Sylvia Giesecke

Ein tödlicher Job


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Ich bin von der hiesigen Kriminalpolizei und möchte mit Herrn Schrievers sprechen.“ Kurze Zeit später setzten sich die beiden Flügel des Tores in Bewegung und gaben den Blick auf ein beeindruckendes Grundstück mit einem noch beeindruckenderen Natursteinhaus frei. Smilla wandelte durch eine atemberaubende Blumenlandschaft bis zur Tür, wo sie bereits von einer kleinen, älteren Dame erwartet wurde. Die schlanke Frau führte sie in eine Art Bibliothek und bat um einen Moment Geduld.

      Doktor Schrievers entpuppte sich als äußerst sympathische Erscheinung. Der untersetzte Mann mit dem schütteren Haar begrüßte sie mit einem freundlichen Lächeln, „Guten Tag, Frau Berggrün, … bitte, nehmen sie doch Platz.“ Seine stahlblauen Augen strahlten hinter der dunkelgrünen Nickelbrille, „Darf ich ihnen etwas zu trinken anbieten? Vielleicht einen Kaffee oder mögen sie lieber Tee?“ Als Smilla dankend ablehnte, setzte auch er sich und schaute ihr offen ins Gesicht, „Was kann ich denn für sie tun, Frau Berggrün?“

      Die Hauptkommissarin legte Paulas Foto auf den Tisch, „Kennen sie dieses Mädchen?“

      Er nahm das Bild in die Hand, um es genauer zu betrachten, „Ja, … ja, ich kenne sie. Das ist Natalia, sie hat mir letzten Freitag den Abend versüßt.“

      „Im richtigen Leben hieß sie Paula Hankenfeld. Was meinen sie mit, den Abend versüßt? Hatten sie Sex mit Paula?“

      Karl-Heinz Schrievers lachte, „Gott bewahre, nein. Sex hat für mich schon vor längerer Zeit seine Bedeutung verloren. Ich genieße es einfach, wenn mir eine junge hübsche Frau ihre Aufmerksamkeit schenkt, ein wenig flirtet und sich nett mit mir unterhält. Nach dem Tod meiner geliebten Marie hat es für mich keine andere mehr gegeben. Ab und zu gönne ich mir den Spaß und gehe zu einer dieser etwas ruhigeren Cocktailpartys, die Herr von Auersbach manchmal veranstaltet.“ Sein Gesichtsausdruck wurde plötzlich ernst, „Wenn ich mich nicht verhört habe, dann sprachen sie bezüglich Paula in der Vergangenheit. Soll das etwa heißen, dass sie nicht mehr unter den Lebenden weilt?“

      Smilla nickte, „Paula wurde brutal vergewaltigt, gefoltert und ermordet. Man hat ihre Leiche heute Morgen am großen Perlweiher gefunden.“

      Seine Bestürzung war keinesfalls gespielt, in seinem Gesicht spiegelte sich ehrliches Entsetzen wieder, „Mein Gott, wie furchtbar, … das arme Mädchen. Wissen sie schon, wer das getan hat?“

      Wie gerne hätte Smilla diese Frage mit einem klaren Ja beantwortet, „Leider nicht, aber wir arbeiten daran. Wann haben sie die Party denn verlassen?“

      Der Doktor überlegte, „Hm, … ich glaube so gegen halb zwölf. Natalia, … ich meine Paula hat mich noch zur Tür begleitet und sich mit einem Wangenkuss von mir verabschiedet.“ Er kam nicht umhin zu seufzen, „Sie war ein wirklich nettes, charmantes Wesen und hatte so unglaublich viel Stil. Der Gedanke, dass ihr jemand so etwas Schreckliches angetan hat, lässt mich richtiggehend erschaudern.“

      Auch Smilla bereitete dieser Gedanke schmerzliches Unbehagen, aber für Gefühle fehlte ihr jetzt schlichtweg die Zeit, „Gab es vielleicht jemanden der Paula belästigt hat oder ist ihnen irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen?“

      Er zuckte etwas unbeholfen mit den Schultern, „Ich wünschte, mir wäre etwas aufgefallen, dann könnte ich ihnen wenigstens ein bisschen weiterhelfen. Aber bedauerlicherweise muss ich ihre Fragen verneinen.“

      „Sie haben mir trotzdem sehr geholfen“, sie legte ihm ihre Visitenkarte auf den Tisch und unterstützte ihre Handlung mit dem dazugehörigen obligatorischen Spruch, „wenn ihnen diesbezüglich noch etwas einfallen sollte, dann rufen sie mich bitte an. Egal, wie unwichtig es ihnen erscheinen mag. Ich danke ihnen für ihre Kooperation und wünsche noch einen schönen Tag.“ Wie es sich für einen Gentleman der alten Schule gehörte, begleitete er sie noch bis zur Tür. Eine gute Gelegenheit für eine allerletzte Frage, „Sie sprachen vorhin von den etwas ruhigeren Cocktailpartys. Was genau darf ich darunter verstehen?“

      Er wirkte fast ein wenig verlegen, „Nun ja, Herr von Auersbach bietet eine recht vielfältige Palette von ungewöhnlichen Partys an. Von der Mottoparty über exotische Events, bis hin zu diversen Maskenbällen, da ist für jeden Geschmack etwas dabei. Das Klientel ist stets ein anderes. Das Beste wird sein, sie befragen ihn persönlich zu der Vielzahl seiner gut besuchten Veranstaltungen.“

      „Vielen Dank, Herr Schrievers“, Smilla bekundete ihre Sympathie für den knuffigen alten Mann mit einem bezaubernden Lächeln, „wie gesagt, sie haben mir sehr geholfen und es war mir eine Ehre, sie kennenlernen zu dürfen. Auf Wiedersehen.“ Mit seiner Einschätzung bezüglich des Doktors hatte Damian von Auersbach recht behalten, der tat garantiert niemandem etwas zuleide. Auch sie verfügte über eine gesunde und gut ausgeprägte Menschenkenntnis, deshalb konnte sie ihn ruhigen Gewissens als Täter ausschließen.

      „Ich verlasse mich da voll und ganz auf deinen Instinkt, liebste Smilla“, Tiberius befand sich bereits in den Startlöchern, „dann sind es ja jetzt nur noch schlappe zweihundertzweiundvierzig Personen, die überprüft werden müssen. Da möchte man wahrlich nicht mit den Kollegen Dornhäuser und Krauschel tauschen. Hier ist die Liste der Mädchen. Bei Lydia Scheel habe ich uns schon mal telefonisch angekündigt. Sie erwartet uns in einer knappen Viertelstunde im Café Bernstein. Sie möchte wohl vermeiden, dass ihre Eltern etwas von ihrem Nebenjob mitbekommen.“

      „Wenn der Job doch so harmlos ist, wie dieser Auersbach behauptet, dann verstehe ich ihre Zurückhaltung nicht. Na dann los. Bin gespannt, ob diese Lydia uns mit fehlendem Wissen versorgen kann.“

      Kaum hatte Tiberius sich umständlich in den Mini gequetscht, rieb er sich den wohlgenährten Bauch, „Die sollen da einen besonders leckeren Kartoffelsalat mit Würstchen haben. Wenn die Zeit es erlaubt, dann werde ich mir eine kleine Portion davon gönnen.“

      Smilla wurde wütend, „Die Zeit wird es möglicherweise erlauben, dein Cholesterinspiegel sicher nicht. In meiner Gegenwart wirst du dieses Zeug garantiert nicht in dich reinstopfen, ich dulde nämlich keinen Selbstmord auf Raten.“ Sie schlug ihm mit der flachen Hand auf den Oberschenkel, „Man, Tiberius, werd endlich vernünftig und tu was für deine Gesundheit.“

      „Ist ja gut, … musst nicht gleich handgreiflich werden“, er rieb sich den brennenden Schenkel und hüllte sich für den Rest der Fahrt in beleidigtes Schweigen.

      Das Café Bernstein bot in gemütlicher Atmosphäre eine breite Palette an Kuchen und Snacks. Der überaus gute Ruf sorgte für ständigen Zulauf, weshalb man hier auch nur schwer einen Platz bekam. Um diese Zeit dominierten eindeutig die älteren, schmuckbehangenen Damen mit Hut die Szenerie. Smilla schaute sich suchend um. Eine hübsche Frau mit langen schwarzen Haaren saß allein am Tisch und spielte nervös mit ihrer Servierte. Da alle anderen weiblichen Anwesenden aus ersichtlichen Gründen nicht infrage kamen, steuerte Smilla sie auf direktem Wege an. „Frau Scheel?“ Die Angesprochene nickte. „Guten Tag, mein Name ist Berggrün und das ist mein Kollege Preussner. Mit ihm haben sie vorhin telefoniert. Dürfen wir uns zu ihnen setzen?“ Sie nickte erneut und deutete auf die freien Plätze. Während Tiberius sich hingebungsvoll der Speisekarte widmete, brachte die Hauptkommissarin es umgehend auf den Punkt. „Kennen sie diese Frau?“

      Lydia Scheel erkannte sie wieder, „Ja, aber nur flüchtig. Ich treffe sie hin und wieder bei den Partys auf Gut Auersbach. Letzten Freitag habe ich sie dort gesehen, da hat sie sich um den netten Herrn Schrievers gekümmert. Warum fragen sie nach ihr?“

      „Weil sie vermutlich unmittelbar nach dieser Party entführt, gefoltert und ermordet wurde.“

      „Das ist ja furchtbar“, der jungen Frau blieb nur ein kurzer Augenblick zum Verdauen, denn in diesem Moment trat die Bedienung an ihren Tisch.

      Eine freundlich lächelnde Dame mit weißem Häubchen und frisch gestärkter Schürze erkundigte sich nach ihren Wünschen. Tiberius bestellte sich ein Schwarzbrot mit Salat und Hähnchenbrust zum Mitnehmen inklusive eines kleinen Wassers, Smilla lehnte dankend ab. Sie konzentrierte sich lieber wieder auf ihr Gegenüber. „Wurden sie auf einer dieser Partys schon mal zum Geschlechtsverkehr aufgefordert oder hatten sogar welchen?“

      Sie wies diese Vermutung mit weit aufgerissenen Augen