Rudolf Obrea

Der Ruf aus Kanada


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morgen an, wenn er die Einzelheiten geklärt hat.“ Obwohl die Neuigkeit die Mutter überraschte, ließ sie sich dieses im Bewusstsein der gerade angestellten Überlegungen nicht anmerken, sondern antwortete scheinbar unbeteiligt auf die Hamburger sachliche, etwas trockene Art: „Hoffentlich reichen die Bootskünste deines neuen Freundes aus, um dich immer wieder heil an Land zu bringen.“ Sabine wusste jetzt, dass sie gewonnen hatte und kommentierte die Bemerkung ihrer Mutter belustigt und ebenso sachbezogen. „Ich habe Sven heute geprüft und dabei festgestellt, daß er ein erfahrener Segler ist.“

      Svens Eltern, die den eigenwilligen Entscheidungen ihres Sohnes in der letzten Zeit bereits ausgiebig ausgesetzt waren, reagierten bei dessen Ankündigung seines geplanten Ausfluges nach Plön zwar erstaunt, aber im Bewusstsein, dass ihre Einwände bei dem nicht mehr einbeziehbaren Gegenüber kaum noch Gehör finden würden. Die Mutter sagte schließlich: „Pass auf, dass diese erfahrene Frau mit ihren seidenen Fäden nicht ein zunächst kaum sichtbares Netz über dich wirft.“ Sven lachte und antwortete: „Ihr habt doch selbst erfahren, was mir meine neue Freiheit wert ist. Sabine gefällt mir nicht nur, weil sie attraktiv ist, sondern auch, weil ihr Leben in Persien sie so verändert hat, dass sie unvoreingenommen die Eindrücke einer andersartigen Umgebung als Teil ihres Wesens aufnehmen, verarbeiten und zu genießen scheint.“ Dem Vater, der an die unerfüllten Träume seiner Jugend in einem anderen Deutschland zurückdenken musste, blieb nur ein kurzer Kommentar. „Nun denn“

      Am Sonntag rief Sven seine Freunde in Plön an. Sie freuten sich auf das Wiedersehen und versprachen alles vorzubereiten, um ihm einen angenehmen Aufenthalt zu ermöglichen. Sabine , die gespannt auf die Nachricht von ihrem neuen Freund gewartet hatte, bestätigte begeistert ihre Zusage und sie verabredeten ihr Treffen am Bahnhof in Altona rechtzeitig vor der Abfahrt ihres Regionalzuges nach Plön.

      2.5

      Selbst sein geplanter, ruhiger Urlaub bei seiner Familie in Hamburgs altgewohnter Umgebung geriet bei Sven durch die unvorhergesehenen Ereignisse der letzten Tage ins Wanken. Als ob der Wechsel zu seinem neuen Arbeitgeber in Süddeutschland und sein auf längere Dauer angelegter Arbeitsplatz in Kanada ihm nicht bereits hinreichend physische Abwechslung verschafften, versetzte ihm die Begegnung mit Sabine zusätzlich in einen bisher unbekannten Gefühlstaumel. Sein mit Vernunft begründetes, logisches Denken hatte Mühe die auf ihn einstürmenden Begebenheiten noch richtig zu verarbeiten. Stattdessen musste er sich eingestehen, dass er viel zu früh am Bahnsteig auf Sabine wartete und sich erst beruhigen konnte, als sie ihn, wie bei Frauen üblich, etwas später als vereinbart, dafür aber mit strahlendem Lächeln begrüßte. Dem Anlass angepasst trug sie eine sportliche Bekleidung, die mit eng geschnittener, blauer Hose und dazu passender, hellgrauer Jacke ihren schlanken Körperbau voll zur Geltung kommen ließ. Ihre braune, faltige, etwas abgetragene, lederne Reisetasche, die von ihrer Schulter herabhing, betonte die lässig elegante Art einer Frau, die sich selbstbewusst den gebührenden Respekt verschaffte. Dadurch wirkte ihre momentane, durch das Funkeln der dunklen Augen zum Ausdruck gebrachte Wiedersehensfreude umso ehrlicher und für Sven noch anziehender, weil er sich als gleichberechtigter Partner verstanden und anerkannt fühlte.

      Der Zug war nur mäßig besetzt und so fanden sie einen bequemen Platz, um sich während der Fahrt ungestört zu unterhalten. Beide beglückwünschten sich zunächst dazu, dass sie ihre Überrumpelungsmanöver zu Hause erfolgreich überstanden hatten. Anschließend fragte Sabine mit etwas besorgter Miene. „Warst du schon öfter bei deinen Freunden in Plön?“ Er musste ihr gestehen: „Ich kenne Michael als Studienfreund. Bei seiner Hochzeit mit Angela war ich Trauzeuge und wurde von ihm noch einmal zum Wochenendsegeln mit seinem neuen Boot eingeladen. Er arbeitet in der Werkzeugfirma seines Vaters und besteht darauf, dass wir uns bei seinen gelegentlichen Besuchen in Hamburg treffen und ich ihm meine Geschichten von den verschiedenen Reisen erzähle. Wir bedeuten deshalb keine Belästigung für ihn, sondern eine willkommene Abwechslung.“ Sie beruhigte sich, weil sie mit dieser Auskunft bestätigt bekam, dass ihr neuer Freund sie nicht zu einer wilden Partie entführen wollte, stattdessen wohl eher plante, sie im Kreis von ihm vertrauten Bekannten näher kennen zu lernen. Zum Beweis ihres gestärkten Vertrauens rückte sie näher zu ihm und ließ sich von ihm liebevoll in die Arme nehmen.

      In Plön angekommen, wurden sie von Michael, einer hageren Gestalt, von etwa gleicher Größe wie Sven, am Bahnhof erwartet. Nachdem dieser seinen Freund erkannt hatte, verharrte sein suchender Blick mit seinen auffällig großen, dunklen Augen noch einen Moment lang auf dessen Begleitung. Er schien zufrieden zu sein, weil jetzt eine freudige Überraschung an seinem Gesichtsausdruck erkennbar wurde und er seine Gäste mit: „Hallo ihr beiden Großstädter“ begrüßen konnte. Sven stellte seine Begleiterin vor und fügte hinzu: „Sabine ist mitgekommen, um meine Segelkünste, die ich ihr auf der Alster vorführte, auf dem See hier besser prüfen zu können.“ Alle lachten etwas verwundert, gaben sich dann aber mit dieser

      reellen, wenn auch etwas vorgeschobenen Begründung zufrieden. „Ich bringe euch schnell nach Hause zu meiner Frau und muss anschließend zurück in die Firma. Heute Abend erwarte ich dafür eure spannenden Geschichten aus der großen Welt.“

      Während sie in sein Auto stiegen, fügte er noch hinzu: „Ich wähle einen kleinen Umweg und fahre am Seeufer entlang, damit ihr euch orientieren könnt und später vom Wasser aus an der weithin sichtbaren Schlossfassade erkennt, wo ihr am Abend eure Ausflüge beenden müsst.“ Das auf einer Anhöhe rechts von ihnen gelegene ehemalige Sommerschloss der dänischen Könige bot baulich nichts besonderes, eignete sich aber, wie Michael richtig erwähnt hatte, mit seiner langgezogenen, zum See ausgerichteten Seitenfront ausgezeichnet als Kennzeichen der Stadt. Auf einer bewaldeten Anhöhe der Straße nach Ascheberg bogen sie rechts in einen Seitenweg und kamen zum Haus ihres Gastgebers.

      Angela, die ihre Ankunft gesehen hatte, kam ihnen entgegen. Im Gegensatz zu asketisch wirkenden Gestalt ihres Mannes war sie klein und untersetzt, glich dieses aber durch ihren temperamentvoll wirkenden Ausdruck ihres runden Gesichtes aus. Zur Begrüßung umarmte sie Sven und ließ dadurch sofort erkennen, dass er und seine Begleiterin willkommene Gäste waren. Zufrieden fuhr Michael wieder weg und überließ seiner Frau die Betreuung der Besucher. „Kommt mit mir zur Werkstatt, damit ich euch den Gästebereich zeige und Gelegenheit zum Auspacken und Erfrischen gebe.“ Mit dieser Bemerkung ging sie voran zu einem Nebengebäude, bei dem eine Seitentreppe zur Mansarde führte, die zu einer kleinen Gästewohnung ausgebaut war. Sie blieb unten stehen und sagte: „Wenn ihr mich sucht, klopft an das Werkstattfenster.“

      Sie stiegen die etwas wackelige, enge Holztreppe hoch. Sven öffnete die Tür zu einem kleinen Vorplatz, erkannte im Hintergrund ein geräumiges, mit modernen Möbeln ausgestattetes Wohn-Schlafzimmer und ließ Sabine den Vortritt für die erste Besichtigung. Sie rief: „Komm rein! Das musst du auch sehen. Ein ideales Domizil für uns.“ Er folgte ihr und konnte ihr nur zustimmen. „Hast du bei deinem letzten Besuch auch schon hier gewohnt?“ „Nein, ich wohnte in einem kleinen Nebenzimmer bei ihnen im Haus. Der Vater von Michael nutzte dieses Gebäude für seine Schlosserei.“ Demnach bist du schon länger nicht mehr hier gewesen.“ „Stimmt, gab er zu, dafür gefällt mir diese neue Behausung um so besser.“ Nachdem sie ihr Gepäck abgelegt hatten, gingen sie zum Fenster und sahen direkt unterhalb von ihnen auf die Wasserfläche eines Sees, von dessen Ufer aus sich das Grundstück an einem Abhang hinaufzog. Stolz erklärte Sven: „ Dieser Blick auf den „Kleinen Plöner See“ mit seinen vielen versteckten Buchten und der dahinter sich ausbreitenden, bewaldeten Hügellandschaft fasziniert mich immer wieder und ist die Überraschung, die ich dir bieten wollte.“ Sie sah ihn bewundernd an, gab ihm einen ihrer kurzen, aufmunternden Küsse und sagte: „Deine Überraschungen gefallen mir. Ich wünsche mir noch mehr davon!“ Unwillkürlich erinnerte er sich an die fast gleichen Bilder in der Nähe seines Arbeitsplatzes in Kanada, die vielleicht in Zukunft eine dieser Überraschungen werden könnten, momentan aber besser noch als Wunschtraum aufge-hoben blieben.

      Ähnlich einem Hotelzimmer fanden sie vom Flur ausgehend ein Duschbad, konnten sich dort erfrischen und klopften anschließend, für neue Erkundungen gerüstet, an Angelas Werkstattfenster. Sie erschien in einem weißen Arbeitsmantel gehüllt und genoss sichtlich das Staunen ihrer Gäste beim Anblick ihrer