Ernst Meder

Kein Vergessen


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Yoko Ono einen kleinen Bereich im Central Park John Lennon gewidmet, der am achten Dezember neunzehnhundertachtzig ermordet worden war.

      Er hatte davor gestanden vor dem kreisrund gestalteten Mosaik aus schwarzen und weißen Steinchen, in dessen Zentrum, in Anlehnung an seinen vielleicht berühmtesten Titel Imagine zu lesen stand.

      Und er stellte sich vor, wie sein Leben verlaufen wäre, wenn er in Strawberry Fields gewesen wäre, jenem Waisenhaus bei Liverpool. In dessen Garten Lennon gespielt hatte, nicht an dem Ort, den er immer noch als Belastung mitschleppte. Er freute sich aber auch über The Gates of Christo, an der Installation der siebentausendfünfhundert Tore aus safrangelben Stoffbahnen. Er hatte sie alle durchlaufen, sich an ihnen erfreut, inzwischen war der Central Park zu seinem zweiten Zuhause geworden.

      Im Büro machten sich einige schon Vorwürfe was sie mit ihrem Vorschlag ausgelöst, was sie damit losgetreten hatten. Trotz, oder vielleicht auch deswegen, seiner Kreativität taten diese Strapazen, diese immerwährenden Erschöpfungszustände an den Wochenenden keinen Abbruch. Es bewirkte eher das Gegenteil, er schien nach solch einem Wochenende zu neuen Höchstleistungen aufzulaufen.

      Es hatte den Anschein, als wären seine Gedanken fokussiert, nichts konnte ihn ablenken, als hätte er beim Laufen unnützen Ballast abgeworfen. Immer wenn gedankliche Flaute in der Agentur eintrat, die Ideen ausblieben, fragte ihn der Leiter der Agentur, ob er nicht den Central Park unsicher machen wolle.

      Er war jetzt fast vierzig Jahre und fühlte zum ersten Mal in seinem Leben so etwas wie Zufriedenheit, seine Gedanken schweiften nicht mehr ausschließlich in die Vergangenheit. Rachel, die diese Entwicklung mit zwiespältigen Gefühlen betrachtete, ahnte eine dunkle Seite, die irgendwann ausbrechen würde. Sie fragte sich verzweifelt, was sie tun, wie sie helfen, ob sie das Unglück verhindern könne.

      Sie sprach mit niemandem, alle hätten sie ausgelacht, hätten ihre Bedenken kleingeredet, vielleicht hätten sie ihr auch unterstellt sie sei sauer, weil sie nicht bei ihm landen konnte. Es gab durchaus Tuscheleien und Gerüchte, zwischen ihr und Matthias sei irgendetwas im Gange, auf alle Fälle wäre sie scharf auf ihn.

      Diese Zufriedenheit, sowie das Fehlen bestimmter Auslösemechanismen führten dazu, dass die Hoffnung wuchs endlich alles überwunden zu haben. Es war endlich vorbei, es war vorbei, es war vorbei, es war endlich vorbei, das Leben war also auch für ihn wieder lebenswert. Es hatte lange gedauert, aber wenn jetzt alles vorbei war, dann wollte er verzeihen und vergessen.

      Rachel nahm diese innere Zufriedenheit, diese neue Gelassenheit als Erste wahr, was auch nicht besonders verwunderlich war, sie hatte ihn auch am meisten und am intensivsten beobachtet. Für Sonntag nahm sie sich deshalb etwas Besonderes vor, sie wollte später zu der Laufgruppe dazustoßen, erst bei der Vierten von üblicherweise fünf Runden mitlaufen.

      Nach Abschluss und Verabschiedung der Gruppe wollte sie Matthias bitten, ob sie noch etwas mit ihm zusammenlaufen dürfe, sie hoffte, so wieder Zugang zu ihm zu erhalten. Er war zwar die ganze Zeit höflich und zuvorkommend zu ihr gewesen, das war aber nicht, was sie wollte.

      Das geplante Zusammentreffen klappte wie vorhergesehen, entgegen ihrer Befürchtung war Matthias bester Stimmung und freute sich zusammen mit ihr zu laufen. Nach weiteren vier Runden merkte er, wie Rachel nach und nach mehr verkrampfte, mit seinem Tempo zu kämpfen hatte. Er beendete die Runde mit ihr, dann erklärte er ihr, dass auch er für heute genug hätte und aufhören wolle.

      Sie war extra mit dem Auto gefahren, obwohl sie selbst über keines verfügte. Eine Freundin hatte sich sofort bereit erklärt, ihr das Auto zu überlassen, als Rachel ihr ausmalte, welchen Zweck sie damit verfolgte. Wenn Du den Typ aufreißt, habe ich aber etwas gut bei Dir, sagte diese noch, als sie ihr den Fahrzeugschlüssel in die Hand drückte.

      Aus Spaß erwiderte diese, Du darfst die Brautjungfer sein, beide lachten, keine nahm diese Aussage ernst. Nun bot sich die Gelegenheit ihren Trumpf auszuspielen, Du kannst bei mir mitfahren, ich habe übers Wochenende das Auto meiner Freundin. Nicht ganz wahrheitsgemäß fügte sie hinzu, sie ist dieses Wochenende verreist.

      Fragend blickte er sie an, was stellte sie sich vor, noch konnte er keinen Vorteil erkennen, aber er konnte sich ja anhören, was sie sich vorstellte. Früher hatten sie sich immer an dem Fahrzeug eines Kollegen umgezogen, danach war er mit der Metro nach Hause gefahren. Seit er länger lief, hatte er seine Route immer so gelegt, dass er an der Metrostation sein Laufen beendete, die drei Stationen nach Hause dann in seiner verschwitzten Laufkleidung fuhr. Am Anfang war es ihm unangenehm, mit der durchgeschwitzten Laufkleidung in der Metro zu fahren, bis er festgestellt hatte, dass andere es ihm gleich taten.

      Da seine Wohnung sehr viel günstiger zum Park lag als ihre, hatte sie sich auf alles vorbereitet. Ich kann Dich nach Hause bringen, dafür darf ich bei Dir duschen, Sachen zum Wechseln habe ich dabei, danach könnten wir noch gemeinsam frühstücken. Ist das ein Vorschlag, sie blickte ihn fragend an. Sie war sich sehr wohl bewusst, dass sie bei ihrer Größe den Kopf in den Nacken legen musste, dabei sehr hilflos wirkte, wenn sie ihn entsprechend ansah. Sie kannte diese Wirkung, jetzt setzte sie diese gezielt ein.

      Er überlegte kurz, OK einverstanden, wenn ich Dich nachher zum Frühstück einladen darf. Sie atmete innerlich erleichtert auf, ungewohnt burschikos aber auch zurückhaltend ging sie darauf ein, indem sie einfach mit „Einverstanden“ antwortete.

      In seiner Wohnung angekommen zeigte er auf die Tür des Badzimmers, Du darfst zuerst duschen, ich mach uns einen Kaffee, es kann ja nicht schaden, vorher einen Kaffee zu trinken. Sie nickte, nahm ihre Tasche, dann verschwand sie in dem Badezimmer, sie verschloss die Tür absichtlich nicht, wenn er reinkommen wollte, dann sollte kein Hindernis zwischen ihnen sein. Sie duschte sehr ausgiebig, sie hatte ihre teuerste Duschlotion mitgenommen, danach nutzte sie ausgiebig ihr bevorzugtes Lieblingsparfüm. Es sollte nicht, am sich nicht riechen können, scheitern.

      Er hatte keinen Versuch unternommen zu ihr ins Badezimmer zu kommen, das war aber nicht so schlimm. Die Waffen einer Frau konnten in vielfältiger Natur eingesetzt werden, sie war gerade erst am Anfang. Als sie aus dem Bad erschien, wirkte sie dezent in ihrem Outfit, sie hatte gelernt, wie leicht er zu verschrecken war, dieses Mal wollte sie alles richtig machen. Du kannst ins Bad, rief sie in die Küche, wo er an einem Tresen stand und Kaffee trank.

      Er trank seine Tasse aus, Kaffee ist fertig in der Maschine, leider habe ich keine Milch, er wusste also, dass sie ihren Kaffee im Büro immer mit Milch trank.

      Das macht nichts murmelte sie, konnte sich aber nicht vorstellen, dass er sie noch gehört hatte. Sie nahm sich den Kaffee, dann blickte sie sich um, eigentlich ganz angenehm, auch wenn man auf den ersten Blick sah, dass hier ein Mann allein lebte. Sie öffnete den Kühlschrank, die Vorurteile über Kühlschränke und Männer wurden hier in exemplarischer Art bestätigt. Er war einfach nur leer bis auf einen Joghurt, sie wollte sehen welche Sorte, es war egal, dessen Haltbarkeitsdatum war bereits vor mehr als zwei Monaten abgelaufen.

      Sie beschloss, sich die Zeit zu nehmen, Matthias schien ein besonderes Exemplar der Gattung Mann zu sein. Er stand in der Küchentür, die Haare immer noch feucht, nur mit den Händen irgendwie in Form gebracht, mit T-Shirt und Hose. Sie blickte an ihm abwärts, bemerkte, dass er barfuß mit fragendem Blick vor ihr stand.

      Wenn sie ihn nicht schon geliebt hätte, so hätte sie sich jetzt spontan in ihn verliebt. Er schien zu warten, dann kam die Frage noch mal, hast Du dir überlegt, wo wir frühstücken wollen. Sie schüttelte den Kopf, nein meinte sie leise, wenn sie recht überlegte, hatte sie keinen Hunger mehr.

      Sie wollte doch keinen Fehler machen, sie riss sich zusammen, forsch fügte sie hinzu. Du kennst dich in der Gegend besser aus, wenn man Rückschlüsse auf den Inhalt in Deinen Kühlschrank zieht, dann kennst Du bestimmt alle Cafés in der Gegend.

      Ich warne Dich, wenn ich frühstücke dann meist europäisch im Mont Blanc, in die 48th Street.

      OK, wird eine neue Erfahrung für mich, lass es uns probieren.

      Den Fehler, den sie beim letzten Mal gemacht hatte, wollte sie korrigieren, sie wollte hinter das Geheimnis dieses Mannes kommen, sie würde heute die Fragen stellen. Sie war verwundert, was man doch in Europa so zum Frühstück