dass die Jacken unendlich nach Fisch stanken – das ging nie wieder raus und hat nicht gerade für große Erheiterung im heimischen Wohnwagen geführt. Ich kann Ihnen versichern, da war der Imperator (auch genannt Mama) schwer am Sicken. Häufig kamen wir auch von oben bis unten mit Schlamm verdreckt wieder. Warum? Weil wir uns entweder bei Ebbe in irgendeinem Priel gesuhlt oder mal wieder in der leeren Fahrrinne nach Krebsen gesucht hatten. In einigen Jahren gab es regelrechte Quallenplagen und die Biester konnten eine stattliche Größe annehmen. Während das beim Schwimmen in der Fahrrinne recht lästig war und die Quallen noch in der besseren Position waren, rächten wir uns bei Ebbe fürchterlich. Chinaböller! Einer pro Qualle – wie gesagt, die waren groß – und es flogen im wahrsten Sinne des Wortes die Fetzen. Danach war immer eine ausgiebige Dusche angesagt. Aber so gerne ich das heute über mich ergehen lasse, so sehr habe ich damals das Wasser aus einer Leitung von oben gehasst. Ich habe geschrien wie am Spieß und der ganze Campingplatz wusste sofort: da wird Thimo wieder gequält. Dazu kam noch, dass die Toiletten und Duschen in einem Container untergebracht waren. Ich erinnere mich noch an eine rotgraue Außenfarbe, der Innenraum war giftgrün, eine Farbe, die ich später noch mal im Aachener Klinikum wiedersah. Manchmal kam das Wasser aber nicht nur von oben, sondern auch in Form einer Sturmflut oder Springflut von unten, indem die Nordsee sich auf dem Land breit machte, auf dem die Wohnwagen und Zelte standen. Zur Erinnerung: wir waren vor dem Deich, da war also nichts zwischen uns und der See. Im Grunde war das eine Riesengeschichte für Erwachsene und Kinder. Es war ja niemand wirklich in Lebensgefahr, aber man wollte natürlich vermeiden, dass das Wasser den Wohnwagen und/oder das Zelt umschließt. So wurde bei entsprechender Warnung Nachtwache gehalten. Das Ganze kam einmal pro Urlaub vor. Die Erwachsenen nutzten das nasskalte Wetter, das so eine Sturmflut mit sich brachte, als Vorwand, sich von innen zu wärmen. Ich habe mir als Kind nicht merken können, welche Art Wärmemittel eingesetzt wurden. Wenn es dann allerdings so weit war, dass das Salzwasser an die Wagen klopfte, mussten diese natürlich entsprechend weggeschoben werden, denn der gesamte Platz war recht schnell überflutet. Es war also einiges zu tun. Jetzt muss man sich die Szene wie folgt vorstellen: betrunkene Erwachsene schieben singend Wohnwagen durch die Gegend und johlende Kinder ringsherum feuerten sie dabei an. Es ist nie etwas Ernstes passiert, aber eigentlich grenzt es an ein Wunder, dass nicht einer der Wagen plötzlich in der Fahrrinne gelandet ist statt auf dem Trockenen. Die beste Szene allerdings hatten wir in einem Jahr, in dem das Wasser ungefähr einen halben Meter hoch stand. Alle Wohnwagen waren bereits weggeräumt, plötzlich entdeckte noch jemand ein Zelt in den Fluten, das fest im Boden verankert war. Wir näherten uns also alle diesem Zelt und bemerkten, dass noch jemand im Zelt war. Alle riefen quer durcheinander „Nicht den Reißverschluss öffnen, wir ziehen Euch weg, nicht aufmachen.“ Das hielt den Berliner Besitzer des Zeltes nicht davon ab, doch den Reißverschluss zu öffnen und nachzusehen, was denn da draußen vor sich geht. Ich glaube die Töpfe, Luftmatratzen, Schuhe, T-Shirts wurden nie wieder gesehen. Alle nahmen es mit Humor und als Anlass, sich noch mal aufzuwärmen. Auch der Berliner.
Im Grunde hatte ich eine ziemlich erstklassige Jugend. Natürlich sieht man das als Jugendlicher zunächst anders, aber im Rückblick kann ich sagen, dass wir eine ziemlich intakte Familie waren und sind. Wir wohnten in einem Dorf mit rund 20.000 Einwohnern, waren als Familie vertreten im örtlichen Karnevalsverein, mein Vater war als einer der zur damaligen Zeit wenigen Versicherungsvertreter und dank seiner dort verbrachten Jugend und Vereinstätigkeit bekannt wie ein bunter Hund. Ich habe meine Karriere in der örtlichen Grundschule gestartet. Was will ich sagen, ich hatte kein Interesse an Bildung, fand es aber irgendwie ganz witzig, dort andere Kinder zu treffen, und fühlte mich auch wohl. Eine Szene ist mir ganz besonders in Erinnerung geblieben. Es gab einen Jungen namens Conrad-Peter, meine erste Begegnung mit der Eigenschafft „arrogant“. Ich hatte irgendwann eine kleine Karnevalspistole dabei, so eine richtig coole, keine drei Zentimeter groß, aber mit zwei Läufen wie eine Piratenpistole. Die machte ordentlich Krach. Damit wollte ich mich an Mister Arroganz rächen und knallte ihm ins Ohr. Leider stand eine der Lehrerinnen – Doppelname, Pottfrisur – in der Nähe. Sie nahm mir die Pistole ab und übergab sie dem Rektor, der auch gleichzeitig mein Klassenlehrer war. Vor dem hatte ich Respekt. Der Mann war für damalige Kinderdimensionen ein Riese, rund zwei Meter groß und irgendwie respekteinflößend. Er schloss die Pistole in seine Schreibtischschublade, nicht ohne mich vor der ganzen Klasse noch zu ermahnen. Arschloch, beide, der schmierige Conrad-Peter und der Lehrer. Aber irgendwann rief mich der Rektor zu sich und meinte, ich könnte die Pistole wiederhaben, wenn ich meinen Vater dazu animieren könnte, das anstehende Schulsportfest zu moderieren. Ich sagte ihm nur: „Das ist Erpressung, darauf lasse ich mich nicht ein“, und ließ ihn ziemlich verdutzt mit der Pistole in der Hand stehen und ging. Nur zur Erinnerung, ich war in der dritten Klasse. Er wiederum fand meine Standhaftigkeit so klasse, dass er zu meinem Vater fuhr und ihm alles erzählte, wirklich nicht, um mich anzuschwärzen, sondern um ihn selbst um die Moderation des Sportfestes zu bitten. Das hat er dann auch gemacht.
Es ging dann weiter auf die Realschule. Keine besonders hervorzuhebende Zeit. Ich schwamm so mit. Hatte Fünfen in Mathe, war also besonders gut geeignet für den Job des Bankkaufmanns. War aber auch egal, ich wollte ja Automechaniker werden. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem ein dreiwöchiges Praktikum anstand. Ich meine, wie kann man so etwas auch nur im Oktober veranstalten? Draußen ist es nass und kalt und Autowerkstätten sind nun mal nicht sonderlich warm abgedichtet. So bin ich dann bei der Bank gelandet. Und zwar in der Zahlungsverkehrsabteilung der D-Bank. Mensch, was hatte ich Respekt vor den Leuten da. Die taten ja Dinge, von denen ich noch nicht einmal wusste, dass es sie gab. Aber im Nachhinein war das prägend. Zum einen, weil ich mich letztlich vom Traum, Automechaniker zu werden, komplett verabschiedete. Zum anderen, weil da noch echte Handarbeit gefragt war, um Überweisungen zu bearbeiten. Mehr habe ich damals auch nicht verstanden, schon gar nicht, was ein Aval oder ein Wechsel ist. Aber dabei traf ich meinen ersten Mentor. Er hatte eine besondere Art, Menschen zu leiten, aber auch einen großen Fehler: er war FC-Köln-Fan. Trotzdem habe ich ihm sehr viel zu verdanken. Man konnte ihn zum Feind haben, dann hatte man besser ein ganz dickes Fell. Man konnte ihm egal sein und das war für alle die er nicht leiden konnte noch die beste Variante. Oder man hatte ihn auf seiner Seite, was man aber nur durch Ehrlichkeit und Fleiß schaffte. Ehrlich war ich schon immer. Fleiß kam etwas später dazu.
Aber zurück zur Realschule. Wie gesagt, nichts Aufregendes. Während manche da schon zwischen Kind und Mann standen, blieb ich ein Kind. Ich kriegte dann aber irgendwie die Kurve und wurschtelte mich bis zur Höheren Handelsschule durch. Da hatten wir jede Menge Spaß. Ich erinnere mich an meine Klasse, wir waren vier Jungs und ungefähr 25 Mädchen, wobei man in dem Alter, glaube ich, schon „junge Frauen“ sagt. Die Lehrer behandelten einen auch nicht mehr wie Kinder, hatten jedoch häufig auch wenig Verständnis für unsere dummen Scherze. Ich erinnere mich an den Leberwurstbrot-an-die-Decke-werfen-Wettbewerb. Nur Frederiks blieb hängen, zumindest für etwa drei Wochen und landete dann im BWL-Unterricht vor seiner Nase. Wir hatten das Brot alle komplett vergessen. Vor allem Frederik schaute ganz dumm, als ihn das Brot von oben ansprang. Stellen Sie sich eine Kuh vor, die beim Kacken vom Blitz getroffen wird. Ungefähr so.
Ich trat dann bei der D-Bank, in der ich mein Praktikum absolviert hatte, auch meine Ausbildung an, und muss sagen, es war kein unbedingter Fehler. Man hielt da etwas auf sich, man war sozusagen der FC Bayern unter den Banken. Uns wurde immer eingeredet, Ihr seid die Elite! Ihr bekommt die beste Ausbildung! Ihr werdet die Besten bei der Prüfung sein. Was soll ich sagen, damals hat man selber daran geglaubt. Unsere Konkurrenz war von der Sparkasse, anderen Privatbanken und den Volksbanken. Konnte ja nichts sein, wer da arbeitet! Mit Blick zurück muss ich darüber doch sehr schmunzeln. Denn mit unserem Jahrgang hatte die Bank, glaube ich, kein Glück. Wir waren nicht schlecht, verschlechterten aber doch eher den Schnitt. Aber egal, man lernt fürs Leben und nicht für die Schule. Das Blöde am Leben ist, man lernt nicht aus. Es gibt keinen Punkt, an dem man sagen kann: „Ich kann jetzt alles.“ Wichtig ist, weiterzulernen und sich weiterzuentwickeln. Stillstand ist Rückschritt. Glauben Sie mir, ich kenne Leute, die sind irgendwo stehen geblieben, wo, ist noch nicht mal erkennbar, aber dazu gleich mehr.
Eine der schönsten Zeiten meines Lebens bisher verbrachte ich in Frankfurt. Ich lebte und arbeitete dort fast drei Jahre, hatte viel Spaß und kann sämtliche Vorurteile über Frankfurt entkräften. Es ist nicht hässlich und kriminell (vorausgesetzt man meidet Offenbach und Darmstadt). Meine Wahrnehmung