss und nicht den Schädel gemeint hatte.

      Sie kam wieder hoch, als Reemtsma und Kleinschmidt den fetten Oberkörper des Erschossenen am rechten Arm zur Seite zerrten. Auch unter dem Körper war alles voll von geronnenem und teilweise noch flüssigem Blut.

      »Das ist ja ein richtiger Wannsee«, stöhnte unser Leuchtturm. »Da muss man ja das Kotzen kriegen.«

      »Nix drunter«, sagte Kleinschmidt gerade. »Andere Seite, Werner.«

      Wir sahen den beiden zu, während die Erste zu uns trat. »Kennt jemand von Ihnen den?«, fragte sie uns.

      Wir sahen sie an und schüttelten nacheinander den Kopf. »Nie gesehen«, fasste ich zusammen.

      Das Gesicht des Mannes war bis auf das Loch in der linken Stirnseite intakt und gut zu erkennen. Das noch vorhandene Auge war dunkelbraun, darüber saßen kräftige Augenbrauen, die ein fleischiges Gesicht beschatteten. Die Nase war von vielen kleinen Äderchen durchzogen. Das intakte Auge sah für mich leicht mandelförmig aus.

      »Sieht aus wie dieser Präsident, dieser Sultan«, fand ich. »Nasreddin oder so, aus der Türkei, nur dicker, mehr Alkohol, und buschiger. Den kennt ihr doch, oder?«

      »Im Prinzip ja«, puffte Hinnerk mit einer Wolke Rauch aus. »Nur dass der Nursultan heißt, Nasarbajew mit Nachnamen, nicht Nasreddin, und dass er aus Kasachstan kommt, nicht aus der Türkei, aber sonst war alles genau richtig.«

      Wie kann er Nasarbajew heißen, wenn er nur Sultan heißt, wollte ich gerade sagen, als Johanna Kleinschmidt mit ihren Handschuhen etwas unter dem Sultan hervorzog, während Reemtsma die Leiche an der Hüfte auf die andere Seite gekippt hatte, so gut das bei ihrem Gewicht in der alten Wanne ging.

      »Wow«, staunte Kleinschmidt. »Kaliber neun neunzehn, würde ich mal so ins Blaue sagen. Hammer.«

      Irgendwo klingelte was bei mir. Waffen mit diesem Kaliber waren bei der Bundeswehr geklaut worden. Hatte das was miteinander zu tun?

      »Dann haben die den im Sitzen erschossen und dann reinplumpsen lassen«, schloss Reemtsma aus dem Fundort. »Sonst wäre die da nicht runtergepoltert.«

      Ich hörte es fast, als er das sagte. Das Knallen des Schusses, den dumpfen, feuchten Einschlag in die Stirn, das Knacken und Spritzen, als die Rückwand des Schädels in Stücke sprang, den metallischen Aufprall des aufgepilzten Projektils in der Wanne und das Herunterkullern des Metalls, während Hirn, Blut und Gewebe auf die Emaille platschten.

      Fast wurde mir so schlecht wie Svantje. Dies war nicht die erste hingerichtete Leiche, die ich sah. Die Leiche eines Hingerichteten, korrigierte ich mich. Die Leiche hatten der oder die Mörder ja nicht erschossen, der Mann hatte bestimmt noch gelebt.

      »Todeszeitpunkt?«, fragte Erika Meier gerade.

      »Das weiß der Amtsarzt besser«, fand Reemtsma. »Nicht sehr lange her, denke ich. Das Blut ist noch nicht komplett koaguliert, und die Leichenstarre hat auch noch nicht eingesetzt.«

      Ich drehte mich um. Ein Arzt und auch der obligatorische Leichenwagen waren noch nicht zu sehen.

      »Seht nach, ob ihr Papiere findet«, schlug die Erste vor.

      »Ich würde ihn dazu gern rausnehmen«, sagte Reemstma. »Fotos haben wir bereits reichlich gemacht. Ich möchte ihn da drüben hinlegen, wo keine Spuren sind.« Er zeigte auf eine Stelle auf der Wiese, wo hohes Gras wuchs und keine Pferdeäpfel lagen. »Dazu brauche ich ein paar starke Arme, der wiegt hundert Kilo oder mehr.«

      Svantje und ich traten vor. Ich sah meine Assistentin verwundert an. »Ich mache jeden Morgen achtzig Push-ups«, grinste sie. »Lass mich ruhig.« Handschuhe hatte sie an, und so griffen sich Svantje und die Kleinschmidt je einen Fuß, während Werner Reemtsma und ich die Leiche an den Armen packten. »Bei drei«, Reemtsma zählte. Bei drei hievten wir die schwere Leiche aus der Wanne oder versuchten es. Sie klebte am Rücken an ihrem eigenen Blutpudding, es machte ein saugendes Geräusch, bis wir ihn nach mehrmaligem Ruckeln loshatten und aufs Gras wuchten konnten.

      Der Mann war tatsächlich schwer gewesen. Fast hätte ich mir mit den blutverschmierten Handschuhen die Stirn abgewischt.

      »Komm, Lukas, wir drehen ihn um«, schlug Reemtsma vor. Wir duzten uns erst seit einer Woche, als Lisa ihren ehemaligen Kollegen für ein Abschiedsessen zu uns nach Haus eingeladen hatte. »Okay, Werner.«

      Als Svantje von hinten in die leere Hirnschale blickte, in die durch die leere Augenhöhle jetzt ein Grasbüschel pikste, kam ihr erneut der leere Magen hoch.

      Hinnerk kaute angestrengt auf seiner Pfeife und puffte bei jedem Atemzug Rauch aus wie eine aufgeregte Dampflokomotive.

      Werner Reemtsma störte das alles nicht. Er griff dem Toten in die Tasche, erst in die Fronttaschen, an die er jetzt besser herankam, dann in die hinteren Taschen. Hinten rechts steckte ein Portemonnaie, vorn links ein Autoschlüssel, vorn rechts hatte der Mann eine Rolle Geldscheine und Münzgeld. Reemtsma breitete alles auf einem Stück Papier aus, das Kleinschmidt ihm hingelegt hatte. »Fotos«, forderte er seine Assistentin auf. Die hatte ihre Handschuhe abgelegt und eine Kamera zur Hand genommen und fotografierte