Brigitte Jäger-Dabek

Ostpreußen für Anfänger


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alle Sehnsüchte, die eine Seele in Bezug auf Heimat haben kann, Anmut und Sanftheit der Hügelland­schaft, die Stille verwunschener Seen, in hohe dunkle Wälder eingebet­tet, der Frieden wenn abendliche zarte Nebelschwaden aus den saftigen Wiesen steigen und sich zu fein gesponnenen Schleiern vor den orangeroten Abendhimmel schieben, das kurze Klatschen der kleinen Haffwellen am Ufersaum, die Bernsteinbrandung an der Nehrung, das Murmeln des gleich­mäßigen Rollens der See im Nehrungswald, die Waldgeräu­sche, singende Vögel, knac­kende Äste, im Wind sich wiegende Bäume, einschläfernd beru­higend, stetig rauschend.

      Es gibt nichts eckiges, abruptes in dieser Landschaft, Masuren ist ein rundliches Land, voll anmutiger Schönheit, voll tie­fem in­neren Frieden, aber mit einem leichten Anflug von Melancholie.

       Die vererbten Wurzeln

      „Das Erbe tragen wir in uns“ schreibt Helga Hirsch in ihrem Buch „Schweres Gepäck“, sie selbst ist ja auch ein Flüchtlingskind meiner Generation.

      Das war und bleibt so, ob wir wollen oder nicht. Es war oft ein Hin- und Hergerissensein und manchmal eine ziemlich Wut auf dieses ferne Ostpreußen.

      Wir erlebten in unseren eigenen Familien, dass Geschichte sehr komplex ist. Es war schwierig, deutsche Schuld keinesfalls zu relativieren, aber auch das Schicksal unserer eigenen Familien nicht zu verleugnen.

      Für kaum jemanden von uns ist die Reise zu den eigenen Wurzeln eine Urlaubsreise wie jede andere gewesen. Immer waren da auch diese ganz besonderen Emotionen, die hochkamen wenn man entdeckte, dass dieses Land ein Teil von einem selbst ist. So söhnte sich mich mit meinen Wurzeln aus und nahm meine eigene komplizierte, von vielen widersprüchlichen Einflüssen geprägte Identität an.

      Aber sind wir deswegen noch Kinder Masurens oder Ostpreußens? Oder haben wir zwei Heimaten?

      Nein, Heimat kann man nicht vererben.

      Was man vererben kann sind Wurzeln, Prägungen durch Generationen von Menschen und ihre speziellen Denk- und Verhaltensweisen, Sprache und einen spezifischen Wertekonsens, also alles, was das kollektive Gedächtnis einer Familie ausmacht und was man am ehesten unter kultureller Identität zusammenfassen kann.

      Masuren oder Ostpreußen ist also nicht unsere Heimat, aber es ist in uns. Aber wir sind nicht die Kinder dieses Landes, sondern eher wie die Enkel eines Masurens oder Ostpreußens, dass schon vor unserer Geburt starb.

      Unsere eigene Heimat kann man uns nicht anerziehen, sie kann nur dort sein, wo wir uns als Kinder geborgen fühlten, wo wir die Welt zu entdecken begannen. Die Suche einer eigenen Identität aber war für viele von uns ein langer, komplizierter Prozess, und zu dieser Identität gehört beides, Masuren und Ostpreußen, die Heimat unserer Eltern und unserer eigene Heimat.

Bild 92263 - Dieses Bild ist aus diesem Werk.

      An der Alle bei Groß Bertung

      Insterburger Jahreszeiten

      Im Nordwesten Deutschlands präsentiert sich der Lauf der Jahreszeiten normalerweise gemäßigt, gebändigt; keine große Kälte, keine große Hitze, viel Regen, relativ viel Wind. Auf der Temperaturkurve zeigt sich das in weichen, abgerundeten Bögen, kaum einmal harte, markante Zacken.

      In Ostpreußen war das anders, charakteristisch waren die kurzen, heißen Sommer und die langen, kalten Winter mit strengem Frost von oft 20 und mehr Grad Kälte. Diese akzentuierten Gegenpole, hie kurze Sommer voller Lebensfreude, da harte Winter voller Dunkelheit prägten die Menschen und ihr Leben. Sie hatten Respekt vor der Natur und passten sich an.

       I.Frühling

      Der nahende Frühling war schon zu ahnen, wenn die Eisdecke der Flüsse aufbrach. An den Ufern türmten sich die nun schon schmutziggrauen Eisschollen zu bizarren Gebilden auf und wurden eine nach der anderen vom gluckernden Strom mitgerissen. Bald waren vor allem die Insterwiesen vom Hochwasser überflutet und glänzten in der ersten Vorfrühlingssonne.

      Plötzlich war er da, der Frühling. Er kam mit dem Tauwind, es konnte geschehen, dass man morgens bei strengem Frost das Haus verließ und mittags mit offenem Mantel ging, so sehr wärmte die Sonne schon.

      Dann ging alles sehr schnell, die ersten Schneeglöckchen bahnten sich ihren Weg durch die harte, pappige Kruste des tauenden Schnees, gefolgt von den Krokussen und bald zeigten sich überall Knospen. Die Menschen drängte es hinaus zum Spaziergang in die laue Frühlingsluft, alsbald wurden Weidenkätzchen geschnitten und verzierten als Frühlingsboten die Stuben. Man saß zum ersten Male in der Mittagssonne auf der Bank vor dem Haus, in der Natur war alles wie neu, als ob es zum ersten Mal geschähe und nicht etwa ein unendlicher Kreislauf wäre. Wenn die Störche einflogen und ihre alten Nester bezogen, war der Winter endgültig abgeschüttelt.

       II. Sommer

      Die Natur hatte es eilig so weit im Osten, viel Zeit zum Reifen war aufzuholen, entsprechend heiß und heftig waren die Sommer, für die Bauern kam die Zeit der rastlosen Eile, die Zeit drängte, nur die Störche ließen sich bei der Futtersuche auf den frischgemähten Feldern nicht aus der Ruhe bringen. Bald stand in den fruchtbaren Insterwiesen das Korn schwer und mannshoch.

      Es war eine trockene, flirrende Hitze, die sich auf dem Straßenbelag der Chausseen spiegelte, das klare Licht entwarf eine unendliche Weite, nur die hingetupften Gesichter der Pustewolken waren zum Greifen nah. An den Rändern der Felder, Wiesen und staubigen Wege blühte es in intensiven, leuchtenden Farben, ein Gezirpe und Gesumme überall. Nur die grünen Dächer der Alleen boten Schatten auf dem Weg wie in einem langen, lichten Tunnel.

      Eine Allee verdiente diesen Namen allerdings erst, wenn die Kronen der meist über hundertjährigen Bäume sich in der Mitte berührten und ein Dach bildeten. Oft entlud sich die drückende Schwüle in heftigen, kurzen Gewittern. Danach konnte man wieder atmen, die Luft war klar und die Sonne schien wieder.

      Die Abende waren lau, oft genoss man sie gemeinsam im Freien oder plachanderte in der Laube. Die einsetzende Dunkelheit verdrängte sanft das Abendrot, die ersten Sterne zogen auf am Himmelszelt. Bald zeugte ein strahlendes Sternengefunkel am unendlich hohen, weiten Nachthimmel von der Größe der Schöpfung und brachte den Menschen zu ehrfürchtigem Schweigen.

       III. Herbst

      Natürlich gab es auch nasse, kalte Tag im Herbst wie überall, aber die Regel war schönes Wetter ohne die Hitze und Schwüle des Sommers. Das Laub wechselte seine Farbe zuerst in ein glühendes Rot und dann in einen warmen Goldton. Alles war in ein rotgoldenes Licht getaucht, noch wärmte die Sonne und lud zum Spaziergang ein. Fast unmerklich wurde die Luft dann frischer und schon ein wenig herb.

      Im Spätherbst kam der erste Frost. Nur ein paar Tage, höchstens zwei Wochen stand die Natur seltsam still und ruhte, alles war bereitet, das Land lag geduckt da und erwartete den Ansturm des Winters.

       IV. Winter

      Eines Nachts fiel dann leise der erste Schnee, manchmal hielt der Winter aber auch mit Ostwind und Stiem Einzug. Bald war alles tief verschneit: Ostpreußen- ein Wintermärchen.

      Die Temperaturen fielen und fielen, 25 Grad Kälte waren keine Seltenheit, nur ein paar Tage und das Eis trug. Es war so kalt, dass das Eis knisterte und knackte, der Schnee knirschte, der Atem gefror und man auf die Nase aufpassen musste. Jetzt war die Zeit der Schlittenfahrten, denn bei starkem Frost waren die Tage voll strahlender Klarheit. Von dick verschneiten Bäumen staubte leise der Schnee wie Puderzucker, vorbei ging es an verwunschenen Gebilden aus meterhohen Schneewehen, rundherum nur blauer Himmel, blauweißer Rauch über den Dächern und das lichtweiße Kleid des Winters über der Landschaft. Auf dem Heimweg tauchte dann die sinkende Sonne am glutroten Abendhimmel die tief verschneite Landschaft in einen zarten rosigen Ton, der sich bald in der Dunkelheit verlor. Bald zeigten sich Sterne in märchenhafter Zahl und Klarheit am tiefschwarzen Firmament, das zarte Licht des Mondes überzog das Land mit einem silbern schimmernden