Rudolf Steiner

Grundlegendes zur Erweiterung der Heilkunst


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keine Ahnung hatte. Man fühlt die waltende Denkkraft in sich wie einen neuen Inhalt des Menschenwesens. Und zugleich mit diesem Inhalt seines eigenen Menschenwesens offenbart sich ein Weltinhalt, den man vorher vielleicht geahnt, aber nicht durch Erfahrung gekannt hat. Sieht man einmal in Augenblicken der Selbstbeobachtung auf das gewöhnliche Denken hin, so findet man die Gedanken schattenhaft, blas gegenüber den Eindrücken, die die Sinne geben.

      Was man jetzt in der verstärkten Denkkraft wahrnimmt, ist durchaus nicht blas und schattenhaft; es ist vollinhaltlich, konkret-bildhaft; es ist von einer viel intensiveren Wirklichkeit als der Inhalt der Sinneseindrücke. Es geht dem Menschen eine neue Welt auf, indem er auf die angegebene Art die Kraft seiner Wahrnehmungsfähigkeit erweitert hat.

      Indem der Mensch in dieser Welt wahrnehmen lernt, wie er früher nur innerhalb der sinnlichen Welt wahrnehmen konnte, wird ihm klar, dass alle Naturgesetze, die er vorher gekannt hatte, nur in der physischen Welt gelten; und dass das Wesen der Welt, die er jetzt betreten hat, darin besteht, dass ihre Gesetze andere, ja die entgegengesetzten gegenüber denen der physischen Welt sind. In dieser Welt gilt nicht das Gesetz der Anziehungskraft der Erde, sondern im Gegenteil, es tritt eine Kraft auf, die nicht von dem Mittelpunkt der Erde nach auswärts wirkt, sondern umgekehrt so, dass ihre Richtung von dem Umkreis des Weltalls her nach dem Mittelpunkt der Erde geht. Und entsprechend ist es mit den andern Kräften der physischen Welt.

      In der Anthroposophie wird die durch Übung erlangte Fähigkeit des Menschen, diese Welt zu schauen, die imaginative Erkenntnis-Kraft genannt. Imaginativ nicht aus dem Grunde, weil man es mit »Einbildungen« zu tun habe, sondern weil der Inhalt des Bewusstseins nicht mit Gedankenschatten, sondern mit Bildern erfüllt ist. Und wie man sich durch die Sinneswahrnehmung im unmittelbaren Erleben in einer Wirklichkeit fühlt, so auch in der Seelentätigkeit des imaginativen Erkennens. Die Welt, auf die sich diese Erkenntnis bezieht, wird von der Anthroposophie die ätherische Welt genannt. Es handelt sich dabei nicht um den hypothetischen Äther der gegenwärtigen Physik, sondern um ein wirklich geistig Geschautes. Der Name wird im Einklang mit älteren instinktiven Ahnungen dieser Welt gegeben. Diese haben gegenüber dem, was gegenwärtig klar erkannt werden kann, keinen Erkenntniswert mehr; aber will man etwas bezeichnen, so braucht man Namen.

      Innerhalb dieser Ätherwelt ist eine neben der physischen Leiblichkeit des Menschen bestehende ätherische Leiblichkeit wahrnehmbar.

      Diese ätherische Leiblichkeit ist etwas, das sich ihrem Wesen nach auch in der Pflanzenwelt findet. Die Pflanzen haben ihren Ätherleib. Die physischen Gesetze gelten tatsächlich nur für die Welt des leblosen Mineralischen.

      Die Pflanzenwelt ist auf der Erde dadurch möglich, dass es Substanzen im Irdischen gibt, die nicht innerhalb der physischen Gesetze beschlossen bleiben, sondern die alle physische Gesetzmäßigkeit ablegen und eine solche annehmen können, die dieser entgegengesetzt ist. Die physischen Gesetze wirken wie ausströmend von der Erde die ätherischen wirken wie von allen Seiten des Weltumfanges auf die Erde zuströmend Man begreift das Werden der Pflanzenwelt nur, wenn man in ihr das Zusammenwirken des Irdisch Physischen und des Kosmisch Ätherischen sieht. Und so ist es mit Bezug auf den Ätherleib des Menschen. Durch ihn geschieht im Menschen etwas, das nicht in der Fortsetzung des gesetzmäßigen Wirkens der Kräfte des physischen Leibes liegt, sondern das zur Grundlage hat, dass die physischen Stoffe, indem sie in das einströmen, sich zuerst ihrer physischen Kräfte entledigen.

      Diese im Ätherleibe wirksamen Kräfte betätigten sich im Beginne des menschlichen Erdenlebens - am deutlichsten während der Embryonalzeit - als Gestaltungs- und Wachstumskräfte. Im Verlaufe des Erdenlebens emanzipiert sich ein Teil dieser Kräfte von der Betätigung in Gestaltung und Wachstum und wird Denkkräfte, eben jene Kräfte, die für das gewöhnliche Bewusstsein die schattenhafte Gedankenwelt hervorbringen.

      Es ist von der allergrößten Bedeutung zu wissen, dass die gewöhnlichen Denkkräfte des Menschen die verfeinerten Gestaltungs- und Wachstumskräfte sind. Im Gestalten und Wachsen des menschlichen Organismus offenbart sich ein Geistiges. Denn dieses Geistige erscheint dann im Lebensverlaufe als die geistige Denkkraft.

      Und diese Denkkraft ist nur ein Teil der im Ätherischen wehenden menschlichen Gestaltungs- und Wachstumskraft. Der andere Teil bleibt seiner im menschlichen Lebensbeginn innegehabten Aufgabe getreu. Nur weil der Mensch, wenn seine Gestaltung und sein Wachstum vorgerückt, das ist, bis zu einem gewissen Grade abgeschlossen sind, sich noch weiter entwickelt, kann das Ätherisch-Geistige, das im Organismus webt und lebt, im weiteren Leben als Denkkraft auftreten.

      So offenbart sich der imaginativen geistigen Anschauung die bildsame (plastische) Kraft als ein Ätherisch-Geistiges von der einen Seite, das von der andern Seite als der Seelen-Inhalt des Denkens auftritt. Verfolgt man nun das Substanzielle der Erdenstoffe in die Ätherbildung hinein, so muss man sagen: diese Stoffe nehmen überall da, wo sie in diese Bildung eintreten, ein Wesen an, durch das sie sich der physischen Natur entfremden. In dieser Entfremdung treten sie in eine Welt ein, in der ihnen das Geistige entgegenkommt und sie in sein eigenes Wesen verwandelt.

      So aufsteigen zu der ätherisch-lebendigen Wesenheit des Menschen, wie es hier geschildert wird, ist etwas wesentlich anderes als das unwissenschaftliche Behaupten einer »Lebenskraft«, das noch bis zur Mitte des neunzehnten Jahrhunderts üblich war, um die lebendigen Körper zu erklären. Hier handelt es sich um das wirkliche Anschauen - um das geistige Wahrnehmen - eines Wesenhaften, das im Menschen wie in allem Lebendigen ebenso vorhanden ist wie der physische Leib. Und um dieses Anschauen zu bewirken, wird nicht etwa in unbestimmter Art mit dem gewöhnlichen Denken weitergedacht; es wird auch nicht durch die Einbildungskraft eine andere Welt ersonnen; es wird vielmehr das menschliche Erkennen in ganz exakter Art erweitert, und diese Erweiterung ergibt auch die Erfahrung über eine erweiterte Welt.

      Die Übungen, die ein höheres Wahrnehmen herbeiführen, können fortgesetzt werden. Man kann, wie man eine erhöhte Kraft anwendet, sich auf Gedanken, die man in den Mittelpunkt des Bewusstseins gerückt hat, zu konzentrieren, auch darauf wieder eine solch erhöhte Kraft anwenden, die erlangten Imaginationen (Bilder einer geistig-ätherischen Wirklichkeit) zu unterdrücken. Dann erlangt man den Zustand des völlig leeren Bewusstseins. Man ist bloß wach, ohne dass zunächst das Wachsein einen Inhalt hat. (Das Genauere findet man in den oben erwähnten Büchern.) Aber dieses Wachsein ohne Inhalt bleibt nicht. Das von allen physisch- und auch ätherisch-bildhaften Eindrücken leer gewordene Bewusstsein erfüllt sich mit einem Inhalt, der ihm aus einer realen geistigen Welt zuströmt, wie den physischen Sinnen die Eindrücke aus der physischen Welt zuströmen.

      Man hat durch die imaginative Erkenntnis ein zweites Glied der menschlichen Wesenheit kennengelernt; man lernt durch die Erfüllung des leeren Bewusstseins mit geistigem Inhalt ein drittes Glied kennen. Die Anthroposophie nennt das Erkennen, das auf diese Art zustande kommt, dasjenige durch Inspiration. (Man soll sich durch diese Ausdrücke nicht beirren lassen; sie sind einer primitiven Zeiten angehörigen instinktiven Art, in geistige Welten zu sehen, entnommen; aber, was hier mit ihnen gemeint ist, wird ja exakt gesagt.) Und die Welt, in die man durch die Inspiration Eintritt gewinnt, bezeichnet sie als die astralische Welt. - Spricht man, wie hier auseinandergesetzt, von »ätherischer Welt«, so meint man die Wirkungen, die vom Weltumfang nach der Erde zu wirken. Spricht man aber von »astralischer Welt«, so geht man in Gemäßheit dessen, was das inspirierte Bewusstsein beobachtet, von den Wirkungen aus dem Weltumfang zu bestimmten Geist-Wesenheiten über die in diesen Wirkungen sich offenbaren, wie in den von der Erde ausgehenden Kräften sich die Erdenstoffe offenbaren. Man spricht von aus den Weltenfernen wirkenden konkreten Geist-Wesenheiten, wie man beim sinnlichen Anblick des nächtlichen Himmels von Sternen und Sternbildern spricht. Daher der Ausdruck »astralische Welt«. In dieser astralischen Welt trägt der Mensch das dritte Glied seiner Wesenheit: seinen astralischen Leib.

      Auch in diesen astralischen Leib muss die Erdenstofflichkeit einströmen. Sie entfremdet sich damit weiter ihrer physischen Wesenheit.

      Wie der Mensch seinen ätherischen Leib mit der Pflanzenwelt, so hat er seinen astralischen Leib mit der Tierwelt gemeinsam.

      Die den Menschen über die Tierwelt hinaushebende, eigentlich menschliche Wesenheit wird durch eine noch höhere Erkenntnisart als die Inspiration erkannt. Die Anthroposophie spricht da von Intuition. In der Inspiration offenbart sich