Gary Maas

Der Kurier des Todes


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einer Pause fragte der Journalist: „Sind Sie immer so schweigsam? Müssen Beschatter ein Schweigegelübde ablegen? Oder ist Ihnen die Situation peinlich?“ „Eher peinlich, denke ich“, erwiderte Klaus. „So ist es richtig. So kommen wir ins Gespräch. Übrigens, an Hand des Nummernschildes kann man leicht ermitteln, wem das Auto gehört, das Sie fahren. Ihnen gehört es nicht. Wohl ein Firmenwagen, oder? Ihrer Firma wäre es wahrscheinlich unangenehm, wenn in der Zeitung stünde, man habe mich mit dem Firmenwagen beschattet, meinen Sie nicht auch?“ „Das würde wohl der Fall sein“, antwortete Klaus. „Das lässt sich wohl vermeiden. Ich will Sie nicht in Schwierigkeiten bringen. Ihre Vorgesetzten wären wohl aufgebracht, wenn sie erführen, dass ihr Beschatter mit seiner Zielperson, so heiße ich wohl, in vertrauter Atmosphäre frühstückt. Ist es nicht so?“ „Das ist anzunehmen“, antwortete Klaus.

      Dann schwiegen beide eine ganze Weile. Dann sagte der Journalist: „Sie werden wohl mitbekommen haben, dass ich selten mit einem Auto fahre. Lieber mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Ich habe eine Idee. Wir können zusammen zu der Zeitungsredaktion fahren. Davon hätten wir beide etwas. Sie blieben eng an Ihrer Zielperson dran und ich brauchte nicht zur Bushaltestelle zu laufen. Was halten Sie davon? Dabei können wir darüber plaudern, wie es mit uns weitergehen soll. Kommen Sie mit ins Wohnzimmer. Während Sie sich die Nachrichten im Fernsehen anschauen, räume ich in der Küche auf. Schon vor Ihrem Erscheinen heute Morgen hatte ich mich geduscht und umgezogen, wie Sie sehen. Es dauert nur zehn Minuten.“

      Zwanzig Minuten später saßen Klaus und der Journalist schweigend nebeneinander im Auto. „Ich finde es bedauerlich, dass es mir nicht gelungen ist, mit Ihnen richtig ins Gespräch zu kommen. Sie scheinen sehr solid zu sein.“ Dann brach es aus Klaus heraus: „Seit einer Stunde verarschen Sie mich nach Strich und Faden. Und mir ist klar, dass ich das verdient habe. Trotzdem ist die ganze Sache mir sehr unangenehm.“ „Können Sie sich vorstellen, dass es sehr unangenehm ist, beschattet zu werden? Vor allem, wenn man weiß, dass die Kreise, in deren Auftrag man beschattet wird, skrupellos und gefährlich sind.“ Dann schwiegen beiden wieder.

      Als Klaus vor der Zeitungsredaktion das Auto anhielt, sagte der Journalist: „Ich werde unsere Unterhaltung nicht ausplaudern. Wie Sie damit umgehen, bleibt Ihnen überlassen. Allerdings werde ich Sie künftig freundlich grüßen und Ihnen zuwinken, wenn ich Ihrer ansichtig werde.“ Dann stieg der Journalist aus dem Auto aus.

      Kapitel 3: Die Beichte

      Am Abend parkte Klaus sein Auto in der Parkgarage des Flughafens und lief zu dem Ankunftsterminal. Er hatte beschlossen, dem Chef alles zu beichten. Keine Geheimnisse vor den Vorgesetzten. Das war schon immer Klaus‘ Devise. Eine halbe Stunde später öffnete Klaus seinem Chef die Autotür und der Chef setzte sich ins Auto. Klaus lief um das Auto herum und stieg ein.

      Als Klaus die Umgehungsstraße erreichte, begann er seine Beichte: „Etwas Schlimmes ist vorgefallen. Bei der Beschattung des Journalisten bin ich aufgeflogen.“ „Wie ist denn das passiert?“ „Anscheinend war ich nicht immer vorsichtig genug. Als ich heute Morgen mein Auto etwa 70 Meter von seinem Haus in seiner Straße parkte, hatte ich kaum den Motor ausgeschaltet, als er plötzlich an meinem Seitenfenster stand und dagegen klopfte. Ich ließ das Fernster herunter und er lud mich zu einem Frühstück ein. Ich war so überrumpelt, dass ich ihm in sein Haus folgte. Er sprach fast die ganze Zeit. Er sagte mir zum Beispiel, er wisse, wem mein Auto gehört. Schließlich schlug er vor, ich könnte ihn in seine Redaktion fahren, da ich ihn sowieso beschatten wollte. Als er aus dem Auto ausstieg, betonte er, er würde mich künftig freundlich grüßen. Er hat mich die ganze Zeit verscheißert. Es war richtig demütigend.“ „Herr Müller, Sie haben sich ziemlich ungeschickt angestellt. Sie hätten sofort wegfahren sollen, als er gegen Ihr Seitenfenster klopfte. Aber jetzt können wir Ihr ungeschicktes Verhalten nicht rückgängig machen. Sie bekommen ab morgen Unterstützung von zwei Partnerfirmen. Ich sorge dafür, dass Sie insgesamt drei Mitarbeiter bekommen, die Sie morgen einweisen werden. Sie versorgen sie mit allen Informationen, die Sie bis jetzt gesammelt haben. Danach arbeiten Sie einen Überwachungsplan aus. Teilen Sie die Mitarbeiter so ein, dass sie einander regelmäßig ablösen können. Wir zeigen dem frechen Burschen seine Grenzen auf.“

      Nachdem Klaus den Boss vor dessen Villa abgesetzt hatte, fuhr er nach Hause. Er hatte an diesem Tag genug erlebt. Als Klaus sich an den Küchentisch setzte, sagte Brigitte: „Du siehst irgendwie ein wenig blass aus, Klaus. Geht es dir nicht gut?“ „Ich glaube, du hast recht. Ich habe in letzter Zeit ein wenig zu viel gearbeitet, aber morgen werden mir drei Kollegen zugewiesen, an die ich einige Aufgaben abtreten kann. Ich bringe meine Pizza gleich zu dir ins Wohnzimmer. Sind die Kinder schon nach oben gegangen?“ „Ja. Beide behaupten, sie müssten für Arbeiten lernen. Wie bin ich froh, dass sie ihre Schulaufgaben selbständig erledigen. Das ist ein wahrer Segen.“

      Kapitel 4: Teamarbeit

      Am nächsten Morgen war Klaus schon um halb neun im Besprechungszimmer. Der Boss hatte ihm eine SMS geschickt und ihn aufgefordert, sich dort um halb neun einzufinden. Am länglichen Konferenztisch, an dessen Ende der Boss thronte, saßen Klaus und seine drei Assistenten. Waren sie wirklich seine Assistenten oder hatte der Boss schon beschlossen, Klaus zu deren Handlanger zu degradieren? Wie auch immer seine Rolle vom Boss definiert würde, Klause würde sich der Entscheidung fügen.

      Als alle Anwesenden sich Kaffee eingeschenkt und Kekse auf ihre Tellerchen gelegt hatten, ergriff der Boss das Wort: „Wir haben in der Öffentlichkeitsarbeit ein Problem, das wir dringend einer Lösung zuführen müssen.“ Klaus horchte auf, denn er wusste, dass es ernst würde, wenn der Boss geschwollen daherredete. Aber dann beruhigte sich Klaus etwas, denn der Boss fuhr in seinem gewohnt schnoddrigen Ton fort. „Ein Möchtegernjournalist versucht uns in die Suppe zu spucken und uns madig zu machen. Bei unseren Gönnern und Kunden kommen die Einschläge immer näher. Der übereifrige Schnüffler verunsichert Politiker, Kunden und Mitstreiter. Seine Fragen verraten, dass er irgendwo ein Leck in unserem vernetzten Kreis ausfindig gemacht hat. Sonst ist nicht zu erklären, wie er an einige Informationen gekommen sein konnte, die er bei seinen Anfragen durchschimmern lässt. Jetzt verfolgen wir drei Absichten: Erstens versuchen wir herauszufinden, wo der Schnüffler Dreck am Stecken hat. Wenn wir etwas Saftiges aufdecken könnten, würden wir ihm das Maul stopfen. Zweitens bemühen wir uns das Leck zu finden. Finden wir die Ratte, die mit dem Journalisten plaudert, werden wir sie hart anfassen und ausschalten. Was das heißt, überlasse ich Ihrer Fantasie. Drittens werden wir, wenn alle Stricke reißen, nicht umhinkommen, den Journalisten auf die eine oder andere Weise zu beseitigen. Gibt’s Fragen? Wenn die ganze Angelegenheit jemandem von Ihnen zu brenzlig vorkommt, soll er sofort aussteigen und danach den Mund halten. Alles klar?“ Wie Klaus es erwartet hatte, meldete sich niemand zu Wort. Dann fuhr der Boss fort: „Sie wissen alle, dass Sie einige Aufträge ausgeführt haben, die, sagen wir mal verharmlosend, nicht ganz koscher waren. Darüber haben wir selbstverständlich belastende Unterlagen. Deshalb möchte ich Ihnen nahelegen, nicht auf dumme Ideen zu kommen. Ich gehe davon aus, dass ich mich klar genug ausgedrückt habe. Ist das bei jemandem nicht der Fall?“ Wie Klaus erwartete, meldete sich niemand. Wie oft hatte Klaus die Masche des Bosses schon erlebt, ohne dass irgendjemand es gewagt hätte, sich als widerborstig zu zeigen.

      Nach einer Pause redete der Boss weiter: „Herr Müller wird allen anderen mitteilen, was er bis jetzt über den Schnüffler herausgefunden hat. Die weitere Observierung wird ab jetzt dadurch erschwert, dass Herr Müller bei seiner Beschattung des Journalisten aufgeflogen ist und der Schnüffler vorgewarnt ist. Sie müssen sehr vorsichtig vorgehen. Die Details überlasse ich Ihnen. Sie versuchen Belastendes über den Mann herauszufinden. Er wird bestimmt irgendwelche Leichen im Keller haben. Die haben wir alle. Außerdem versuchen Sie zu ermitteln, wie er mit der Ratte Kontakt aufnimmt. Vielleicht kommuniziert er nur auf elektronischem Weg mit dem Leck, aber unter Umständen treffen sie sich gelegentlich. So das war es. Ich verabschiede mich. Herr Müller wird Sie über das weitere Vorgehen unterrichten. Herr Müller, ich möchte alle zwei Tage einen Bericht über die Observierungsfortschritte erhalten, und zwar persönlich. Sie vereinbaren Termine mit mir per SMS.“

      Nachdem der Boss den Raum verlassen hatte,