Elisa Scheer

Sünden von einst


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gesunken und irgendwie wusste ich, so sehr ich vorher auf der Leitung gestanden hatte, dass er tot war.

      Oder? Ein Gefühl konnte einen schließlich auch trügen! Ich umrundete, trocken schluckend, den Schreibtisch, achtete darauf, nichts anzufassen und auf nichts zu treten – es lagen einige Papiere auf dem Boden – und betrachtete sein Gesicht, das von der Tür abgewandt war. Die Wunde an der Schläfe war deutlich zu sehen, und auch das Blut, das auf diese Seite der Schreibtischunterlage geflossen war.

      O verdammt!

      Ich hatte ihn ja wirklich nicht gemocht, aber so was...?

      Vorsichtig zog ich mich wieder aus dem Arbeitszimmer zurück und zückte im Flur mein Handy. Nach den notwendigen Anrufen, bei denen ich mir vorkam wie in einem schlechten Film, auf jeden Fall nicht real, setzte ich mich in der Halle auf einen der Stühle und wartete.

      Nach einigen Minuten wusste ich, warum dort nie jemand gesessen hatte; ich stand wieder auf, rieb mir den Rücken da, wo die Verzierungen sich hineingebohrt hatten, und trat lieber nach draußen.

      Schließlich fuhren ein Polizeifahrzeug und ein Krankenwagen vor, zwei Beamte traten ein und folgten meinem ausgestreckten Zeigefinger. Ich wurde ansonsten nicht weiter beachtet, also lief ich in der Einfahrt im Kreis herum und versuchte zu überlegen, aber meine Gedanken drehten sich zunächst genauso sinnlos wie meine Schritte. Vater tot? Das konnte doch gar nicht sein, wahrscheinlich war das nur ein Alptraum und ich schreckte gleich an meinem Büroschreibtisch hoch. Tot? Vielleicht war er gar nicht wirklich tot. Oder doch?

      Allmählich dachte ich ruhiger. So einer brachte sich doch nicht um! Und der Typ, mit dem ich in der Tür fast zusammen geprallt war – hatte er ihn gefunden und wollte damit nicht in Zusammenhang gebracht werden oder hatte er ihn erschossen? Eine Schusswunde war das, da war ich mir sicher. Ich guckte ja nicht umsonst die einschlägigen Serien wie CSI!

      Er hatte nichts in der Hand gehabt, da war ich sicher. Wie hatte er eigentlich ausgesehen? Ziemlich groß, größer als ich jedenfalls, ich hatte nach oben geguckt, als ich sein bleiches Gesicht registriert hatte. Oder hatte ich da noch auf einer der Treppenstufen gestanden? Nein, ich war ja schon oben gewesen, um zu klingeln. Ein gutes Gesicht. Nicht wie ein Killer.

      Himmel, wie sah denn ein Killer aus? Mit Killerfratze oder wie? Ich war wirklich dämlich! Und dass er nichts in der Hand gehabt hatte, besagte gar nichts. Eine Pistole oder ein Revolver (mit dem Unterschied kannte ich mich nicht so aus) war ja klein und passte in die Hosentasche. Was hatte er getragen? Einen dunklen Anzug? Da bemerkte man so etwas ja auch weniger als etwa bei knallengen Jeans. Ich schaute auf die Straße. Der schwarze BMW war weg. Ob das seiner gewesen war? Die Buchstaben hatte ich vergessen, aber die Zahl, 3333, hatte sich mir eingebrannt.

      Sollte ich Nathalie anrufen? Um sieben im Biergarten, das konnten wir ja wohl vergessen. Sofort kam ich mir kaltschnäuzig vor – jetzt an den Biergarten zu denken! Und, wenn wir schon mal dabei waren, auch an das garantiert versaute Wochenende. Herzlos war ich, jawohl.

      Blödsinn, er hätte im umgekehrten Fall ja auch nichts anderes gedacht. Ich rief Nathalie an, die es zuerst nicht glauben wollte und dann relativ gefasst reagierte. „Kaum vorstellbar, was? Er war irgendwie immer da, auch wenn diese Vorladungen bloß lästig waren. Ich komme hin, das mit dem Biergarten wird ja doch nichts mehr.“

      Wir waren uns wirklich ziemlich ähnlich. Nur äußerlich nicht, Nathalie war dunkelhaarig und blauäugig und sah viel besser aus als ich. Sie wurde im Sommer auch immer knackbraun und ich kriegte Sonnenbrand und wurde dafür gehänselt. Warum dachte ich jetzt an so was?

      Eine Frau in Zivil trat aus dem Haus. Mir war gar nicht aufgefallen, dass die Kripo schon angekommen war! „Sie haben ihn gefunden?“ Ich nickte.

      „Und Sie sind -?“

      „Nina Lamont. Der – äh – der Tote ist mein Vater. Hartmut Lamont. Ich habe meine Schwester informiert und herbestellt, ist das in Ordnung?“

      „Natürlich. Mein Name ist Kerner, Charlotte Kerner.“

      „Mordkommission?“

      „Ja. Sie vermuten also, dass Ihr Vater ermordet wurde?“

      „Naja – ich hab dieses Loch in seiner Schläfe gesehen“, ich schluckte, als ich mich an den Anblick erinnerte, „und der Typ für Selbstmord war er nun wirklich nicht. Außerdem hätte die Waffe dann ja irgendwo herumliegen müssen.“

      Frau Kerner lächelte flüchtig. „Fernsehen bildet, was?“

      Ich lächelte ebenfalls, etwas schief wahrscheinlich. „Genau. Wenn Sie Fragen haben – nur zu.“

      „Sind Sie dazu schon in der Lage? Wir können das sonst auch morgen auf dem Präsidium erledigen.“ Ich zuckte die Achseln. „Wenn ich ehrlich bin, hab ich nicht direkt an meinem – unserem Vater gehangen. Es war kein schöner Anblick, aber völlig niedergebrochen bin ich nicht. Und meine Schwester wird es wohl auch nicht sein.“

      „Und woran liegt das?“

      „Wahrscheinlich daran, dass er auch nicht an uns gehangen hat. Er hat uns jeweils an unserem achtzehnten Geburtstag vor die Tür gesetzt, zwar mit genügend Geld, aber es wurde schon deutlich, dass er seine Pflichten als erfüllt und seine Aufgaben als beendet angesehen hat. Seitdem wurden wir nur noch etwa einmal im Moment herzitiert, um uns seine Tiraden zum Weltgeschehen, zur Jugend von heute oder zu unserer jeweiligen Nutzlosigkeit anzuhören. Heute war ich dran.“

      „Warum sind Sie dann überhaupt gekommen? Hängen Sie finanziell von ihm ab?“ Das klang mir etwas lauernd, so als ob ich ihn des Erbes wegen erschossen hätte. Oder zumindest eine Erbschleicherin wäre. „Nein“, entgegnete ich also etwas schärfer als beabsichtigt, „wir haben seine Vorladungen einfach als Schicksal hingenommen. Es dauerte ja auch nie lange und es war die einzige Form von Familienleben, die wir hatten. Nicht direkt ein Dialog, freilich, eher ein Monolog, am Ende hatten wir zu sagen Ja, Vater und uns dann wieder zu trollen. Und die Vorladung mussten wir wieder abliefern.“

      „Er hat Sie schriftlich – äh – einbestellt?“

      Ich grinste. „Einbestellt ist ein schönes Wort. Ja. wollen Sie die Karte sehen? Warum er nicht telefoniert hat, weiß ich auch nicht – es sei denn, er war schwerhörig und wollte nicht, dass wir das wissen.“ Ich reichte ihr die Postkarte, die sie stirnrunzelnd studierte. „Kann ich das behalten?“

      „Natürlich. Ich fange jetzt auch keine Souvenirsammlung mehr an.“ Sie steckte die Karte ein und sah sich um, blickte sinnend die graue, weinbewachsene Fassade hinauf und musterte dann das Gartentor. „Sie haben einen Schlüssel zu diesem Haus?“

      „Nein, natürlich nicht“, antwortete ich entrüstet. „Ich glaube nicht, dass außer Vater und Frau Zittel – das ist die Haushälterin – jemand einen Schlüssel hat. Darin war er genauso eigen wie in allem anderen.“

      „Haushälterin, ja?“ Sie schien einen Moment lang abgelenkt. „Ich weiß, das hört sich an wie in diesen treudeutschen Krimiserien – aber er war ein alter Mann und durchaus der Ansicht, dass niedere Dienste Weiberkram sind. Und Geld hatte er dafür bestimmt genug.“ Sie nickte. „Und wie sind Sie nun ohne Schlüssel reingekommen?“

      „Das Törchen war offen, wie ich nach mehrfachem Klingeln gemerkt habe, und an der Haustür kam mir ein Mann entgegen“, ließ ich die Bombe platzen.

      Sie starrte mich an. „Und das sagen Sie erst jetzt??“

      Ich seufzte. „Viel nützen wird es Ihnen nicht, ich kannte ihn nicht und hab ihn nur eine Sekunde lang gesehen. Er war ziemlich bleich.“

      „Kommen Sie, etwas mehr dürften Sie doch noch wissen, oder?“

      Dass er einen absolut sexy Mund hatte? Das würde sie wohl kaum interessieren. „Er trug etwas Dunkles, wohl einen Anzug. Er hat mich zur Seite geschubst und ist weggerannt. Mehr weiß ich ehrlich nicht. So groß wie ich, denke ich, aber ich bin noch auf den Stufen da gestanden“, nickte ich verlogen in Richtung Haustür, „also kann ich mich da auch täuschen.“

      „Alt?