Johannes Hahn

Die Einführung des Fernsehens im Senegal


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externe Kontrolle oder Anregung nur eine sehr kurze Lebensdauer25.

      Das Ziel eines autozentrierten und eigendynamischen Wandels in Entwicklungsländern ist zwar wünschenswert, muss aber realitätsfern bleiben, solange es bestimmte soziale, strukturelle und nicht zuletzt finanzielle Hindernisse gibt, die durch Partizipations-Kommunikation wohl kaum aus dem Weg geräumt werden können.

      2.2.3 Komplexe Innovationssysteme

      Das Modell der “Komplexen Innovationssysteme” ist das Resultat der Bemühungen, die Ergebnisse früherer Kommunikationsmodelle und deren Misserfolge in der Entwicklungspraxis in einer neuen und wohl zwangsläufig weniger präzisen Theorie zusammenzufassen. Die Tatsache, dass isolierte Medienkonzepte nur selten Erfolg haben, führte zu der Erkenntnis, dass Wandel und Entwicklungsprozesse sehr viel komplexer sind als von der bisherigen Forschung angenommen - und dass in diesen Prozessen Kommunikation jeglicher Art immer nur ein Faktor unter vielen anderen ist.

      “Sozio-kultureller Wandel [wird] als Funktion eines komplexen Innovationssystems verstanden [...], innerhalb dessen verschiedene Subsysteme miteinander interagieren. Das Innovationssystem erbringt seine Leistung um so besser, je konsistenter die Ziele der verschiedenen Subsysteme sind. So ist z.B. der Entwicklungserfolg dann gefährdet, wenn die Problemperzeption der Planungsinstanzen mit derjenigen der Bevölkerung konfligiert”26.

      Oder einfacher gesagt: die unübersichtlich vielen Faktoren, die den Wandel beeinflussen, sollten besser aufeinander abgestimmt werden. Folglich müssten zunächst diese Faktoren erkannt und dann einzeln untersucht werden - was in einem utopisch anmutenden, interdisziplinären Kraftakt gipfeln dürfte.

      Verständlicherweise beschränkte sich die Kommunikationsforschung auf Untersuchungen des ihr ureigenen, meist massenkommunikativen “Subsystems” und dessen Beziehungen zu anderen “Subsystemen”, die als für den Entwicklungsprozess wesentlich eingestuft wurden. Katz und Wedell untersuchen beispielsweise statistisches Material aus 91 Entwicklungsländern und vergleichen die in Radio und Fernsehen gesetzten Erwartungen mit den erzielten Resultaten, um sich so den Beziehungen zwischen Entwicklungs- und Medienpolitik zu nähern27. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass - abgesehen von Peru und Tansania - in keinem der untersuchten Länder die Rolle von Radio und Fernsehen im Entwicklungsprozess definiert wurde, als diese Medien etabliert wurden, und betrachten diese Tatsache als Grund für das Scheitern zahlreicher Entwicklungsbemühungen.

      Um diesem Problem zu begegnen, beauftragte die UNESCO Alan Hancock mit einer Studie, die einen Rahmen für die Kommunikationsplanung in Entwicklungsländern aufzeigen sollte28. “Entwicklung” ist für Hancock der Abbau von Ungleichheiten - und “Entwicklungskommunikationsplanung” könne diesem Ziel dienen, indem sie zwischen den drei Hauptbereichen “Entwicklungspolitik”, “Kommunikationsinfrastruktur” und “Technologie” einen bestmöglichen Ausgleich herstelle. Wünschenswert sei ein “Bottom-Up Planning” - aber Hancock zweifelt berechtigterweise an dessen Durchführbarkeit beispielsweise auf nationaler Ebene und räumt überdies ein, dass seine Ausführungen über die partizipative Planung mangels empirischer Basis eher spekulativ seien.

      Saxer und Grossenbacher untersuchten 1987 viele Aspekte moderner und traditioneller Kommunikationssysteme in Benin und entdeckten auch dort Diskrepanzen zwischen den Zielen von Kommunikations- und Entwicklungspolitik und schließen, dass nicht zuletzt die Komplexität des Entwicklungsprozesses die “Grenzen der Funktionalisierung von Mediensystemen für gezielten gesellschaftlichen Wandel in Entwicklungsländern” erkennen lasse29.

      Das größte Verdienst des Modells “Komplexe Innovationssysteme” ist zweifelsohne das Eingeständnis der Komplexität von Wandlungsprozessen, die eine exakte Steuerung dieser Vorgänge unmöglich machen dürfte. Und so ist dieses Modell wohl auch weniger als Leitfaden für zukünftige Entwicklungspraxis zu verstehen, sondern vielmehr als konzeptioneller Rahmen für die Forschung, um sich einem Verständnis von Wandlungsprozessen (und der Bedeutung von Kommunikation innerhalb dieser Prozesse) zumindest zu nähern. Wer wie Hancock dieser Prämisse folgt und trotzdem der Versuchung erliegt, “das” Rezeptbuch der Entwicklungskommunikation verfassen zu wollen, kann nur im Bereich der Spekulation enden.

      2.3 Resümee

      Wie bereits in der Einleitung dieses Kapitels erwähnt, lassen die verschiedenen Theorien die unterschiedlichsten wissenschaftlichen und ideologischen Prämissen erkennen. Gemein ist ihnen lediglich ihr unrühmliches Ende, da alle diese vermeintlichen Gesetze über die Rolle der Kommunikation im Prozess des Wandels einer Überprüfung nicht stand hielten. Was im einen Fall als wiederkehrendes Muster erkannt wurde, war im nächsten Fall oft gar nicht erst anzutreffen. Und so verdeutlichen die vorschnell als “Gesetze” geadelten Ergebnisse einzelner Studien in ihrer Summe, dass die Wirkung und Bedeutung von Kommunikation von sehr viel mehr als den in den einzelnen Studien untersuchten Faktoren abhängt.

      Die Kommunikationswissenschaftler Mowlana und Wilson resümieren im Jahre 1988:

      “In summary, the debate of the last two decades has made it clear that: communication, although vital, is a much more complex component of `development´ than it was originally thought to be, and that it cannot be removed from its social and cultural contexts; and that the notion of `development´ itself is still a somewhat unsettled concept that

      continues to have a number of less universal and more culture-bound values attached to it.”30

      Doch auch wenn die formulierten Theorien weit davon entfernt sind, tatsächlich allgemeingültige Regeln zu verkünden, so bleiben sie dennoch nicht ohne Wirkung. Zum einen beeinflussen sie die kommunikationswissenschaftliche Forschung, wo sie im besten Falle fruchtbare Anregungen geben und schlimmstenfalls den Blick auf bestimmte Faktoren versperren. Zum anderen aber wurden und werden die erwähnten Theorien von Politikern und Entwicklungshelfern aufgegriffen und haben somit praktische Auswirkungen. Gerade die sogenannten Entwicklungsländer haben ein besonderes Interesse an Möglichkeiten der Beeinflussung oder gar Steuerung gesellschaftlichen Wandels und wurden “zu einem gigantischen Experimentierfeld von Wissenschaftlern und Entwicklungspraktikern mit zum Teil verheerenden Folgen”31.

      Vor diesem Hintergrund erscheint es gerechtfertigt, die zuvor beschriebenen Ansätze hauptsächlich nach ihrer Praktibilität bzw. ihrer entwicklungspraktischen Realisierbarkeit zu bewerten - auch wenn sich einwenden ließe, dass es sich bei diesen Theorien doch in erster Linie um wissenschaftliche Erklärungsmuster zur Untersuchung bereits abgelaufener Prozesse handelt.

      Zwar hat sich die Entwicklungskommunikationsforschung im Laufe der Jahre immer mehr von den “Handlungsanweisungen” für Entwicklungsländer entfernt - bis hin zur Formulierung komplexer und nur noch nebulös zu beschreibender Modelle, deren Grundaussage zu lauten scheint, dass es, zumindest für die Entwicklungspraxis, eben keine Modelle, sondern nur Einzelfälle geben könne. Tatsache ist aber, dass viele Wissenschaftler trotzdem immer noch dazu anregen, ihre in Theorien gegossenen Ergebnisse als Anregung für die tatsächliche Entwicklungsarbeit zu nutzen. Dass die Ergebnisse der Kommunikationsforschung auch Praktikern zur Verfügung stehen, ist begrüßenswert - aber manchmal wäre wohl auch ein Hinweis auf die Grenzen solcher Forschung oder auch nur auf die “Größe” und Vergleichbarkeit des jeweiligen Untersuchungsgegenstandes angebracht.

      Trotzdem sind die Arbeiten, die von diesen Theorien angeregt wurden oder die, aus denen diese Ansätze hervorgegangen sind, von großer Bedeutung für die Wissenschaft ebenso wie für die Entwicklungspraxis - wenn sie mit entsprechender Vorsicht genossen werden. Ihnen allen gebührt das Verdienst, bestimmte Faktoren hervorgehoben und näher untersucht zu haben.

      Damit ermöglichen sie ein besseres Verständnis der Rolle und des Potenzials von Kommunikation im Prozess gesellschaftlichen Wandels. Aber angesichts der Komplexität der Materie kann es kaum sinnvoll sein, weiterhin nach dem “Rezeptbuch” zu suchen, nach dessen Regeln Kommunikation angeblich funktioniert und gesellschaftlichen Wandel steuerbar macht.

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