Edgar Wallace

Das Steckenpferd des alten Derrick


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der Eindringlinge wußte? Was aber konnte er sagen? Daß er ein Mädchen, das er ein- oder zweimal flüchtig gesehen, in der Person der Einbrecherin wiederzuerkennen geglaubt hatte? Hatte er einen ausschlaggebenden Beweis, daß es sich wirklich um Mary Dane handelte? Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Unglaublich? Ja! Aber war nicht vieles im Leben eines Kriminalbeamten unglaublich? Er glaubte sich nicht getäuscht zu haben, als er Mary Dane wiedererkannte, aber ... Nein, sie konnte es nicht gewesen sein! Ein Mädchen, wie Mary Dane es war, würde sich niemals einer gesetzwidrigen Handlung schuldig machen!

      Endlich gab er den inneren Kampf auf. Er schloß Wealds Garage auf und fuhr den Wagen, der ständig fahrbereit darinstand, auf die Straße hinaus. Nun erst wurde er sich eines leisen Hungergefühls bewußt. Ein kurzer Weg in die Küche, deren Lage er nach der Beschreibung des abwesenden Minns kannte, versorgte ihn mit allem Notwendigen, um den Hunger zu stillen. Dann stand er lange vor dem Auto, das geduldig seiner harrte.

      »Du bist wirklich ein sentimentaler Idiot«, tadelte er sich selbst. »Nicht nur, daß du deine Pflicht, das Mädchen anzuzeigen, vergißt, verhinderst du auch die Polizei, eine Verbrecherin dingfest zu machen. Das nennt man Pflichtvergessenheit, Dick!«

      Eine innere Stimme suchte ihn zu beruhigen: »Wenn ich jetzt nach Brighton fahre«, sagte er sich, »dann tue ich das, weil ich mich vergewissern will, ob Mary Dane tatsächlich die Einbrecherin gewesen sein kann. Nur so kann ich herausbekommen, ob mein Verdacht richtig ist.«

      Der Sturm, der bei seiner Abfahrt in London tobte, brach auf seiner Fahrt nach Brighton wieder mit voller Gewalt los. In Dorking holte er das Gewitter ein; wie mit Kübeln schüttete der Regen herunter und trommelte auf die Scheiben und Verschläge des dahinrasenden Wagens. Punkt ein Uhr fünfzehn war er vor dem Metropol in Brighton angelangt, in dessen Räumen gerade ein Maskenball seinen Höhepunkt erreicht hatte. Bereitwillig gab der Pförtner dem Ankömmling Auskunft, daß Tommy sich in den Festräumen befände. Dick legte seine triefende Lederjacke ab und betrat nach wenigen Minuten die festliche Veranstaltung. Eine der ersten Personen, die ihm entgegentraten, war eine Dame im Kostüm einer Krankenpflegerin. Mit einer raschen Bewegung zog sie die verhüllende Maske vom Gesicht und blieb vor Dick stehen.

      »Ich habe Sie überall gesucht, Mr. Staines«, begrüßte sie ihn. »Woher ich Sie kenne? Lord Weald hat mir Ihren Namen genannt.«

      Dick traute seinen Augen kaum; es war wirklich Miss Dane, die da vor ihm stand.

      »Waren Sie schon den ganzen Abend hier, Miss Dane?« fragte er stotternd.

      Erstaunt runzelte sie die Stirn.

      »Ja. Aber warum fragen Sie mich?«

      »Sagen Sie mir erst, warum Sie mich eigentlich suchten?« umging er die Beantwortung ihrer Frage.

      Sie öffnete die kleine Tasche, die sie in der Hand trug, und zog einen goldenen Füllstift heraus, dessen Kappe aus rotem Kautschuk bestand.

      »Dieser Stift muß Ihnen heute, oder vielmehr gestern morgen, verlorengegangen sein, als Sie mir beim Weiterschieben des Krankenstuhls behilflich waren. Ich fand den Stift in den Decken Mr. Cornforts. Bringen Sie mir nun als Belohnung eine Portion Eis; ich habe einen entsetzlichen Durst.«

      Er beeilte sich, den verlorenen Gegenstand in Empfang zu nehmen, und holte ihr dann die gewünschte Erfrischung. Sie nahm das Tellerchen dankbar lächelnd entgegen.

      »Sie werden eine schöne Meinung von mir als Krankenschwester bekommen haben, als Sie mich auf einem Maskenball wiederfanden, wie? Ich kam aber nur deshalb her, weil ich Ihnen Ihr Eigentum wiedergeben wollte. Mr. Cornfort wird von der Nachtschwester betreut, und so konnte ich mich frei machen. Jemand erzählte mir, daß hier ein Maskenball stattfinde, ich borgte mir eine Maske und benutzte meine Berufskleidung als Kostüm. Wie spät ist es denn eigentlich?«

      Dick nannte ihr die Stunde. Sie verzog ihr Gesicht voll Erstaunen: »Gott, schon so spät?«

      »Haben Sie Tommy gesprochen?« fragte er.

      »Tommy? Ach so, Sie meinen Lord Weald? Ja, ich traf ihn. Er ist wirklich ein netter Mensch. Er wollte zu gern einen Blick hinter meine Maske werfen und durchaus wissen, wer ich sei. Er ist Ihr Freund, nicht wahr?« Erst jetzt schien sie zu bemerken, daß er in wenig salonfähiger Kleidung erschienen war: »Lord Weald sagte mir aber doch, Sie seien nach London zurückgefahren?«

      »Stimmt, aber ich kehrte gleich wieder um. Ich habe Tommy etwas Dringendes mitzuteilen.«

      Er vergaß dabei ganz, daß die Ereignisse, die sich in London abgespielt hatten, eher den Besitzer des Hauses, Mr. Walter Derrick, interessieren mußten als den Lord. Nun erst erinnerte er sich auch seines unfreiwilligen Gastgebers und erkundigte sich bei Miss Dane nach ihm.

      »Mr. Derrick?« fragte sie verwundert. »Ach so! Sie meinen den Mann, der mich heute beinahe überfahren hätte? Nein, den habe ich hier nicht gesehen. Wahrscheinlich wird er auch irgendwo in einer unkenntlichen Maske herumturnen. Vielleicht ist es jener Kannibale dort.«

      Sie belachten die kleine Anspielung auf die heute mittag durch die Fahrkünste Derricks entstandene Gefahr. Einige Minuten standen sie noch plaudernd beieinander, dann machte Mary Dane Anstalten zum Gehen. Als sie ihm ihren Garderobenschein anvertraute, brachte er den Mund auf, ihr seine Begleitung anzubieten, und freute sich wie ein König, als sie das Angebot dankend annahm. Als sie neben ihm im Wagen Platz genommen hatte, fragte sie ihn: »Warum erkundigten Sie sich eigentlich, ob ich schon den ganzen Abend im Metropol gewesen sei, Mr. Staines? Ich bin, um die Wahrheit zu gestehen, erst gegen elf gekommen. Sie sahen mich aber so vorwurfsvoll an, als Sie mir die Frage stellten, daß ich es gar nicht wagte, Ihnen die richtige Zeit meines Erscheinens zu nennen. Ich erwartete, als ich Ihre Frage hörte, jeden Augenblick verhaftet zu werden. Sie sind doch Detektiv, nicht wahr? Lord Weald nannte Sie jedenfalls ›einen von der Polente‹.«

      Dick verfluchte den witzigen Freund im stillen in allen Tonarten. Auf die Frage Miss Danes erwiderte er, daß nur das Interesse, das er für sie vom ersten Augenblick an gefühlt hatte, ihn zu seiner Frage veranlaßt habe. Endlich wies das Mädchen auf eine kleine Villa, die inmitten eines Gartens vor ihnen aufgetaucht war.

      »Dort wohne ich; ich danke Ihnen für Ihre Liebenswürdigkeit, Mr. Staines.«

      Sie stieg aus und war nach einem kurzen Händedruck und einem freundlichen Nicken im Dunkel des Hauseingangs verschwunden. Dick kehrte ins Hotel zurück, wo er nach langem Suchen Tommy in der Bar fand. Neben ihm stand ein dicker Pierrot, dessen geflüsterte Bemerkungen den Lord außerordentlich zu amüsieren schienen. Mit weit offenem Mund stand er da, als er Dick eintreten sah.

      »Heiliger Gottseibeiuns«, stotterte er. »Dick? Ich dachte, du seiest in London?«

      Ohne auf den lustigen Ton einzugehen, führte Staines Tommy und den Pierrot, in dem er Derrick erkannt hatte, in einen stillen Winkel, wo er ihnen seine Erlebnisse in Tommys Wohnung und Derricks Haus wiedergab. Nur die verblüffende Ähnlichkeit der Einbrecherin mit Mary Dane erwähnte er nicht. Der Lord war außer sich vor Erregung.

      »Immer hast du das Glück, etwas zu erleben«, beklagte er sich. »Mir passiert so etwas nicht.«

      Auch der sonst so kaltblütige Derrick war ernst geworden.

      »Das ist nun schon das zweite Mal, daß so etwas in meinem Haus passiert. Ein ähnlicher Versuch wurde mir bereits vor einigen Wochen gemeldet. Der liebe Gott mag wissen, was die Leutchen in meinem Haus suchen. Wertgegenstände oder Bargeld bewahre ich dort nicht auf, und das Silbergeschirr, das noch vorhanden ist, lohnt die Mühe doch wirklich nicht. Ist Larkin verletzt?«

      »Nein«, beruhigte ihn der Inspektor. »Er wird vielleicht ein wenig Kopfschmerzen haben, aber etwas Ernstliches ist ihm nicht passiert.«

      »Sagten Sie nicht eben noch, daß Sie das Gesicht der Einbrechern! gesehen hätten?« fragte Derrick plötzlich. »Sie würden sie möglicherweise auch wiedererkennen, wie?«

      »Das glaube ich, nicht; Frauen zu beschreiben ist meine schwache Seite. Ich sah sie ja auch nur einen Augenblick, und die Beleuchtung war nicht gerade hervorragend. Ich weiß nicht einmal mehr, was für ein Kleid sie anhatte.«

      »Sahen