J.C. Caissen

Über weißblaue Wiesen


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      J.C.Caissen

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      Über

       weißblaue Wiesen

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       Autor: J.C.Caissen

      Copyright: © 2015 Cornelia Ahlberg

      Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin

       www.epubli.de

      Kontakt: [email protected]

       ISBN: 978-3-7375-2382-0

      Inhaltsverzeichnis

      1

      2

      3

      4

      5

      6

      7

      8

      9

      10

      11

      12

      13

      14

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      1

      André legte sich enorm ins Zeug. Mit seinen kleinen, aber schon recht kräftigen Armmuskeln drückte er die Skistöcke in die Spur, federte den Körper ab und schob seine Skier mit langen Schritten vorwärts. Abwechselnd, rechts, links, rechts, links, rechts, links. Heute morgen beim Aufstehen hatte er sofort gemerkt, daß es etwas wärmer als gestern geworden war. Daraufhin hatte er sogleich anderen Wachs auf die Skier aufgelegt. Jetzt liefen sie prima.

      „Inga, spring doch schnell mal runter und hol André rein. Es wird Zeit. Er ist schon viel zu lange draußen.“ Andrés Mutter Maria war fast ein wenig zu besorgt um ihren Nachzügler.

      André war erst sechs, aber stand bereits seit drei Jahren auf den Skiern. Nichts Ungewöhnliches in Finnland. Sobald die Kinder laufen können, stellen die Eltern sie einfach auf die ersten Skier, und für die Kinder wird dies wie von selbst zu einer der beliebtesten und natürlichsten Freizeitbeschäftigungen.

      Im riesigen Garten rund ums Haus und durch das angrenzende, hügelige Wald- und Wiesengrundstück hatte André in den letzten Tagen schon eine prima Loipe in den Schnee gefahren, zusammen mit seinem Freund Håkan, der mit seinen Eltern unten im Haus wohnte. Sie mußten jetzt wohl schon seit zwei Stunden draußen sein. Dabei liefen sie mit langen Schritten, immer im riesigen Oval, angefangen am Hintereingang des Hauses, vorbei an dem großen Apfelbaum, im Bogen um die drei Kiefern herum, weiter neben dem Zaun entlang, bis hinten zum Bach und dem Bachlauf folgend bis zum Birkenhain. Wenn sie den umrundet und hinter sich gelassen hatten, ging es auf der langen geraden Strecke wieder zurück zum Haus. Diese gerade Strecke ging am meisten in die Knochen, denn sie ging erst einmal stark bergauf. Da mußten sie sich richtig anstrengen und sich breitbeinig mit gegrätschten Skiern im Zickzack, dem sogenannten Scheren-Schritt den Hügel hoch arbeiten. Oben angekommen, konnten sie die Skier dann einfach bergab laufen lassen, die Stöcke wurden nicht einmal benötigt. Nur kurz vor und in der folgenden Abwärtskurve mußten sie durch sogenanntes Bogentreten Balance halten. Mehr als einmal hatten Andrés Beine mit samt den Skiern einfach nicht gehorcht, die Skispitzen kreuzten sich und er war kopfüber im tiefen Schnee gelandet. Håkan ging es oft nicht besser. Aber Übung machte ja bekanntlich den Meister.

      Maria sah André vom ersten Stock aus zu, jedesmal, wenn er wieder unter dem Küchenfenster vorbei fuhr und in eine neue Runde einlief. Die dicken roten Pausbacken blies er immer wieder auf. Die Haare hingen ihm verschwitzt unter der Pudelmütze hervor. Maria schaute liebevoll hinunter. Auf ihren Lippen lag ein wohlwollendes Lächeln. Welch großes Glück sie doch erfahren durfte, noch einmal einen kleinen Jungen zu bekommen, nach all den Jahren. Der älteste Sohn, Bernhard, war bereits vierzehn, Tochter Inga elf Jahre alt, als André geboren wurde.

      Ihr Blick ging plötzlich hinaus in die Natur, ihre Hände sanken langsam auf die Bügelwäsche, die sie nun für einen Moment ruhen ließ. Ihre Gedanken flogen ins Unendliche. Was wäre denn geworden, wenn....?? Nur zu leicht hätte es auch ganz, ganz anders kommen können.

      Noch waren die Erinnerungen an die vergangenen Kriegsjahre nicht wirklich verblasst. Eine schlimme Zeit, dieser finnische Winterkrieg, November 1939 bis September 1940, in dem ihr Mann Ingvar die Kameraden an den finnischen Kanonen mit Artilleriegeschossen versorgen mußte. Es war ein großes Glück, nicht direkt an der Front Mann gegen Mann kämpfen zu müssen, sondern zur Versorgungseinheit zu gehören. Anfangs wurden Pferde eingesetzt. Sie hatten schwer zu ziehen gehabt an den Leiterwagen, die im einfallenden Winter dann schließlich doch durch Schlitten ersetzt werden mußten. Ingvar hatte ihr oft von den Strapazen erzählt.

      Er hatte seine junge Familie während dieser Zeit ins Elternhaus aufs Land geschickt, nach Pörtom, einem kleinen Dorf mit nicht mehr als hundert Einwohnern, vierzig Kilometer südlich von ihrem Wohnort Vaasa entfernt und damit sicherer vor russischen Luftangriffen. Maria und die Kinder Inga und Bernhard, bei Kriegsbeginn nicht mal vier und gerade sechs Jahre alt, sollten keinem Risiko ausgesetzt werden.

      Gleichzeitig tobte der Zweite Weltkrieg und versetzte die ganze Welt in Schrecken. Millionen Menschen, Soldaten und noch viel mehr Zivilisten, mußten ihr Leben geben.

      Maria hörte zufällig einmal einen kurzen Ausschnitt in den BBC Radionachrichten, als sie über den Hof der Schwiegereltern ging, der nun von Hella, Ingvars Schwester, bewirtschaftet wurde. Sie ging vorbei an der offenen Haustür zum Saunahaus. Nur einen kurzen Moment Kriegsberichterstattung. Der kurze Moment deutschen Originaltons vermittelte ihr ein Schreck einjagendes Bild. Als sie diese harte, autoritäre und hysterische Stimme im Radio hörte, lief ihr ein eiskalter Schauer den Rücken hinunter. Sie erinnerte sich heute noch, daß sie froh darüber war, daß Finnland mit diesem deutschen Diktator nichts zu tun haben wollte, ihn als Verbündeten nicht anerkannte. Finnland hatte besseres zu tun. Es ging darum, die von den Russen angegriffenen Gebiete im Osten Kareliens zu verteidigen. Das war schon schlimm genug. Die Rote Arme war entlang der tausend Kilometer langen finnischen Grenze ins Land eingefallen und hatte große Gebiete besetzt. Erst hatte es wirklich so ausgesehen, als wenn Finnlands Soldaten den Feind hatten aufhalten können. Bis dann die Rote Arme doch schließlich die Überhand bekam. Waffenstillstand wurde schließlich mit dem Friedensvertrag 1940 geschlossen, in dem Finnland die besetzten Gebiete an Russland abtreten mußte. Der Krieg war vorüber. Bis auf weiteres jedenfalls.

      Dann aber, mit dem Beistand Deutschlands, doch ohne jede Anerkennung eines Bündnisses, startete Finnland 1941 den so genannten Fortsetzungskrieg gegen Russland, um die abgetretenen Gebiete nun doch wieder zurückzuerlangen. Schließlich konnte Finnland die nun russischen Gebiete in Karelien wieder besetzen. England und Frankreich boten daraufhin sogar Waffenlieferungen an. Sie hatten jedoch lediglich versucht, in Finnland einen weiteren Verbündeten gegen die Deutschen zu gewinnen. Doch Finnland lehnte strikt ab. Und tatsächlich gelang es ihnen, die Gebiete von eigener Hand wieder zurück zu erobern. Hätte man es nicht dabei belassen können? Maria verstand nicht viel von Politik, aber dieser Krieg machte ihr natürlich Angst. Sie wollte nichts lieber, als in Frieden leben. Aber Finnland blieb nicht defensiv, gab sich nicht zufrieden mit dem Zurückeroberten, sondern versuchte 1944, mit der Einnahme von Estland und Ungarn ein Groß-Finnland zu erschaffen. England erklärte daraufhin Finnland den Krieg. Das mit dem Groß-Finnland zerschlug sich dann aber und große Teile Kareliens blieben schließlich doch in Russlands Besitz. Aber zumindest hatte sich Finnland der Auslieferung von finnischen Juden widersetzt. Maria war froh darüber gewesen. Vage, beklemmende Geschichten hatten sie hinter vorgehaltener Hand gehört. Der Eigentümer des Bekleidungsgeschäfts, Herr Samuel, bei dem Ingvar immer seine Anzüge machen