Stefan Zweig

Maria Stuart


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jungen Frau, die einen Hof der Heiterkeit und der Schönheit schaffen wollte, das Musische aus Frankreich dahingeht; nun kommen dunkle Jahre für sie und für alle: politische Zeit, Zank und Zwist, die Hugenottenkämpfe, die Bartholomäusnacht, die Zänker, die Zeloten. Dahin ist das Ritterliche, das Romantische, das Helle und unbesorgt Schöne, der Triumph der Künste mit dieser jugendlichen Gestalt. Das Sternbild der »Pleiade«, das Siebengestirn der Dichtung, bald wird es erbleichen am verdüsterten Himmel des Krieges. Mit Maria Stuart gehe, so klagen sie, die holde, die geistige Freude fort:

      »Ce jour le même voile emporta loin de France Les Muses, qui songoient y faire demeurance.«

      Noch einmal rühmt Ronsard, dessen Herz an jeder Jugend, jeder Anmut sich wieder jung entzückte, in seiner Elegie »Au départ« alle Schönheit Maria Stuarts, als wollte er wenigstens im Verse festhalten, was für sein heißes Auge für immer verloren ist, und in der Aufrichtigkeit seiner Trauer formt er wirklich ergreifend beredte Klage:

      »Comment pourroient chanter les bouches des poètes, Quand, par vostre départ les Muses sont muettes? Tout ce qui est de beau ne se garde longtemps, Les roses et les lys ne règnent qu'un printemps. Ainsi votre beauté seulement apparue Quinze ans en notre France, est soudain disparue, Comme on voit d'un éclair s'évanouir le trait, Et d'elle n'a laissé sinon le regret, Sinon le déplaisir qui me remet sans cesse Au cœur le souvenir d'une telle princesse.«

      Während Hof und Adel und Ritterschaft Frankreichs bald die Abwesende vergessen, bleiben einzig von allen die Dichter weiter im Dienst ihrer Königin; denn für die Dichter ist Unglück nur neuer Adel, und die sie als Herrscherin um ihrer Schönheit willen gerühmt, sie werden sie nun doppelt lieben in ihrer Trauer. Treu bis zum Ende werden sie ihr Leben und ihren Tod besingen und begleiten. Immer, wo ein hoher Mensch sein Leben als Dichtung, als Drama, als Ballade zu Ende lebt, werden Dichter sich finden, um es neu und zu immer neuem Leben zu formen.

      Im Hafen von Calais wartet eine prunkvolle, weiß angestrichene Galione; auf dieses Admiralsschiff, das die französische Königsflagge neben der schottischen hißt, geleiten sie die drei fürstlichen Oheime, die erlesensten Ritter des Hofs und die vier Marys, die treuen Gespielinnen; zwei andere Schiffe bilden die Eskorte. Aber noch ist das Schiff aus dem innern Hafen nicht herausgesteuert, noch sind die Segel nicht gesetzt, so begegnet Maria Stuarts erster Blick auf das Ungewisse des Meeres schon einem üblen Vorzeichen: eine hereingelotste Barke zerschellt, ihre Insassen drohen zu ertrinken. Das erste Bild, da Maria Stuart Frankreich verläßt, um ihre Regentschaft anzutreten, wird zum trüben Symbol: ein Schiff, das, schlecht gesteuert, in die Tiefe gerissen wird.

      Ist es heimliche Angst um dieses Vorzeichens willen, ist es das Gefühl der verlorenen Heimat, ist es Ahnung des Nichtwiederkehrens: jedenfalls, Maria Stuart kann den von Tränen verschleierten Blick nicht von der Erde wenden, auf der sie jung, unbewußt und darum glücklich gewesen. Ergreifend schildert Brantôme den dumpfen Schmerz ihres Abschieds: »Sobald das Schiff aus dem Hafen gesteuert war und eine Brise sich erhoben hatte, begann man die Segel aufzuziehen. Beide Arme auf dem Heck neben dem Steuerruder, brach sie in gewaltiges Weinen aus, immer wieder mit ihren schönen Augen auf den Hafen und die Stelle, von der sie abgesegelt waren, zurückblickend, und immer von neuem die traurigen Worte wiederholend: ›Lebe wohl, Frankreich‹ bis es begann Nacht zu werden. Man schlug ihr vor, sich zur Ruhe zu begeben und in den Steuerbordraum hinabzusteigen, aber entschlossen wies sie alles zurück. So bereitete man ihr auf dem Verdeck ein Lager. Ausdrücklich schärfte sie dem Untersteuermann ein, sobald es Tag würde, möge er sie, falls man auch nur ferne noch den Horizont Frankreichs gewahren könne, sofort wecken und nicht davor zurückscheuen, sie heftig anzurufen. Und wirklich begünstigte das Glück ihren Wunsch. Denn da sich der Wind gelegt hatte und man zum Rudern seine Zuflucht nehmen mußte, kam man in dieser Nacht nicht viel weiter. Bei Tagesanbruch war tatsächlich die französische Küste noch immer sichtbar. Kaum hatte der Steuermann ihren Auftrag erfüllt, so erhob sie sich von ihrem Lager und blickte hin und hin auf das Land, solange es noch sichtbar blieb, immer und immer wieder die Worte wiederholend: ›Leb wohl, Frankreich, leb wohl, Frankreich! Ich glaube, ich werde dich nie mehr wiedersehen‹«

      

      Heimkehr nach Schottland

      August 1561

      Ein Nebel, so dicht, wie er im Sommer nur selten diese nördlichen Küsten befällt, verhüllt das Gestade, da Maria Stuart am 19. August 1561 in Leith landet. Aber wie anders ist diese Ankunft in Schottland als der Abschied von der douce France. Dort hatte sie im majestätischen Zuge die Blüte des französischen Adels begleitet, Fürsten und Grafen, Dichter und Musiker entboten ihr in höfischer Weise Ehrfurcht und Gruß. Hier hat niemand sie erwartet; erst als die Boote an den Strand stoßen, sammelt sich erstaunt und neugierig das Volk: ein paar Fischer in ihren rauhen Arbeitsgewändern, ein paar lungernde Soldaten, ein paar Krämer und Bauern, die gekommen waren, ihre Schafe in der Stadt zu verkaufen. Mehr scheu als begeistert schauen sie zu, wie, in reichen Kleidern und festlich geschmückt, fürstliche Frauen und Edelleute den Barken entsteigen. Fremdheit und Fremdheit blicken einander an. Es ist ein rauher Willkomm, hart und streng wie die Seele dieses nordischen Landes. Gleich in den ersten Stunden erkennt Maria Stuart schmerzlich die furchtbare Armut ihrer Heimat, und daß sie in diesen fünf Tagen Seefahrt in Wahrheit ein Jahrhundert zurückgefahren ist, aus einer großen, reichen, üppigen, verschwenderischen und selbstgenießerischen Kultur in eine enge, dunkle und tragische Welt. Denn dutzendemal von Engländern und Aufständischen geplündert und niedergebrannt, besitzt diese Stadt keinen Palast, kein einziges adeliges Wohnhaus, das sie würdig empfangen könnte: bei einem gewöhnlichen Kaufmann muß die Königin ihres Landes übernachten, um nur ein Dach über dem Haupte zu haben.

      Erste Eindrücke haben große Macht über die Seele, tief und schicksalhaft prägen sie sich ein. Vielleicht weiß die junge Frau selbst nicht, was sie dermaßen ergreift, als sie jetzt wie eine Fremde nach dreizehnjähriger Abwesenheit wieder ihr Reich betritt. Ist es Heimweh, ein unbewußtes Verlangen nach jener Wärme und Süße des Lebens, die sie auf französischer Erde lieben gelernt, ist es der Schatten des grauen fremden Himmels, ist es das Vorgefühl kommender Gefahren? Jedenfalls bricht Maria Stuart, kaum mit sich allein – Brantôme erzählt es –, in Tränen aus. Nicht wie Wilhelm der Eroberer setzt sie stark und selbstbewußt mit rechtem Herrengefühl den Fuß auf die britannische Insel – Befangenheit ist ihr erstes Empfinden, Ahnung und Angst vor dem künftigen Geschehen.

      Am nächsten Tag kommen der inzwischen benachrichtigte Regent, ihr Stiefbruder James Stuart – bekannter unter dem Namen Earl of Moray –, und einige andere Edelleute schleunig herangeritten, um ihr ein halbwegs würdiges Geleite nach dem nahen Edinburgh zu bereiten. Aber es wird kein festlicher Zug. Unter dem fadenscheinigen. Vorwand, nach Piraten zu fahnden, haben die Engländer eines der Schiffe, auf dem sich die Rosse des Hofes befanden, zurückgehalten, und in der kleinen Stadt Leith ist gerade noch für die Königin ein halbwegs taugliches und erträglich aufgezäumtes Pferd aufzutreiben; ihre Frauen und adeligen Begleiter dagegen müssen sehr verärgert mit groben und bäurischen Schindmähren vorliebnehmen, die man hastig aus den umliegenden Scheunen und Ställen zusammenholt. Tränen kommen bei diesem Anblick Maria Stuart in die Augen, abermals muß sie fühlen, wie viel ihr der Tod ihres Gatten genommen und um wie viel weniger es bedeutet, bloß Königin von Schottland zu sein, als jene von Frankreich, die sie gewesen. In einem derart armen, unwürdigen Aufzug sich ihren Untertanen zu zeigen, verbietet ihr der Stolz. Statt zu einer »joyeuse entrée« durch die Straßen Edinburghs reitet sie darum mit ihrem Gefolge gleich in das Schloß von Holyrood außerhalb der Stadtmauern. Dunkel liegt das von ihrem Vater gebaute Haus mit seinen runden Türmen in der Tiefe der Landschaft, von der sich nur trotzig die Zinne der Festung abhebt; von außen scheint es für den ersten Blick großartig in seinen klaren Formen und mit seiner quadernen Wucht.

      Aber wie frostig, wie leer, wie unfestlich grüßen innen die Räume die von Frankreich Verwöhnte! Keine Gobelins und kein Lichterglanz, der aus italienischen Spiegeln von Wand zu Wand sich weitergibt, keine kostbaren Stoffe, kein Schimmer von Silber und Gold. Seit Jahren ist hier nicht hofgehalten worden, kein Lachen nistet in diesen verlassenen Räumen, keine königliche