Ernst Meder

Kein Vergessen


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hatten seine Laufschuhe vorrätig. Zusätzlich besorgte es sich auch wärmere Laufkleidung, morgens war es inzwischen schon so frisch, dass er Angst hatte, zu frieren, wenn er verschwitzt laufen würde. Er lief in Richtung Kurfürstendamm, wie lange war er schon nicht mehr hier gewesen. Das letzte Mal, an das er sich erinnern konnte, war nach der mündlichen Abschlussprüfung, die er mit anderen Kommilitonen in einer Seitenstraße gefeiert hatte. Auch hier hatte sich einiges geändert, er würde seine Heimatstadt neu erkunden müssen, er überlegte, ja, er freute sich darauf.

      5. Kapitel

      Es war ein Wochenbeginn, wie er ihn seinem schlimmsten Feind nicht gewünscht hätte. Seit Jahren hatte er mal wieder einmal verschlafen und dies nur, weil er nicht sofort das Bett verlassen hatte, als seine Frau ihn geweckt hatte. Als er erneut erwachte, wusste er sofort, auch bei größter Anstrengung würde er zu spät ins Büro kommen.

      Natürlich standen auch noch seine Kollegen Spalier, um ihn mit ätzenden Kommentaren zu seinem Büro zu begleiten. Er hätte verstanden, dass sie bissige Kommentare für das Zuspätkommen abgaben, wenn nicht gerade er der Betroffene gewesen wäre.

      Mit rotem Kopf und einem Knurren ging er vorbei in Richtung seines Büros. Sollten sie ihn doch alle mal, er unterdrückte irgendwelche Widerworte, die nur obszön ausgefallen wären, ging wortlos weiter, für die nächsten Wochen hatte er genug an Spott einstecken müssen.

      Wolfgang saß bereits im Büro und blickte ihn erwartungsvoll an, ja ich habe verschlafen knurrte er auch diesen an, passiert ja selten genug. Er zog seinen Stuhl unter dem Tisch hervor, dann ließ er sich ächzend darauf sinken, jetzt sag bloß nicht das es auch noch schlechte Nachrichten gibt, drohte er.

      Nein, versuchte der seinen schlecht gelaunten Chef zu beruhigen, inzwischen gibt’s Nachrichten aus dem Melderegister, es gibt wohl keine Verwandte ersten Grades. In Berlin hatte er überhaupt keine Verwandten, eine entfernte Cousine soll im Schwarzwald leben, Freiburg oder Umgebung, da gibt es noch einige Unstimmigkeiten im Melderegister.

      Dann besorg einen Durchsuchungsbeschluss, ich will in die Wohnung, vielleicht gibt es da noch Hinweise. Versuch, dass wir heute noch in die Wohnung kommen, und sag der KTU Bescheid, die will ich auch in voller Stärke dabei haben.

      Er dachte wieder an gestern, als er nach Hause gekommen war. Unmittelbar nach Betreten der Wohnung blickte er in das versteinerte Gesicht seiner Frau, die ihn mit Missachtung gestraft hatte. Als er ihr wie immer einen Kuss auf die Wange geben wollte, hatte sie den Kopf weggedreht, war einfach weiter gegangen. Ohne ihn weiter zu beachten, hatte sie ihre Tochter angerufen, mit dieser länger als eine halbe Stunde telefoniert, danach noch mit ihrer gemeinsamen Enkelin gescherzt.

      Kaum hatte sie den Hörer aufgelegt, war ihr Gesicht wieder versteinert, glich eher dem der Nofretete, nur nicht so freundlich. Am liebsten hätte er sie gepackt und zur Museumsinsel geschleppt, stattdessen war er zur Tankstelle gefahren, hatte da für teures Geld einen mickrigen Blumenstrauß besorgt.

      Als er ihr den mit zerknirschtem Gesicht übergeben wollte, konnte sie ihr Lachen doch nicht mehr unterdrücken. Aber bis dahin, puh, das wünschte er seinem schlimmsten Feind nicht. Er sollte sich überlegen, ob er dieses Talent nicht bei den nächsten Verhören einsetzen konnte.

      Seine Gedanken schweiften zu ihrem neuesten Fall, sollte er in der Rechtsmedizin anrufen oder lieber warten, bis diese sich meldeten. Bisher hatte er mit seinen Anrufen immer schlechte Erfahrungen gemacht, wenn immer diese das Gefühl hatten, dass sie gedrängt wurden, dann reagierten die immer so eigenwillig.

      Dann fiel ihm ein, dass Gerold heute bestimmt nicht in der Rechtsmedizin anwesend sein würde, da dieser ja gestern Dienst hatte. Nach kurzer Überlegung beschloss er deshalb, seinen Anruf lieber auf einen anderen Tag zu verschieben.

      Er wollte sich gerade die Protokolle der am Tatort befragten Personen vornehmen, als die Tür aufging und der Kopf von Wolfgang erschien.

      Habe gerade die Zusage bekommen, um zwei Uhr liegt der Beschluss vor, dann können wir in die Wohnung. Ich gehe gleich zur KTU um Bescheid zu sagen, dabei kann ich ja mal unauffällig nachfragen, ob die Auswertung der Spuren etwas erbracht hat.

      Jetzt sollte er endlich nachsehen, was aus den Befragungen rausgekommen war, heute wollte einfach nichts vorwärtsgehen. Es gab solche Tage, alles ging schief, es war wie verhext, als wäre er mit dem falschen Fuß aufgestanden. Was überhaupt nicht möglich war, das geschah nur in den seltenen Fällen, wenn er sich mit seiner Frau geliebt hatte und danach auf ihrer Seite einschlief.

      Schlafen oder lieben, er hatte sich nie an den Terminus der Jugend gewöhnen können die von Sex haben, Bumsen oder Ficken gesprochen hatten. Wenn er zu Hause etwas Derartiges gesagt hätte, wäre er auf seine Seite verbannt worden, er hatte es aber auch nie probiert. Was sollten denn diese Gedanken hier im Büro, irgendwas musste gestern im Essen gewesen sein, anders konnte er es sich nicht erklären. Natürlich hatten sie gestern im Bett Versöhnung gefeiert, aber er war brav auf seiner Seite eingeschlafen.

      Er rief sich zu Ordnung, vielleicht sollte er einfach beginnen zu lesen, das würde ihn bestimmt auf andere Gedanken bringen. Aha, da war die Aussage des Anrufers, dieser hatte, nachdem ihn die Frau angehalten hatte. Diese habe sehr aufgeregt gewirkt, als sie ihn aufforderte, dass er bei der Polizei anrufen soll, da auf der Parkbank ein Toter sitzt.

      Der Anrufer kannte die Frau vom Sehen, weil er ihr immer nachschlich, fügte er in Gedanken dazu, ihre Tochter heißt Laura, sie ist etwa vier bis fünf Jahre alt. Sie selbst ist blond, vielleicht Mitte bis Ende zwanzig mit kurzen blonden Haaren sowie einem Leberfleck im Gesicht. Das Alter hatte er nach der Beschreibung geschätzt, außerdem glaubte er nicht, dass der Anrufer die Angewohnheit hatte, älteren Damen hinterher zu laufen.

      Mal sehen, was die Nachbarn so über ihren verstorbenen Nachbarn gesagt hatten, die Familie rechts von ihm, na an der Aussage konnte ja nichts verwendet werden. Nach deren Aussage war der Mann ein Engel, der sich verflogen hatte, dann auf der Erde gelandet war.

      Der liebe Mann, jeden Sonntag sei er in die Kirche gegangen, seine Frau hatte er immer auf Händen getragen, das konnte ja alles nicht wahr sein. Am besten er rief doch in der Rechtsmedizin an, die mussten den Heiligenschein übersehen haben. Das konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen, jeder hatte eine dunkle Seite, man musste diese nur finden.

      Jetzt war er gespannt, was der linke Nachbar sagte, nichts, ach so, der war gar nicht da, in der zweiten Wohnung links fand die nächste Befragung statt. Dieser erzählte davon, dass der Tote nach seiner Kenntnis ein pensionierter Lehrer gewesen sei, darüber hinaus hätten sie jedoch keinen Kontakt gehabt.

      Wolfgang schrie Melzer, dann fiel ihm ein, der war ja bei der KTU. Die Frage, die ihm gerade eingefallen war, konnte warten, bestimmt fanden sie Unterlagen in der Wohnung, aus welchen hervorging, an was für einer Schule der Tote unterrichtet hatte.

      Stürmisch sprang die Tür auf, etwas außer Atem kam Wolfgang ins Büro, Du hast gerufen, dann ließ er sich auf seinen Stuhl plumpsen.

      Ja hat sich aber gerade erledigt, dann blickte er forschend zu ihm. Na was gibt’s an Neuigkeiten aus der KTU, wobei der das T von KTU so lange zog, bis Wolfgang sich aufrecht hinsetzte.

      Leider schlechte Nachrichten von den Suchtrupps, der Tatort ist übersät von Spuren, die sehr wahrscheinlich nichts mit der Tat zu tun haben. Eine Zuordnung oder eine Bezugsquelle für das Seidentuch haben sie auch noch nicht gefunden, das Etikett in dem Seidentuch fehlt. Wo auch immer es besorgt hat, aus Deutschland kommt es nicht.

      Von eBay knurrte Melzer, alles, was Du nicht im Geschäft bekommst, kriegst Du bei eBay, er machte sich keine Hoffnung bei dem Tuch.

      Nein, widersprach sein Kollege, das haben sie wohl gecheckt, bei eBay ist das Tuch nicht verkauft worden. Auf alle Fälle nicht unter einem bestimmten Label grenzte er ein, vielleicht hatte er es als No-Name Tuch gekauft. Es war ja nicht zu erwarten, dass er extra ein Markentuch gekauft hatte, um dem Ganzen etwas mehr Stil zu verleihen. Früher, das heißt, vor diesen Internetverkäufen, war alles sehr viel einfacher.

      Etwas Eigenwilliges haben sie aber doch gefunden, der Anstecker, er erinnerte sich an die kleine Schrift, konnte