Edgar Wallace

Die Gräfin von Ascot


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mitten im Jahr. Außergewöhnlich, aber in vieler Beziehung sehr angenehm. Meine verstorbene Mutter heiratete mit siebzehn, mein seliger Vater war nicht älter als achtzehn. Eheschließungen in jugendlichem Alter sind nichts Außergewöhnliches in unserer Familie.«

      »Da war aber Ihr Vater sehr voreilig, und Sie sind der beste Beweis für meine Behauptung. Soll Marie Fioli mit achtzehn heiraten?«

      Julian machte eine leichte Bewegung mit seiner Zigarette.

      »Ich bin noch nicht definitiv entschlossen; es müssen erst noch einige dunkle Punkte aufgeklärt werden, aber sie ist wirklich ein charmantes Mädchen.«

      »Ich kann mich jetzt auf sie besinnen«, entgegnete Morlay nachdenklich. »Sie ist sehr schön.« Plötzlich sah er auf. »Sie sind doch nicht etwa ihretwegen gekommen?«

      Julian nickte.

      »Ich bin arm, John, das habe ich Ihnen ja bereits gesagt. Ich habe ein Einkommen von dreihundert Pfund im Jahr und verdiene mir noch etwas dazu durch die Artikel, die ich für Zeitschriften schreibe. Ich habe keine Eltern mehr, die eine passende Frau für mich aussuchen und – was noch wichtiger ist – auch die nötigen Nachforschungen über die junge Dame anstellen könnten.«

      John lehnte sich in seinem Sessel zurück und lachte herausfordernd.

      »Nach und nach begreife ich, was Sie von mir wollen. Ich soll also an Stelle Ihrer Eltern herausbringen, ob das Vermögen der jungen Dame so groß ist, daß es sich lohnt, ihr einen Antrag zu machen?«

      Zu seinem größten Erstaunen schüttelte Julian Lester den Kopf.

      »Auf die Höhe ihres Vermögens kommt es durchaus nicht an. Ich bin ganz sicher, daß sie wohlhabend ist, ich habe allen Grund, das anzunehmen. Selbst nach all den Abzügen bleibt genug übrig, daß eine junge Dame ihres Standes glänzend davon leben kann.«

      »Nicht zu vergessen den jungen Mann, der sie heiratet«, erwiderte John sarkastisch. »Erklären Sie mir aber bitte, was Sie damit sagen wollen, daß ›genug übrigbleibt‹. Ist sie bestohlen worden?«

      Julian erhob sich, ging zum Fenster und sah düster auf den Hanover Square hinunter.

      »Ich weiß es nicht. Es ist alles so seltsam. Die alte Frau hat ihr einen kleinen Landsitz bei Ascot gekauft, der ungefähr fünftausend Pfund kostet. Natürlich habe ich die Kaufurkunde nicht gesehen und weiß daher auch nicht, ob das Grundstück auf den Namen von Marie oder auf den Namen der alten Frau eingetragen wurde.«

      »Von welcher alten Frau sprechen Sie denn?«

      Julian kehrte zu seinem Stuhl neben dem Schreibtisch zurück, drückte sorgfältig die Zigarette aus und legte die Zigarettenspitze wieder in das Etui, bevor er antwortete.

      »Haben Sie eigentlich schon einmal etwas von einer Mrs. Carawood gehört?« Als John den Kopf schüttelte, fuhr er fort: »Das kann man auch nicht verlangen. Sie ist die Inhaberin eines Damenmodengeschäfts, das heißt, sie hat im ganzen vielleicht ein Dutzend Filialen in London.«

      John nickte. Er besann sich jetzt auf die Firma.

      »Vor neunzehn Jahren war Mrs. Carawood Kindermädchen bei der Gräfin Fioli, einer Witwe, die ein Haus und ein Grundstück in Bournemouth besaß. Die Fiolis sind eine altitalienische Familie. Die Gräfin starb. Ich habe zwar nachgeforscht, konnte aber nicht feststellen, ob sie ein Testament hinterlassen hat. Ich habe nur so viel herausbringen können, daß Mrs. Carawood eine ziemlich reiche Frau wurde, nachdem man ihr die Erziehung des Kindes anvertraute. Vier Jahre später eröffnete sie ihr erstes Geschäft, und in kurzen Abständen folgten mehrere andere. Sie hat jetzt eine ganze Reihe von Läden in London, die alle ziemlich gut gehen und zusammen eine große Einnahmequelle bilden.«

      »Und was hat das mit dem Kind zu tun?«

      »Ich muß zugeben«, erwiderte Julian zögernd, »daß sie sehr viel für Marie getan hat. Sie schickte sie auf eine gute Vorbereitungsschule und später in eins der besten Internate Englands. Mit rührender Sorgfalt hat sie sich um das junge Mädchen gekümmert. Aber die Sache scheint doch einen Haken zu haben. Offenbar hat sie das Geld, das die Erbschaft meines armen, kleinen Mädchens ausmacht –«

      »Offenbar?« unterbrach ihn John. »Es gibt viele Leute, die mit einem kleinen Vermögen angefangen haben und erfolgreiche Geschäftsleute geworden sind. Vor allem möchte ich eines klar wissen: Ist sie mit Ihnen verlobt? Ich meine die junge Gräfin Fioli, über die Sie soviel erzählt haben.«

      Julian zögerte.

      »Nein, das gerade nicht.«

      »Warum soll denn Mrs. Carawood ihr Geld nicht auf ehrliche Weise verdient haben? Das tun doch viele Leute.«

      »Von einer solchen Frau kann ich es kaum glauben«, erwiderte Julian entschieden. »Sie ist völlig ungebildet, kann gerade lesen und schreiben. Sie werden mich am besten verstehen, wenn ich Ihnen sage, daß sie auf ihre alten Tage noch unzählige von diesen billigen Schundheften verschlingt.«

      Eine peinliche Pause entstand.

      »Und was soll ich denn nun in Ihrem Interesse tun?« fragte John schließlich.

      Julian fühlte sich etwas unbehaglich.

      »Ich weiß nicht recht, wie ich es ausdrücken soll ... Vor allem möchte ich genaue Angaben haben, jedenfalls bestimmtere, als ich sie mir beschaffen konnte. Zunächst über das Geld – dann, wie es investiert ist –«

      »Nun, allem Anschein nach doch in den Geschäften von Mrs. Carawood«, entgegnete John trocken. »Ich möchte hierüber aber genaue Auskunft haben; ich kann doch nicht eher heiraten, als bis ich sicher weiß, daß –«

      »Daß sie genug Geld hat, um Sie zu unterhalten«, ergänzte John Morlay grob. »Es tut mir leid, daß Ihr Auftrag nicht zu den Obliegenheiten meines Geschäftes gehört.«

      Julian zuckte die Schultern, erhob sich und nahm Hut und Handschuhe.

      »Das fürchtete ich von Anfang an. Aber, bitte, verstehen Sie mich nicht falsch. Marie ist ein sehr hübsches, anständiges Mädchen, und selbst wenn sie so arm wäre wie – wie ich, dann würde das meine Zuneigung zu ihr nicht im geringsten beeinflussen. Nur wäre es nicht recht von mir, sie zu heiraten, wenn ich nicht den Lebensstandard aufrechterhalten könnte ... Sie verstehen schon, was ich meine.«

      »Ja, Sie sind rührend selbstlos – ich weiß es.«

      John begleitete ihn zur Tür, und als er zurückkam, lächelte er. Es fiel ihm schwer, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Immer wieder schweiften seine Blicke von den Dokumenten und Schriftstücken ab, die vor ihm auf dem Tisch lagen. Die Inhaberin eines Kleidergeschäfts, die einen schönen Landsitz in Ascot kaufen konnte, erregte natürlich sein Interesse und zugleich auch seinen Argwohn. Er nahm das Telefonbuch zur Hand und fand Mrs. Carawoods Namen unter der Adresse Penton Street Nr. 47, Pimlico. Allem Anschein nach war dies ihr Hauptquartier.

      John hatte keine Verabredung für den Abend; am nächsten Morgen wollte er nach Marlow fahren. Als er sein Büro verließ und den Hanover Square überquerte, hatte er noch nicht die geringste Absicht, das Geschäft in der Penton Street zu besuchen, und er wußte selbst nicht, wie es kam, daß er plötzlich ein Taxi anrief und dem Chauffeur die Adresse von Mrs. Carawood in der Penton Street nannte.

      Der Laden war kleiner, als John erwartet hatte, aber das Schaufenster zeigte eine sehr geschmackvolle Auslage. Als er eintrat, wurde er von einer Verkäuferin in einem einfachen schwarzen Kleid empfangen, die ihm gleich mitteilte, daß Mrs. Carawood nicht anwesend sei. »Wenn Sie in einer Privatangelegenheit kommen, rufe ich vielleicht besser Herman.«

      Bevor er antworten konnte, war sie hinter einer Trennungswand verschwunden, und gleich darauf erschien ein großer, schlanker junger Mann, der eine grüne Arbeitsmütze trug. Er hatte rotblonde Locken und war nicht sehr sauber gekleidet. Auch die Stahlbrille trug nicht dazu bei, seine äußere Erscheinung zu heben.

      »Wünschen Sie Mrs. Carawood zu sprechen? Es tut mir leid, sie ist nicht hier. Sie ist nach Cheltenham gefahren, um Mylady zu besuchen.«

      Er