Franziska Thiele

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Vielleicht mag es traurig klingen, aber es fühlt sich okay an, denn das ist meine Wahl: Wenn ich so unterwegs bin, dann ist mein Hund mir doch mein liebster und einziger Gefährte. Das einzig wirklich traurige daran ist wohl, dass der Hund nur in der parallelen Welt existiert, genau genommen ein nur ein Zahlenkonstrukt eines Programmierers ist – doch nun, wo wir alle uns die meiste Zeit dort aufhalten, ist mehr der Gedanke daran als die Tatsache das finstere.

      Doch kommen wir einmal von mir weg, denn ich weiß nicht, ob ich ein passendes Beispiel bin. Am wichtigsten ist das Verständnis für die zeitlichen Geschehnisse, um sich, wie schon Franz Kafka sagte, kein Bild von den Menschen zu machen. Wenn wir an ganz alte Zeiten denken, Jahrhunderte wie im Mittelalter, als die Familien in engsten Räumen lebten und sich das Essen teilen mussten, so waren die Voraussetzungen, die das Leben bot, schlicht so schwierig, dass den Menschen nichts anderes übrig blieb, als mit der Familie ums Überleben zu kämpfen. Vergleicht man diese sozialen Zustände mit denen des 20 oder besser noch des 21 Jahrhunderts, so erkennt man hier die größten Unterschiede: Der Individualismus ist für viele Menschen zum Dogma geworden – nicht, weil sie alle gefühlskalt und asozial wären, sondern weil andere Bedingungen und Voraussetzungen herrschten: Die Kinder wurden in Kindergärten und Schulen zum Gehorsam und zum Eifer nach guten Noten, wobei sie immer die der anderen Schüler im Auge hatten und besser sein sollten, erzogen – sie lernten also, dass Anerkennung auf Leistungen beruht – dabei spielte es keine Rolle, ob diese Leistungen ihnen Spaß machten oder nicht – jedes Kind sucht Anerkennung. Schließlich ging es weiter mit der Arbeit, der Karriere, die für gesellschaftliche Anerkennung sorgte – das System also konnte und sollte, wie wir noch feststellen werden, dazu führen, dass keine Zeit mehr für soziale Bindungen blieb. Nach der Schule zogen die Jugendlichen aus, immer dem Köder einer anerkannten Stellung hinterher: Es sieht von außen doch paradox aus: Die Menschen vereinsamen durch die Arbeit, die zu gesellschaftlicher Akzeptanz führen soll.

      Diese Menschen, die so gelebt, so gelernt haben, diese Menschen leben nun auch hier – der Zweierbund mit einem Partner oder einer Partnerin ist einer der wenigen, der länger hielt und so sieht man auch im virtuellen hier und jetzt häufiger Paare als komplette Familien, wo nun die Möglichkeiten für ein gemeinsames Leben unter ausgesuchten Menschen offen stehen würden. Viele Menschen sind freundlicher geworden, das ja, nur hat man oft das Gefühl, dass sie noch immer nach der Arbeit streben, ohne ihre Sinnlosigkeit anzuerkennen, und nicht nach sozialer Nähe – ein Relikt dieser Zeit, als Arbeit ein Synonym für Gesellschaftszugehörigkeit war. Was ich also sehe, sind hier und da zusammensitzende Menschen, Freunde, die nicht vergessen haben, dass es Freundschaft gibt, seltener Familien. Oft trifft man Paare, die spazieren gehen und sehr oft sind die Menschen allein, allein in der Masse in der Stadt, im Kino. Arbeit an sich ist ein Begriff, dem mittlerweile zu viel anhaftet. Was ich hier meine sind Tätigkeiten, die einem guten gesellschaftlichen Status entsprechen. Man kann den Menschen, die soziale Bindungen längst schon mit dem Status ersetzt haben, also keinen Vorwurf machen.

      Die Entwicklung, die bereits im 19. Jahrhundert mit der Industrialisierung und den einher kommenden Arbeitersiedlungen stark gefördert wurde, war, denke ich von der Perspektive jetzt, kein Zufall – denn so, wie wir jetzt leben, wäre es mit engen Familienbindungen gar nicht möglich. Allein wir sind durch unsere Gedankenübungen gezwungen, viele Tage alleine zu verbringen. Dann folgt die Möglichkeit der Indoktrinierung durch Einspeisung sämtlicher Lehrmaterialien. Das ist zwar kein Zwang, doch erhält man durch das Wissen, das sorgfältig ausgesucht und abgewägt ist, wie früher, im allgemeinen Anerkennung. Ich für meinen Teil sehe das ganze als eine sich zuspitzende Entwicklung und keineswegs als überraschend an. Die Menschen mussten von einander getrennt werden, mussten sich selbst als das Wichtigste erkennen, um bereit zu sein, in dieser Welt zu leben. Die Abhängigkeit untereinander wurde nach und nach gelöst, wie eine Zwiebel, die viele Schichten hat, wurden die sozialen Bindungen nach und nach von einander abgezogen, was für einzelne oft genau so tränenreich, wie das Schälen einer Zwiebel war, doch schließlich sieht ein jeder nur sich selbst, konnte ein jeder oft nur auf sich selbst sehen, denn von allen Seiten her drängte man ihn in ein angepasstes arbeitsames Leben. Ob diese auf sich selbst bezogene Orientierung gut oder schlecht ist, kann ich, der auch nur sich selbst im Mittelpunkt hat wahrscheinlich schlecht bewerten. Letztendlich sind wir nur zu leicht zu durchschauen, wir sind gepellt wie die Zwiebel, unser Inneres liegt offen, die meisten Tränen sind getrocknet, wir tun stark, doch sind verwundbar.

      Bin ich glücklich oder nicht, alleine wer bin ich, was macht mich noch aus? Auch wenn mich die Karriere nie sehr gereizt hat, kann ich doch auch nicht sagen, dass ich auf der anderen Seite dafür umso mehr Zeit mit meinen Mitmenschen verbracht hätte – früher war ich viele Stunden am Tag im Internet, jetzt spaziere ich umher und, ja, ich muss zugeben, ich genieße sogar die Möglichkeit der Einsamkeit in einer endlos weit scheinenden Welt. Ich war hier über viele Jahre zumindest zufrieden, meistens – manchmal. Ich habe es sehr wohl versucht soziale Kontakte zu knüpfen, wie es so schön bei den Pädagogen heißt, habe mich für meine Verhältnisse durchaus oft unter die Menschen gesetzt, war tagelang bei Bekannten, doch fühle ich mich dort eher gezwungen, ohne einen direkten Zwang zu erkennen – es ist mir dann, als müsste es einen Grund für das zusammen sein geben, doch da es keinen gibt, habe ich nur drängende Unruhe in mir verspürt. Mir fällt selbst auf, wie pathetisch das alles klingt und auch melancholisch, doch gibt es auch Wochen, denn die Zeit spielt keine Rolle, da liebe ich die Möglichkeiten hier, die unendliche Landschaft, mein unendlich scheinendes Können, das unendlich scheinende Leben. Alles wirkt unendlich, da unser Denken die Unendlichkeit und auch die darunter liegenden Größen nicht fassen kann. Die Gedanken suchen immer Relationen, die es zur Unendlichkeit nicht gibt, denn was ist eine 5 oder eine 353460ß090586095 zur Unendlichkeit?

      -Erzähler-

      Menschen, vor allem Jugendliche, die den ganzen Tag vor ihren Videospielen saßen, wurden als süchtig bezeichnet. Beim Internet sah es anders aus: Der Suchtfaktor wurde außer Acht gelassen, um das Internet, vor dem so viele Menschen den ganzen Tag in ihrer Arbeit saßen, nicht in ein negatives Licht zu rücken. Das Internet spielte eine bedeutende wirtschaftliche Rolle: Als der Handel noch auf Nationalstaaten unterteilt war und die Preise durch Börsenkurse festgelegt wurden, waren diejenigen, die eine direktere Serververbindung hatten, kleinste, aber bedeutendste Millisekunden schneller als alle anderen und konnten sich somit Vorteile schaffen, die sich schnell summierten. Auf jeden Schreibtisch stand ein Internet fähiger Computer, der nicht nur für die Arbeit genutzt wurde. Von einem Suchtfaktor trauten sich die wenigsten zu sprechen. Dies war eine Entwicklung, die den passenden Übergang zu einem Leben in der parallelen Welt ermöglichte.

      Die Problematik um die ausgehenden Ressourcen spielte eine weitere wichtige Rolle. Nachdem die jetzige Staatsmacht durch militärischen Interventionen auf Staaten, wie es sie noch gab, die Kontrolle über die Ressource Erdöl übernahm, wurden die Felder der Länder ausgepumpt. Länder wie Afghanistan, Iran, Syrien oder der Irak wurden nach und nach destabilisiert, auch hier dienten angebliche Terroristen, oder der Bau angeblicher Atomwaffen in diesen Ländern als passender Vorwand, um einen militärischen Einsatz zu rechtfertigen. Jetzt wird kaum noch darüber gesprochen. Die Geschichtsbücher, deren Inhalt man sich mittels Übertragung in das Gehirn innerhalb weniger Minuten einspeisen kann, sprechen über diese Themen, die den Menschen durch die erzeugte Angst erst zu dem geformt haben, was sie heute sind in einem einzigen Abschnitt, der die Überschrift „Terroristische Bedrohungen durch islamistische Kulturen“ trägt. Hier wird weder von erbeuteten Ressourcen noch von der geschändeten Zivilbevölkerung gesprochen – ein Kapitel, welche eher den Namen „ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt“ verdient und in ein Märchenbuch gehört, doch ist es nur ein Beispiel für die Darstellungen in den Geschichtsbüchern.

      Die Ressource Erdöl war in allem enthalten: Plastik, das nun auf den Meeren riesige Inseln bildet, und für jegliche Verpackungen, Kleidungen, den Bau und Antrieb von Maschinen und Fahrzeugen, um nur einige der zahlreichen Beispiele zu nennen, in Massen gebraucht, bis es schließlich rar wurde - man musste also letztendlich eine Möglichkeit finden, um mit wesentlich weniger Erdöl zurecht zu kommen. Vorausgesehen wurde das zu Ende gehen der endlichen Ressource schon lange, doch wollte niemand vom bisherigen Standard wieder einen Schritt zurück treten, insbesondere nicht, wenn der Standard, die notwendigen für das System