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Helene Hammerer

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      1.

      Imelda streckte ihren Rücken, setzte sich wieder aufrecht hin und fädelte einen neuen Zwirn ein. Nur noch zehn kleine, mit Stoff überzogene Knöpfe, dann waren auch die neuen Trachtenärmel für ihre Mutter fertig. Sie waren aus eisblauer Seide und passten zu den Stickereien am Halsausschnitt und auf dem Brusttuch. Ihre Mutter würde sehr elegant aussehen auf der „Hochzeit des Jahres“. Imelda schüttelte leicht den Kopf. Kaum zu glauben, dass sie erst seit drei Wochen wieder in Auenfeld lebte, dem kleinen Bergdorf, in dem sie ihre Kindheit und Jugend verbracht hatte. Sie war mit gemischten Gefühlen zurückgekehrt, mit ihren beiden Kindern, und geschieden von dem Mann, den sie mit 19 für die Liebe ihres Lebens gehalten hatte.

      Onkel Kaspar holte sie an jenem Tag, Anfang Juli, mit seinem Opel-Kombi am Bahnhof ab. „Gut, dass du endlich wieder da bist, Mädchen“, sagte er freundlich und schüttelte ihr die Hand. Den Kindern tätschelte er die Köpfe. „Na, ihr blassen Stadtpflanzen, euch machen wir auch noch zu strammen Auenfeldern.“ Sie lächelten, stimmten ihm zu, und folgten ihm zu seinem Auto. Übermäßige Gefühlsbekundungen und Umarmungen waren im Tal nicht üblich. Man zeigte mehr durch Taten, als durch Worte, was man empfand. So war dann auch das blitzblank geputzte alte Haus ihrer verstorbenen Großmutter der lauteste Willkommensgruß ihrer Mutter. „Schön, dass ihr da seid. Hattet ihr eine gute Fahrt?“, lächelte sie und führte alle gleich zum gedeckten Kaffeetisch. Die Kinder erzählten ihrem Säle, wie man die Großmutter im Tal nannte, alles über die aufregende Zugfahrt von Salzburg nach Dornbirn, aßen nebenbei Nusskuchen mit Schlagsahne und tranken Kakao. Onkel Kaspar schmunzelte und brummte ein wenig, während seine Frau Frieda in der Küche eine zweite Kanne Kaffee aufbrühte. Imelda nippte an ihrem Kaffee und kämpfte mit dem Kloß in ihrem Hals, teils aus Rührung, teils aus Erschöpfung. Die vergangenen Monate waren schwer gewesen und hatten sie körperlich und seelisch oft an den Rand ihrer Kräfte gebracht.

      Wieder einmal wanderten ihre Gedanken zu dem Tag im Februar zurück, an dem ihr Ehemann, Max Reich, Mann von Welt und Besitzer von drei schicken Modeboutiquen in Salzburg und Umgebung, ihr erklärt hatte, er müsse zu einer Modemesse nach Rom. Er hatte seinen Koffer in aller Eile gepackt und Imelda war ein wenig erstauntgewesen, weil alles so überstürzt gewirkt hatte. Aber, was wusste sie schon von diesem Mann, der ihr in den letzten Jahren völlig fremd geworden war, und der nichts mehr mit dem charmanten, großzügigen Max gemeinsam zu haben schien, in den sie sich als junges Mädchen verliebt hatte. Am nächsten Morgen war die Polizei vor der Tür gestanden und hatte ihn wegen Betrug und Untreue gesucht. Damit waren der Schuldenberg und das gesamte Lügennetz ans Licht gekommen. Die Wohnung und die beiden teuren Autos gehörten der Bank. Die wunderschönen Antiquitäten und die kostbaren Teppiche wurden gepfändet. Kulanter Weise hatte man ihr und den Kindern erlaubt, bis zum Ende des Schuljahres in der fast leeren Wohnung zu bleiben, wenn sie im Gegenzug Interessenten durch die Immobilie führte. Zum Glück war sie offiziell immer als Änderungsschneiderin bei „Modereich“ angestellt gewesen und hatte wie alle anderen Mitarbeiterinnen Anspruch auf ihren Lohn und dann auf Arbeitslosengeld. Max hatte sich abgesetzt und bis heute fehlte jede Spur von ihm. Imelda hatte die Scheidung eingereicht und dafür gesorgt, dass für Wolfgang und Sophia ein Stück Normalität erhalten geblieben war. Hatte sie zur Schule und in den Kindergarten gebracht, war mit ihnen in den Park gegangen und hatte die halben Nächte an der Nähmaschine gesessen, um das Schulgeld für die teure Privatschule, die Musikstunden und die kleinen Freuden der Kinder weiter bezahlen zu können. Trotzdem hatten die beiden natürlich unter der Situation gelitten. Wolfgang hatte Asthmaanfälle und die kleine Sophia wurde von schlechten Träumen geplagt. Als ihre Mutter ihr von der freien Stelle im Hotel Alpenrose geschrieben und sie gebeten hatte, doch nach Hause zu kommen, wollte sie anfänglich nichts davon wissen. Nein, als Versagerin zurückzukommen, noch dazu geschieden, so hatte sie sich das nicht vorgestellt, als sie mit knapp zwanzig Maximilian Reich geheiratet hatte. Damals war es schon ein kleiner Skandal gewesen, dass die brave Imelda einen zwanzig Jahre älteren, geschiedenen Geschäftsmann aus Salzburg heiratete. Ihre Mutter hatte er mit seinem Charme um den Finger gewickelt, wie alle Frauen, aber Onkel Kaspar und ihre beiden älteren Brüder hatten nicht viel von dem „Modefritzen“ gehalten. Dass Imelda schwanger gewesen war, hatte die Sache auch nicht besser gemacht.

      Schließlich hatte sie der Versuchung doch nachgegeben und dem Vorschlag ihrer Mutter zugestimmt, da er ihre dringendsten Bedürfnisse abdeckte, und sie allein einfach nicht mehr konnte. So könnte sie mit ihren Kindern in dem alten Bauernhaus leben, das seit dem Tod ihrer Großmutter im vergangenen Herbst leer gestanden hatte, gleich neben ihrer Mutter und Onkel Kaspar. Im Hotel Alpenrose, wo ihre Mutter als junge Witwe mit drei Kindern ausgeholfen und nun seit vielen Jahren die gesamte Wäscherei unter sich hatte, bekäme sie einen Job und hätte auch Hilfe mit den Kindern.

      Frieda kam mit einer Kanne frischem Kaffee zurück. „Magst du noch eine Tasse?“, fragte sie freundlich und brachte Imelda damit in die Gegenwart zurück. Frieda ahnte wahrscheinlich, wie ihr zumute war. Sie lächelte aufmunternd, schenkte ihr Kaffee nach und kümmerte sich um die anderen. Imelda zwang sich, das große Stück Kuchen auf ihrem Teller in Angriff zu nehmen, obwohl sie überhaupt keinen Appetit darauf verspürte. Aber mit dem Essen kam auch der Hunger, wie man oft sagte, und mit dem Gefühl, mehr als satt zu sein, kam eine gewisse Ruhe über sie und neue Zuversicht.

      Die Kinder gingen mit dem Säle, um die Schlafkammern zu besichtigen, während Frieda und Imelda in der altmodischen Küche das Geschirr spülten. „Wir freuen uns alle, dass ihr wieder da seid“, meinte die warmherzige, rundliche Frieda. „Du wirst sehen, es wird alles gut“. „Ja, ich bin auch froh, dass ich wieder da bin“, seufzte Imelda. „Alle haben schon auf dich gewartet. Für die Hochzeit wollen viele Frauen neue Ärmel für ihre Trachten“, plauderte Frieda munter weiter und erzählte ausführlich von Alexander Felder, dem Besitzer der Alpenrose, Imeldas künftigem Chef, der die junge Lehrerin seiner Tochter heiratete. Dass der verwitwete Alexander eine wirklich nette Frau gefunden hatte und eine neue Mutter für sein Kind, sprach die romantische Ader in den sonst so bodenständigen Frauen im Dorf an. Imelda ließ Frieda reden, obwohl sie die ganze Geschichte schon von ihrer Mutter und Elsbeth, Alexanders Schwester, gehört hatte. Elsbeth war in Bad Hofgastein mit einem Großbauern verheiratet und für Imelda eine gute, mütterliche Freundin geworden. Tüchtig, wie sie war, hatte die schöne Elsbeth ihren Mann, ihre vier Kinder und den großen Haushalt gut im Griff. Imelda hatte, seit sie in Salzburg lebte, immer die Näh- und Flickarbeiten für sie erledigt, die in einer großen Familie anfielen. Auch ihre Meisterarbeit, ein aufwändiges Brokatdirndl, hatte sie für Elsbeth genäht. „Bestimmt findest du auch bald einen netten Mann, der für dich und deine Kinder sorgt“, beendete Frieda ihre Ausführungen, wrang den Lappen aus und legte ihn ordentlich neben die Spüle. „Mhm“, murmelte Imelda und wand sich innerlich. Solche Kommentare würde sie jetzt wohl ständig hören müssen. Hier im Dorf war die Familie noch das Fundament der Gesellschaft und eine alleinerziehende Mutter nur schwer vorstellbar. In ihrer Familie hatte Onkel Kaspar die Funktion des Mannes teilweise übernommen, nachdem ihr Vater bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen war, wurde sich Imelda bewusst. Er hatte Brennholz gehackt, Reparaturen im Haus durchgeführt und den Kindern den Kopf zurechtgesetzt, wenn es nötig gewesen war.

      2.

      Den Rest des Nachmittags verbrachten sie damit, ihre Sachen auszupacken. Imelda hängte die mitgebrachten Kleider in den großen Schrank im Schlafzimmer ihrer Großeltern. Es fühlte sich eigenartig an, nun selbst hier zu wohnen und in dem großen, schweren Ehebett aus dunklem Holz zu schlafen, mit dem Heiligenbild quer über dem Bett. Alles war ihr von Kind an vertraut und inzwischen doch fremd. Die weißen Spitzenvorhänge an den Fenstern, die Bettumrandung mit dem Rosenmuster und die alte Frisierkommode mit der weißen Marmorplatte. Imelda betrachtete die abgeschossenen Vorhänge und den blinden Spiegel. Mit neuen Vorhängen, ein paar Pflanzen und anderen Bilder an den Holzwänden, ließe sich der Raum ganz passabel gestalten. Sie schloss die Schranktür und ging in die kleine Kammer nebenan, die ihre Mutter für die kleine Sophia hergerichtet hatte. Da standen ein Bett, ein Tisch mit Stuhl und ein schmaler Kleiderschrank. Außerdem hatte sie Imeldas altes