Hanna Esslinger

Kinderjahre im Schatten des Dritten Reichs


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Bürgermeister geriet. Dazu kam, dass er mit einigen anderen jungen Kollegen den Diensteid auf Hitler verweigerte, den die Pfarrer, die an Schulen Religionsunterricht hielten, ablegen mussten.

      Von den Auseinandersetzungen mit der staatlichen Obrigkeit, aber auch mit der Kirchenbehörde, die Vater damals sehr in Beschlag nahmen, habe ich in den Wildberger Zeiten noch nichts bewusst mitbekommen. Es erklärte mir aber später, warum er so wenig von unserem familiären Leben erinnerte, wenn ich ihn nach meinen ersten Kinderjahren befragte.

      Was ich selber als gemeinsames Erlebnis mit Vater aus dieser Zeit erinnere, ist dies, dass er mich, wenn er die Abendglocke läutete, mit in die Kirche nahm, wo es so staubig roch und wo die Schallwellen der Glocken meinen Körper erzittern ließen. Das war eine eigentümliche Empfindung, ein Gemisch aus Angst und sinnlicher Erregung, wenn ich ängstlich meine Hand in die warme des Vaters legte.

      Der Wechsel nach Aalen brachte manche Veränderung, auch für uns Kinder. Das Haus, das wir nun bewohnten, war längst nicht mehr so groß wie das in Wildberg, in dem man mit dem Dreirad die langen Flure entlang fahren konnte. Mir kommt es noch immer so vor, als hätte ich mich dort im Haus oft verlaufen und nicht die Türe gefunden, durch die ich ins Wohnzimmer oder in die Küche kommen konnte.

      In Aalen war alles überschaubarer, die Räume dichter beieinander. Das zweite Stockwerk, in welchem die Schlafzimmer lagen, wurde über eine Treppe erreicht, die direkt aus einem Flur nach oben führte. Das Arbeitszimmer von Vater befand sich direkt beim Hauseingang und war nur durch eine Glastüre vom Wohnbereich getrennt. Das hatte zur Folge, dass Vater in den Jahren, als er noch nicht oder nicht mehr beim Militär war, sehr viel von uns Kindern mitbekam, wir aber auch sahen, wer zu ihm in sein sogenanntes Amtszimmer kam.

      Das Haus war nicht wie das in Wildberg von einem großen Garten umgeben, der in Aalen erstreckte sich hinter dem Haus. Er war kleiner und zu ihm führte ein schmaler Weg, der durch den Zaun des Nachbarn begrenzt wurde. Direkt dahinter stand ein weiteres Wohnhaus. Das sollte sich in den kommenden Jahren als nicht ungefährlich erweisen. Bewohnt wurde dieses Nachbarhaus von einem Mann mit seiner Familie, der die Funktion eines Blockwartes hatte. Seine Aufgabe war u. a. für die Partei auszukundschaften, was sich in den Nachbarhäusern abspielte. Welche Menschen, die nicht ständig dort wohnten, jeweils ein- und ausgingen, ob an den entsprechenden Tagen wie angeordnet die Hakenkreuzfahne herausgehängt wurde und ob die Verdunklungen an den Fenstern jeden Abend ordnungsgemäß angebracht wurden und keine Beleuchtung aus den Wohnungsfenstern sichtbar werden konnte.

      Später, als die Bombenangriffe sich häuften, hatte dieser Mann auch die Erlaubnis, ungefragt in die Häuser zu kommen, um festzustellen, ob überall Sandkisten und Wasserbehälter aufgestellt waren, falls es Brandbombenabwürfe gab und gelöscht werden musste.

      Sein Sohn Horst, der so alt war wie ich, kam immer gerne zu uns an die Sandkiste in den Garten. Anfangs fand ich ihn ganz nett, doch allmählich entwickelte er sich zu einem Neugierling, der immer wissen wollte, wer mal wieder bei uns zu Besuch kam. Ich empfand ihn zunehmend als zudringlich, dann wurde ich auch durch Mutter darauf aufmerksam gemacht, die vom Küchenfenster aus unsere Unterhaltungen mitbekommen hatte, dass es nicht nötig sei, dass Horst so genau erfährt, ob jemand bei uns schläft und wie lange er bleibt. Nach und nach kapierte ich, dass der Spielgefährte zugleich ein kleiner Spion im Dienste seines Vaters war. Die Eltern verpflichteten mich und auch die Pflegekinder, die 1943 bei uns einquartiert wurden, Stillschweigen zu bewahren über alles, was sich bei uns im Haus abspielte. Das war nicht immer leicht. Doch allmählich spielte Horst ohnehin mehr mit anderen Jungen und nicht mehr mit uns Mädchen.

      Im Gegensatz zu dem dörflichen Ort im Schwarzwald war Aalen eine durch Industrie bestimmte mittelgroße Stadt, die zugleich auch ein Eisenbahnknotenpunkt war.

      Wir wohnten etwas am Rande der Stadt, die viel breitere Straßen hatte, als ich dies bislang kannte. Man bekam hier auch nicht so unmittelbar das mit, womit sich die Bevölkerung beschäftigte. Da roch es aus keinem Kuhstall, da hörte man keine Schweine grunzen, da wurden keine Pferde beschlagen und keine Sensen gedengelt.

      Die Milch holte man nicht in der Molkerei und die Eier nicht direkt beim benachbarten Bauern. Dies alles kaufte man beim Kaufmann, der sein Geschäft in der Stadtmitte betrieb. Kartoffeln und Eier wurden von einem sogenannten Eiermann ins Haus geliefert, zunächst noch mit seinem Dreiradauto, das der Händler aber bald abliefern musste, da seine Arbeit als nicht kriegswichtig galt. Von nun an fuhren wir mit dem Leiterwagen zu ihm, was uns Kindern viel Spaß machte, da unser Haus auf einer Anhöhe stand. Wir durften, solange der Wagen nicht beladen war, den Berg hinunter sausen, wobei wir ziemlich Tempo entwickelten und gelegentlich zum Ärger unserer Luise auch im Straßengraben landeten. Diese Wagenfahrten sowie auch das Himmel- und Höllespielen auf der Straße wurden zunehmend ungefährlicher, nachdem kaum mehr Autos unterwegs waren. Jetzt sah man auf der Straße nur noch von dickbeinigen Pferden gezogene Wagen, die Kohlen, Bierfässer und lange Eisstangen für Eisschränke ausfuhren.

      Dass mir die ersten Jahre in Aalen vor allem winterlich kalt in Erinnerung blieben, mag damit zu tun haben, dass die Winter in den Vierziger Jahren in Süddeutschland sehr kalt, schneereich und anhaltend waren; aber verstärkend kam sicher hinzu, dass kriegsbedingt das Heizmaterial immer knapper wurde. Wir hielten uns überwiegend im sogenannten Kinderzimmer auf, das von einem Kachelofen erwärmt wurde, der vom Flur aus befeuert werden konnte und durch Luftschächte zwei Schlafzimmer im oberen Stockwerk etwas mit erwärmte. In der Küche gab es zwar einen Gasherd außer dem üblichen Holzherd, doch nach einem Bombenangriff war das Städtische Gaswerk zerstört und es konnte nur noch mit dem Holzherd gekocht werden, was immerhin den Vorteil hatte, dass es dadurch in der Küche etwas wärmer war. Um den Holzvorrat zu sparen, richtete Vater eine Kochkiste ein, einen Behälter aus Holz, in dem vorgekochte Speisen endgegart und warmgehalten wurden.

      Das übrige Haus war den Winter über kalt und die Fenster oft auch tagsüber mit Eisblumen bedeckt. Am Sonnabend wurde im Badezimmer ein Wasserboiler mit Holz beheizt und dann ging es in die Badewanne, ein Vergnügen, auf das wir Kinder uns schon die Tage davor freuten. Zu dritt saßen wir in der Wanne und es gab jedes Mal Streit, verbunden mit viel Geschrei, bei der Frage, wer zuerst aussteigen musste. Meist gaben wir schlagartig Ruhe, wenn der bei seinen Predigtvorbereitungen gestörte Vater im Türrahmen erschien und stimmgewaltig Ruhe einforderte.

      Die Winter erschienen mir endlos lang. Die Wege zum Kindergarten waren kalt und oft nicht ungefährlich, da wir mit unseren genagelten Stiefeln auf dem Eis häufig ausrutschten oder im Schnee einsackten und wir deshalb bereits im Kindergarten mit nassen und klammen Füßen ankamen. Der große und, wie mir immer schien, dampfende Raum, in dem sich nicht sehr wohlriechende Kindergerüche stauten, bereitete mir enormen Widerwillen, ich wäre am liebsten wieder umgekehrt, denn neben dem Gestank kam mir das Kindergeschrei unerträglich vor, das die verwachsene und deshalb kleinwüchsige Kinderschwester mit ihrer dünnen Stimme nicht dämpfen konnte. Sie wusste sich deshalb auch nur mit einem Stock zu helfen, der über die lautstärksten Schreihälse niederging. Obwohl ich als das Pfarrerskind nie geschlagen wurde, zitterte ich mehr als die Kinder, die die Hiebe zu spüren bekamen.

      Wie sehnte ich mich da nach dem Sommer, wenn wir den ganzen Tag über in dem Garten unter Bäumen hinter dem Gemeindehaus spielen durften. Da gab es keine Schläge, wir konnten Fangen spielen, uns verstecken oder in dem riesig großen Sandkasten nach Herzenslust buddeln. Und wenn dann die blühenden Kastanienbäume über uns ihre weißen Blütenblätter abwarfen, dann war das wie Schnee, aber ohne Kälte und Frost.

      Schnee und Glatteis wurden auch Mutter zum Verhängnis. Sie rutschte, beladen mit Adventskränzen an der Lenkstange, mit ihrem Fahrrad aus, stürzte und zertrümmerte sich die rechte Knieschreibe des Beines, welches sie vor Jahren schon einmal am Knöchel gebrochen hatte.

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