John Ullmann

Professor Hicks erklärt das Higgs-Teilchen


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der Welt und damit unseres Daseins berührt uns natürlich zutiefst und beschäftigte bereits alle unsere Vorfahren. Oft wird behauptet, dass es die Religion und die Kunst seien, die den Menschen von allen anderen Wesen dieses Planeten unterscheiden und damit sein geistiges Bewusstsein. Doch unser Bewusstsein ist an unsere körperliche und damit materielle Existenz gebunden.

      „MENS AGITAT MOLEM“, der Geist bewegt die Welt, so steht es im Logo der hiesigen Rhein-Neckar-Zeitung.“

      „Meist ist es der Ungeist“, warf der Student Sparlinek, der in der ersten Reihe saß, vorlaut ein und erntete damit lauthals Gelächter, insbesondere von jenen Hörern, die lediglich einmal Sparlinek in live erleben wollten.

      Dr. Fitzroy, der drei Sitze weiter saß, und schon beim ersten Anblick des Studenten Sparlinek spöttisch grinste, schüttelte abfällig den Kopf. Der sichtbar hochgewichtige und angeblich hochbegabte Student Sparlinek mit der dicken Brille und den ultraweiten Flatterjeans war an der ganzen Uni bekannt für seine spontanen Zwischenrufe in den Vorlesungen.

      Zweifellos erblickte Dr. Fitzroy in ihm auch einen Rivalen für das ihm bisher allein zustehende Privileg für angeblich witzige Zwischenbemerkungen in Professor Hicks` Vorträgen.

      Doch auch Professor Hicks hatte bereits von Sparlinek, dem Dozentenschreck, gehört und nahm dessen Zwischenruf geschickt in seine Rede auf und konterte amüsiert: „Ja, da haben Sie gleich ein gutes Beispiel dafür abgegeben. Und wie Sie sehen, bewegt Ihr Ungeist hier ihre Kommilitonen zum Lachen.

      Aber lassen Sie mich jetzt wieder vom Ungeist zum Geist zurückkommen. Der Geist kann also die Materie, aus der die Welt eben einmal besteht, nur lenken, er kann sie nicht bewegen. Nicht der Glaube kann Berge versetzen, sondern der Gläubige. Wunder, wenn es sie gibt, sind selten, ansonsten wären es keine. Darauf sollte man sich nur im äußersten Notfall verlassen, wenn nichts anderes mehr hilft. Der Geist mag die Materie lenken und leiten, aber er bewegt sie nicht.

      Mit dem Menschen trat zum ersten Male in der uns bekannten Weltgeschichte ein Wesen auf, das sich, von seinem Standpunkt physisch und geistig lösen kann, sich über sich selbst und die Welt Gedanken machen kann, und das die Frage nach dem Wie, Was und Warum der Erscheinungen der Welt stellen kann. Und diese Fragen beantwortet die Naturwissenschaft, deren praktisches Ergebnis die Technik ist.

      Als Kinder haben wir die Spielzeuge auseinander genommen, um zu sehen wie das Ganze funktioniert. Dann waren sie allerdings kaputt. Doch man kannte nun den Mechanismus und konnte, wenn man geschickt war, das Ganze wieder aus seinen Einzelteilen zusammenfügen und ganz neue, ähnliche Dinge konstruieren und bauen. Das war die Geburtsstunde des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts der Menschheit, von dem wir heute alle profitieren. Und sicher hat auch der daraus resultierende wissenschaftliche Fortschritt wie jede Sache einen positiven wie auch negativen Effekt.

      Gewiss kann die Naturwissenschaft den Sinn der Welt und unseres Daseins nicht beantworten, aber sie kann beschreiben, wie das alles funktioniert, wie die Welt sich entwickelt. Ob es den Urknall wirklich gab, wie die Kosmologen annehmen, das ist die große und letzte Frage der Physik. Wenn es den Urknall wirklich gegeben hat, dann erhebt sich die Frage, was denn vor dem Urknall war. Vielleicht gibt es den ewigen Kreislauf des Welttheaters durch den Übergang der Endimplosion in die Urexplosion, wie ich meine, oder das Universum kommt aus dem Nichts und verschwindet im Nichts.

      Stellen Sie sich einmal das Unmögliche vor, nämlich, dass es die Menschen und damit auch Sie und mich gar nicht gäbe. Dann würde niemand fragen, wozu das ganze Spektakel da draußen im Weltall mit den zahllosen Galaxien und Sternen, unserer Sonne und Erde, wozu dieser ganze Aufwand und worauf das Ganze letztendlich hinauslaufen soll?

      Doch die Welt existierte auch vor dem Erscheinen des Menschen und sie wird auch nach dem Erscheinen des Menschen weiterhin noch bestehen.

      Die Religion macht es sich mit der Entstehung der Welt recht leicht, sie bezieht ihre Weisheiten aus ihren heiligen Schriften. In der Bibel steht, dass Gott die Welt in sechs Tagen erschuf und, dass er sich dann am siebten Tage davon ausruhen musste. Das mag vor 2000 Jahren genügt haben, denn viel mehr, wussten die Menschen damals nicht über die Entstehung der Welt, als dass es sie gibt und sie folglich entstehen und vergehen muss, wie wir selbst, denn der Mensch geht bei solchen Überlegungen gerne von sich selbst aus. Wenn in Urzeiten der Blitz vom Himmel niederging, dann glaubte man, dass dies der Zorn der Götter sei. Heute wissen wir, dass dies lediglich auf die elektrischen Entladungen der Atmosphäre zurückzuführen ist. Und auf der Beherrschung des elektrischen Stroms beruht eine Vielfalt unserer heutigen selbstverständlichen Annehmlichkeiten, wie der Waschmaschine, des Kühlschranks, des Telefons und des Fernsehers, ganz zu schweigen vom Computer und dem Handy oder was es da noch so alles gibt.

      Angenommen, die Welt sei von Gott geschaffen, so bleibt dennoch für den aufgeklärten, sprich selbstdenkenden Menschen, die Frage nach ihrem Bauplan offen. Schon die alten Griechen kamen auf die Idee, dass man die Vielfalt der Welt auf Allgemeines,

      Grundsätzliches und Elementares zurückführen könne. So kamen sie auf die Annahme der sogenannten Urstoffe Erde, Wasser, Feuer und Luft, aus denen sämtliche Stoffe aus Mischungen dieser vier Elemente bestehen sollten. Und schließlich, so nahm man an, sollten auch diese vier Elemente auf einen einzigen Ur-Stoff zurückzuführen sein. Diesen einzigen Ur-Stoff, einem seit Ewigkeit existierenden, unzerstörbaren, unbestimmten und unterschiedslosen Weltstoff nannten sie Materie von lateinisch „materia prima“. Heute jedoch wissen wir, dass es nicht vier Elemente sind, sondern 92 natürliche Elemente, die aus ihren spezifischen Atomen bestehen und, dass die Atome selbst aus Elektronen, Protonen und Neutronen bestehen und es schließlich das Higgs-Teilchen sein soll, das den Teilchen die Masse verleiht. Und aus diesen Elementen des Baukastens der Materie bauen uns heute die Chemiker all diese Stoffe

      zusammen, die wir uns wünschen, und in Zukunft werden die Genetiker sogar die Lebewesen nach ihrem Willen aus ihrem genetischen Baukasten nach ihrem Gutdünken neu zusammenbauen. Inwieweit es dabei zu Überraschungen oder Enttäuschungen oder gar Bedrohungen kommt, das wird die Zukunft uns zeigen.

      Und damit sind wir bereits beim Thema meiner Vorlesung. Um die Wirkungsweise solcher mit unseren menschlichen Sinnen nicht direkt wahrnehmbaren und komplexen Systemen wie Atome Moleküle und Gene zu verstehen, müssen wir uns ein Modell davon machen. Ein Modell ist eine auf das Wesentliche vereinfachte Darstellung der Wirklichkeit. Und unser Modell für den Nachbau der Welt ist der magische Baukasten der Materie. Dieser Modellbaukasten der Materie enthält als kleinste Bausteinchen die Elementarteilchen, in dem eben das Higgs-Teilchen noch gefehlt hat.

      Der Begriff Baukasten mag Sie sofort verstören, ja er mag Ihnen als lächerlich erscheinen, da Sie zunächst an den Baukasten in den Kinderzimmern denken, wie er zumindest zu meiner Kindheit dort noch anzutreffen war. Doch das Weltgeschehen basiert trotzdem auf dem Modellbaukasten der Materie, den wir jedoch psychisch ablehnen, da es stets ein unangenehmes Gefühl in uns verursacht, dass die Welt und auch wir selbst sozusagen nur das Ergebnis eines raumzeitlichen Puzzle-Spiels sein sollten. Das berührt uns natürlich im Innersten unseres Daseins. Ich stimme Ihnen zu, wenn Sie jetzt sagen, dass der Mensch nicht nur eine Maschine ist, aber er ist eben auch eine Maschine. Greifen Sie sich einmal an Ihre Brust, was Sie dort schlagen hören ist Ihr Herz. Dieses, Ihr Herz, ist physikalisch-technisch betrachtet nichts anderes als eine Pumpe, so wie die Kraftstoffpumpe in Ihrem Auto, mit dem Sie hierhergekommen sind. Und so wie der KFZ-Mechaniker eine kaputte Kraftstoffpumpe im Auto austauscht, so tauscht auch heute der Mediziner ein kaputtes Herz im menschlichen Körper aus.

      Wo bleibt da unser Bedürfnis nach dem Gefühl, dem Romantischen, dem Geheimnisvollen und dem Unerklärlichen, werden Sie fragen?

      Nun, ich werde Ihnen im Verlauf meines Kollegs zeigen, dass dieser Modellbaukasten der Materie auch dieses Bedürfnis nach dem Geheimnisvollen und Unerklärlichen befriedigen kann, wenngleich es auch dazu keiner Geisterbeschwörung bedarf, als vielmehr des Staunens über die Wunder der Natur, die sich uns in der Welt der kleinsten Klötzchen unseres Modellbaukastens der Materie, in der Welt der Elementarteilchen, auftun. Es ist wie ein Eintauchen in die vielfältige und farbenfrohe Welt eines Korallenriffs, das uns Staunen lässt über das wunderbare und wundersame Werk der Natur. Das ist der Grund dafür, warum ich auch gerne vom magischen Baukasten der Materie rede.