Tilmann Haberer

Sex & Gott & Rock'n'Roll


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die alten Dummheiten.

      „Ich freue mich wahnsinnig, dass wir wieder miteinander reden können. Wenn es nach mir geht, können wir lang und oft reden, über alles, alles Mögliche.“

      Johnny sieht ihr in die Augen. Nickt. „Ja, Jeannie. Wenn es nach mir geht, auch. Vielleicht sind wir endlich so erwachsen geworden, dass wir wieder miteinander reden können. Lang und oft.“

      Das Glücksgefühl wird stärker, füllt sie ganz aus. Vielleicht ist es ja so.

      Vielleicht sind sie endlich angekommen. Erwachsen geworden. Reif für die Liebe.

      21

      Das Gefühl der Freiheit hielt an, das sich nach dem Streit wegen Gabis Hexenjagd auf Isabell zum ersten Mal schüchtern geregt hatte. Ungewohnt war es, schien nicht so recht zu passen. Hannes fühlte sich wie nach einem langen Tag auf der Skipiste, wenn die Füße endlich aus den schweren Plastikstiefeln befreit sind und sich die normalen Treter vollkommen schlabberig und viel zu weit anfühlen. Aber dennoch: viel leichter.

      Hannes tat Dinge, die für ihn einer kleinen Revolution gleichkamen. Am Wochenende nach der Fahrt zu Jürgens Hochzeit holte er seine Plattensammlung aus dem Keller. Gabi war mit den Kindern bei ihren Eltern und bekam nicht mit, wie er zum ersten Mal seit Jahren Janis Joplin auflegte. Me and Bobby McGee – ja, das musste der erste Song sein, den er hörte nach so langer Abstinenz. Freedom is just another word for nothing left to lose… Danach Taste, dann Hendrix. Boten aus einer anderen Zeit, einer anderen Welt. Drecksmusik, hatte Gabi befunden und die ganze Sammlung in den Keller getragen, zu seinen Büchern, während er in der Arbeit war. Immerhin hatte sie sie nicht gleich verbrannt.

      Am Mittwoch darauf ging er nach der Arbeit mit Simon noch auf ein Bier, kam erst zur Abendessenszeit nach Hause. Fand Gabi und die Kinder wieder ausgeflogen, ein Zettel auf dem Küchentisch. Wo bleibst du! Nichts zu essen im Haus. Bin bei den Eltern. Hannes schwankte kurz zwischen Bestürzung, Ärger und Erleichterung und entschied sich schließlich für Erleichterung. Nothing left to lose. Ja, was hatte er schon zu verlieren!

      Gabi sagte nichts zu seinen kleinen Unbotmäßigkeiten. Sie sprach eigentlich gar nicht mehr mit ihm. Manchmal kam er sich vor wie ein Hausangestellter, den die Herrschaft gar nicht bemerkt, jedenfalls solange er funktioniert. Also beschloss er, zwischendurch mal nicht zu funktionieren. Rief vom Büro aus an, dass er nicht dazu kommen werde, einzukaufen, ob Gabi nicht Milch, Gelbwurst und einen Kopf Salat besorgen könne. Fand dann beim Heimkommen wieder eine leere Wohnung vor, nicht mal einen Zettel hatte sie dieses Mal geschrieben. Um neun kam sie nach Hause, zwei todmüde, heulende Kinder im Schlepptau. Stellte die Kinder einfach bei ihm ab und verzog sich in ihr Zimmer. „Ich habe die Kinder den ganzen Tag gehabt, jetzt bist du dran!“

       O, sie hat mit mir gesprochen!

      Hannes übernahm die Kinder, brachte sie ins Bett. Er las zum achthundertelften Mal den Räuber Hotzenplotz vor, und als er das Buch zuklappte und den Kindern ihren Gutenachtkuss gab, murmelte Lukas: „Ich hab dich ganz arg lieb, Papi.“ Judith sekundierte: „Und ich hab dich auch ganz, ganz arg lieb!“ Das Glück fuhr ihm wie ein Messer durch die Magengrube und er spürte, wie ihm die Tränen kommen wollten. Mochte Gabi ihn tausendmal hassen und verachten, hier gehörte er hin. Wenn es die Kinder nicht gäbe… – aber weiterzudenken verbot er sich. Erstens gab es die Kinder, hier lagen sie, zugedeckt bis zum Kinn, blinzelten gegen den Schlaf an und erklärten ihm ihre Liebe. Und zweitens… er hatte Gabi versprochen, sie zu lieben, zu achten und zu ehren, bis der Tod sie schied. Und wenn es noch so schwer fiel.

      Er schloss die Tür zum Kinderzimmer und zog sich aufs Sofa zurück. Ließ den Plattenspieler vorerst aus, er wollte Gabi nicht noch mehr reizen. Das heißt, reizen wollte er sie sowieso nicht, darum ging es ja nicht. Nur etwas von seinem eigenen Leben zurückhaben, das wollte er. Er stand noch einmal auf, ging in den Keller, wühlte in den Bücherkisten. Fand den Herrn der Ringe, setzte sich wieder aufs Sofa und ließ sich entführen. Vergaß, als er bettschwer seine Schlafstatt baute, nicht, das Buch in der Truhe verschwinden zu lassen, in der tagsüber das Bettzeug untergebracht war. Gabi wäre sicher nicht mit dieser Lektüre einverstanden. Zauberer, Zwerge, Elben… satanisches Zeug, würde sie sagen.

      Ja, Gabi machte es ihm schwer. Was blieb eigentlich noch von seinem Leben? Sein Beruf, das Büro, die Architektur. Und die Kinder. Alles andere war Vergangenheit. Gabi und seine große Liebe zu ihr (von Jeannie einmal zu schweigen), die Musik, eigentlich sein ganzes Leben. Alles verloren. Und es schien keinen Ausweg zu geben.

      Aber Hannes wollte sich nicht mehr damit abfinden, dass sie sein ganzes Leben kontrollierte. Das Bier nach der Arbeit machte er sich zur Gewohnheit, einmal die Woche, meistens am Dienstag. Und wann immer er alleine in der Wohnung war, legte er seine Platten auf. Hörte Cream, die Stones, Hendrix, Rory Gallagher. Sehr häufig gelang das nicht, und immer wenn er den Schlüssel in der Wohnungstür hörte, drehte er die Lautstärke ab und nahm die Nadel von der Platte. Er hatte einfach keine Lust auf Streit. Doch dann holte es ihn ein.

      Ausgerechnet Paranoid lief, sein Jeannie-Herz-und-Schmerz-Stück, als Gabi ins Wohnzimmer platzte. Er hatte gar nicht so laut aufgedreht, trotzdem hörte er sie nicht kommen. Wie hereingebeamt stand sie auf einmal vor ihm, rauchend vor Zorn. „Mach sofort diesen satanischen Dreck aus!“, herrschte sie ihn an. Ohne nachzudenken stand Hannes auf, ging zum Plattenspieler. Streckte die Hand aus, hielt einen Moment inne. Seine Finger wanderten nicht zum Tonabnehmer, sondern zum Lautstärkeregler. Drehten auf bis zum Anschlag. I tell you to enjoy life, I wish I could but it’s too late, krachte Ozzy Osbornes Stimme aus den Boxen. Immer noch ohne nachzudenken drehte er sich auf dem Absatz um, sah Gabi an. Die war weiß wie die Wand. Schien einen Augenblick zu schwanken, griff ins Leere, wie um sich festzuhalten. Ihr Blick wurde glasig, dann riss sie sich sichtlich zusammen. Machte ihrerseits einen Satz zum Plattenspieler und bevor Hannes begriff, was vor sich ging, hatte sie den Tonabnehmer von der Platte gefegt, die LP vom Teller gerissen, hielt die Platte mit beiden Händen, hob das Knie. Mit einem lauten Knall brach das Vinyl in tausend Scherben. Mit Funken sprühenden Augen stand Gabi vor ihm, in beiden Händen ein Bruchstück seiner Schallplatte. In der plötzlichen Totenstille klang ihr heiseres Flüstern wie das Donnerwort eines Racheengels: „In diesem Haus wird kein Satanslärm gespielt, damit das klar ist!“

      Hannes war starr, weniger vor Schreck als vielmehr vor ungläubigem Staunen, dass Gabi es tatsächlich fertig gebracht hatte, die Platte vor seinen Augen zu zerbrechen. Die beiden Bruchstücke, die sie in der Hand gehalten hatten, flogen ihm vor die Füße. „Du hast sie nicht mehr alle, Gabi. Echt.“ Mehr fiel ihm nicht mehr ein. Dann ließ er sie stehen, verließ das Zimmer. Lukas und Judith, die alles durch die geöffnete Tür mitverfolgt hatten, guckten konsterniert auf ihre Mutter. „Mama, du blutest“, rief Lukas ängstlich. Ein Stück von dem splitternden Vinyl hatte Gabi in die Hand geschnitten. So stürzte Hannes, statt Schaufel und Besen in der Kammer zu suchen, ins Bad, holte Heftpflaster und eine Mullbinde, sprang zurück ins Wohnzimmer, vorbei an Judith, die fassungslos weinte. Lukas hielt Gabis Hand in seiner und begutachtete sie wie ein Großer. „Ist nicht so schlimm“, sagte er tapfer, mehr um sich selbst zu trösten als seine Mutter. Willenlos ließ Gabi zu, dass er ihre Hand nahm, den Schnitt untersuchte. Er war tatsächlich nicht tief, nur an einer blöden Stelle, mitten auf dem Handballen. Ein Heftpflaster würde nicht reichen, Hannes machte ihr einen Verband. Was wird sie ihren Freundinnen erzählen! Egal. Es war ihm wirklich egal, was Nadine von ihm denken mochte oder Edda oder Uschi. Die hielten ihn wahrscheinlich ohnehin für eine Ausgeburt des Bösen.

      Und trotzdem hielt er mit einem sturen Trotz an der Ehe fest, an der Treue, die er Gabi versprochen hatte. Ich will dich lieben, achten und ehren, bis der Tod uns scheidet. Das hatte er ihr versprochen und dieses Versprechen war er gewillt einzuhalten. Immer noch. Auch wenn das mit der Liebe nicht mehr so recht klappte, die Achtung zu bewahren war das Mindeste, was bleiben sollte.

      ***

      Doch dann fiel der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Es war ein paar Tage nach der Zerstörung seiner Schallplatte.