hätte man, was die Form angeht, höflicher ausdrücken können; was aber den Inhalt betraf, war sie an diesem Morgen zufälligerweise völlig richtig. Nach der Trennung von Magdalen hatte Frank in sicherer Entfernung im Sträuchergarten gewartet für den Fall, dass sie sich aus der Begleitung ihrer Schwester löste und sich wieder zu ihm gesellte. Als Mr. Vanstone unmittelbar nach Norahs Abgang auftauchte, fühlte er sich nicht ermutigt, sich zu zeigen, sondern er entschloss sich, zum Cottage zurückzukehren. Unzufrieden spazierte er zurück; so geriet er seinem Vater in die Klauen, völlig unvorbereitet auf die Ankündigung, die ihm an diesem entsetzlichen Ort bevorstand: Er werde nach London abreisen.
In der Zwischenzeit hatte Mr. Vanstone die Nachricht ebenfalls weitergegeben – zuerst an Magdalen und dann, nachdem er wieder im Haus war, an seine Frau und Miss Garth. Mit seiner mangelnden Beobachtungsgabe bemerkte er nicht, dass Magdalen unerklärlich verdutzt und Miss Garth unerklärlich erleichtert war, als er über Franks glückliche Fügung berichtete. Ganz arglos redete er weiter darüber, bis die Glocke zum Mittagessen rief – und nun bemerkte er zu ersten Mal Norahs Abwesenheit. Nachdem sie sich um den Tisch versammelt hatten, schickte sie aus dem oberen Stockwerk eine Nachricht: Sie habe Kopfschmerzen und werde in ihrem Zimmer bleiben. Als Miss Garth kurz darauf nach oben ging und ihr die Nachricht über Frank mitteilte, schien Norah seltsamerweise nur sehr wenig erleichtert zu sein. Mr. Francis Clare, so bemerkte sie, sei schon einmal weggegangen und dann zurückgekommen. Er könne wieder zurückkommen, und das früher, als sie alle glaubten. Mehr sagte sie zu dem Thema nicht; mit keinem Wort erwähnte sie, was im Sträuchergarten vorgefallen war. Es schien, als habe die unüberwindliche Zurückhaltung seit dem Ausbruch am Morgen noch stärker in ihr Fuß gefasst. Später am Tag begegnete sie Magdalen, als sei nichts geschehen; eine formelle Versöhnung fand zwischen ihnen nicht statt. Es gehörte zu Norahs Eigenheiten, dass sie vor jeder offen bestätigten Versöhnung zurückschreckte und ihre scheue Zuflucht in einem Einvernehmen suchte, das schweigend unterstellt wurde. An ihrem Aussehen und Betragen erkannte Magdalen ganz deutlich, dass ihre Schwester ihren Protest zum ersten und letzten Mal geäußert hatte. Ob der Beweggrund nun Stolz, Verdrossenheit oder Misstrauen gegen sich selbst war, oder ob sie verzweifelt etwas Gutes tun wollte, das Ergebnis war nicht zu verkennen: Norah hatte sich entschlossen, in Zukunft untätig zu bleiben.
Am späteren Nachmittag riet Mr. Vanstone seiner ältesten Tochter, sie solle mit ihm eine Ausfahrt unternehmen, weil dies die beste Arznei gegen Kopfschmerzen sei. Sie sagte bereitwillig zu, ihren Vater zu begleiten; der schlug wie üblich vor, Magdalen solle sich ihnen anschließen. Aber Magdalen war nirgendwo zu finden. Zum zweiten Mal an diesem Tag war sie allein über das Anwesen spaziert. Daraufhin erklärte sich Miss Garth – die Norahs Ansichten übernommen hatte und vom einen Extrem, Frank völlig zu übersehen, ins andere verfallen war und ihm nun zutraute, innerhalb von fünf Minuten das Durchbrennen zu organisieren – freiwillig bereit, sich sofort auf den Weg zu machen und die junge Dame wenn irgend möglich zu finden. Nach längerer Abwesenheit kehrte sie unverrichteter Dinge zurück; in ihrem Kopf trug sie die felsenfeste Überzeugung, dass Magdalen und Frank sich heimlich irgendwo getroffen hatten, aber sie hatte nicht den geringsten Anhaltspunkt entdeckt, der ihren Verdacht hätte bestätigen können. Mittlerweile stand die Kutsche vor der Tür, und Mr. Vanstone war nicht bereit, länger zu warten. Zusammen mit Norah fuhr er weg; Mrs. Vanstone und Miss Garth saßen zu Hause über ihren Handarbeiten.
Nach einer weiteren halben Stunde trat Magdalen still ins Zimmer. Sie war blass und niedergeschlagen; Miss Garth’ Vorhaltungen nahm sie mit erschöpfter Unaufmerksamkeit hin. Sie erklärte unbekümmert, sie sei im Wald herumgewandert; griff nach ein paar Büchern und legte sie wieder hin; seufzte ungeduldig und ging nach oben in ihr Zimmer.
„Ich glaube, Magdalen spürt die Nachwirkungen von gestern“, sagte Mrs. Vanstone leise. „Es ist genau wie wir gedacht haben. Nachdem das Theatervergnügen jetzt vorüber ist, quält sie sich und will mehr.“
Hier eröffnete sich die Möglichkeit, das Licht der Wahrheit in Mrs. Vanstones Geist einzulassen; die Gelegenheit war so günstig, dass man sie nicht verstreichen lassen durfte. Miss Garth befragte ihr Gewissen und ergriff sie auf der Stelle.
„Sie vergessen“, gab sie zurück, „dass ein gewisser Nachbar von uns morgen abreist. Soll ich Ihnen die Wahrheit sagen? Magdalen quält sich wegen der Abreise von Francis Clare.“
Mrs. Vanstone blickte mit sanftem, überraschtem Lächeln von ihrer Handarbeit auf.
„Das kann doch wohl nicht sein?“, sagte sie. „Dass Frank sich zu Magdalen hingezogen fühlt, ist nur natürlich; aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Magdalen das Gefühl erwidert. Frank ist so ganz anders als sie; so still und unaufdringlich; so dumpf und hilflos in manchen Dingen, der arme Bursche. Ich weiß, er sieht gut aus, aber er ist Magdalen auf so einzigartige Weise unähnlich, dass ich es einfach nicht für möglich halte – nein, wirklich nicht!“
„Meine liebe gute Lady!“, rief Miss Garth in größter Verblüffung; „Nehmen Sie wirklich an, Menschen würden sich auf Grund ihrer charakterlichen Ähnlichkeiten ineinander verlieben? In der großen Mehrzahl der Fälle ist es genau umgekehrt. Männer heiraten die letzten Frauen, und Frauen heiraten die letzten Männer, von denen ihre Freunde es für möglich halten, dass ihnen an diesen etwas liegt. Gibt es einen Satz, der uns öfter über die Lippen geht als „Wie konnte Mr. Soundso nur diese Frau heiraten?“ oder „Wie konnte sich Mrs. Soundso nur an diesen Mann wegwerfen?“ Hat Ihre ganze Lebenserfahrung Ihnen niemals gezeigt, dass Mädchen manchmal eine widernatürliche Vorliebe für Männer haben, die ihrer in keinster Weise wert sind?
„Sehr richtig“, sagte Mrs. Vanstone gelassen. „Das hatte ich vergessen. Und doch erscheint es unerklärlich, nicht wahr?“
„Unerklärlich, ja, weil es jeden Tag geschieht!“, gab Miss Garth gut gelaunt zurück. „Ich kenne eine Menge hervorragende Menschen, die auf die gleiche Weise gegen die schlichte Erfahrung argumentieren – die morgens die Zeitung lesen und abends abstreiten, dass es im modernen Leben irgendwelche Affären gibt, die den Schriftstellern oder Malern Arbeit verschaffen. Im Ernst, Mrs. Vanstone, Sie können sich darauf verlassen: Wegen dieser elenden Theateraufführung geht Magdalen mit Frank den gleichen Weg, den schon so viele junge Damen vor ihr gegangen sind. Er ist ihrer ganz und gar unwürdig; er ist in nahezu jeder Hinsicht ihr genaues Gegenteil – und ohne es selbst zu wissen, hat sie sich gerade deshalb in ihn verliebt. Sie ist resolut und impulsiv, klug und beherrschend; sie gehört nicht zu diesen vorbildlichen Frauen, die einen Mann wollen, zu dem sie aufblicken können und der sie beschützt – ihr Ideal ist (auch wenn sie es sich selbst vielleicht nicht so vorstellt) ein Mann, auf dem sie herumhacken kann. Nun ja! Es ist ein Trost, dass selbst von dieser Sorte weit bessere Männer zu haben sind als Frank. Und es ist ein Segen, dass er fortgeht, bevor wir noch mehr Ärger mit den beiden haben und bevor ernsthaftes Unheil angerichtet wird.“
„Armer Frank!“, sagte Mrs. Vanstone, wobei sie mitfühlend lächelte. „Wir kennen ihn, seit er in Kinderjacken und Magdalen mit kurzem Rock herumgelaufen ist. Wir wollen ihn noch nicht verloren geben. Vielleicht macht er es ja beim zweiten Mal besser.“
Miss Garth blickte voller Erstaunen auf.
„Und angenommen, er macht es besser?“, fragte sie. „Was dann?“
Mrs. Vanstone schnitt an ihrer Handarbeit einen losen Faden ab und lachte laut auf.
„Meine liebe Freundin“, sagte sie, „es gibt auf dem Bauernhof ein altes Sprichwort, das uns ermahnt, die Hühner nicht zu zählen, bevor sie aus dem Ei geschlüpft sind. Warten wir noch ein wenig, bevor wir unsere zählen.“
Es war nicht einfach, Miss Garth zum Schweigen zu bringen, wenn sie unter dem Einfluss einer festen Überzeugung stand; aber diese Antwort verschloss ihr die Lippen. Sie nahm ihre Arbeit wieder auf und sah und dachte unaussprechliche Dinge.
Mrs. Vanstones Verhalten war angesichts der Umstände sicher bemerkenswert. Da stand auf der einen Seite ein Mädchen mit großer persönlicher Anziehungskraft, selten guten finanziellen Aussichten und einer gesellschaftlichen Stellung, die es gerechtfertigt hätten, dass der beste Gentleman aus der Gegend ihr einen Heiratsantrag machte – und dieses Mädchen warf sich an einen mittellosen jungen Müßiggänger weg, der bei seinem