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Eis oionos aristos amynesthai peri patres.
(Ein Wahrzeichen nur gibt es: das Vaterland zu erretten!)
Homer, ILIAS XII. 243
1
Lichter blitzten überall auf. Laternen geisterten im Dunkel. Schreie hier und dort vermischten sich mit dem Rauschen der Brandung. Weit draußen auf der See irrlichterten Fackeln und Laternen in Booten, und am Horizont funkelten zitternde Lichter durch die Bullaugen eines Ozeanriesen, der westwärts zog.
»Emilia!« »Emiiiliaa!«
Der Ruf erschallte aus allen Richtungen. Tiefe Männerbässe und schrille Frauenorgane trugen den Namen.
»Emilia!!« Hell und laut erscholl eine Männerstimme. Der Ton war stark und doch in Angst gehüllt.
Ein kräftiger, hoch gewachsener junger Mann von etwa 25 bis 27 Jahren schwang zwei Fackeln in den Händen. Er stieß den Ruf mit voller Lunge ins Dunkel der Nacht.
Auf dem Inselchen zwischen Spotorno und Bergeggi flammte der Scheinwerfer auf. Milchig huschte der Lichtstrahl über die schwarzen Wellen.
Von Noli kamen die Fischerboote herüber. Die Aufregung wuchs.
»Die fünfte ist es. Die fünfte hat man gemordet!«
Alle schrien durcheinander.
Die Mutter Emilias warf sich kreischend auf den Felsen und schlug heftig mit dem Kopf auf den Stein: »Mia carissima Emilia! Mia carissima Emilia! Mia povera ragazza!«
Der Strahl des Scheinwerfers rastete auf dem erhöhten Felsplateau. Fahl sahen die braunen Gesichter aus. Mit weit geöffneten Augen blickten alle ins dunkle Meer hinab.
Fischer mit Fackeln kletterten die Felsen herauf.
Die Mutter springt auf, stürzt den Männern entgegen. Bittend, mit gefalteten Händen, steht sie vor ihnen. Ihre Lippen zittern.
Die Männer senken die Köpfe, zucken die Achseln. Einer bekreuzigt sich, die anderen folgen seinem Beispiel.
»Die fünfte ist’s! Fünf sind in kurzer Zeit verschwunden!« Einer stößt es scharf hervor. Andere fallen mit Entsetzen in den Ruf ein.
»Fünf! Fünf unserer besten und schönsten Mädchen!«
Ein großer bartloser Fischer reißt seine Tochter herum. Mit Grauen im Blick und halb offenem Munde hört sie zu und bekreuzigt sich unbewußt, ununterbrochen. »Nach Hause mit dir. Ins Bett und den Riegel vorschieben. Morgen lasse ich das Fenster deiner Kammer vergittern!« Er stößt das Mädchen vor sich her und verschwindet mit ihr im Dunkel. Das Lichtfünkchen in der Laterne tanzt wie wahnsinnig in der Hand des furchtsamen Vaters.
»Mia povera ragazza! Mia Emilia!« Schrill klingt die Stimme der Mutter. Schauerlich hallt das Echo von den Felsen zurück.
Der junge Mann mit den zwei Fackeln tritt auf die Schreiende zu und versucht, sie zu beruhigen. Sie stößt ihn zurück, läuft zum Felsrand, will sich hinabstürzen. Die Fischer packen die Rasende und halten sie fest.
Das langgezogene Heulen einer Sirene durchschneidet das Dunkel der Nacht. Alle wenden den Kopf dem Meere zu.
Lichter und Scheinwerfer schaukeln auf dem Wasser.
Das Zoll- und Polizeiboot von Savona durchschneidet in rascher Fahrt die schwarzen Wellen. Von der kleinen Insel hat man herübergefunkt und das Verschwinden Emilia Rossis gemeldet.
Alles klettert zum Strand hinab.
Der junge Mann hält die Mutter Rossi umschlungen. Sie schluchzt: »Francesco, warum bist du heute abend so lange weggeblieben? Warum? Emilia hatte keine Ruhe und wollte dich am Felsen erwarten!«
»Ich habe meine Fische nach dem großen Hotel in Spotorno gebracht und habe auf dem Rückweg schlechten Wind gehabt.« Er holte tief Atem. »Oh, meine Emilia, meine Emilia.«
2
Das ganze Land war in Aufregung.
Innerhalb dreier Monate waren vier Mädchen und eine junge Kriegerwitwe aus der Gegend plötzlich und spurlos verschwunden.
Eine aus einem kleinen Dorf bei Cimola, zwei aus der Nähe von Bergeggi, eine aus Pia und heute Emilia Rossi.
Alles ganz arme Mädchen. Auch die Kriegerwitwe war als sehr arm bekannt.
Anfangs beschäftigten sich nur die Lokalbehörden mit dem Verschwinden der ersten Zwei. Später nahm die Polizei von Savona die Sache in die Hand und jetzt wurde bereits Rom alarmiert.
Alle möglichen Vermutungen wurden laut. Man sprach von einem geheimnisvollen Mörder à la »Jack the ripper«. Einzelne wollten ein Ungeheuer aus dem Meere haben kommen sehen, das mit 30 bis 50 Meter langen Fangarmen wie ein Oktopus seine Opfer ins Meer gezogen.
Diesen Aussagen wurde von den Behörden keine Beachtung geschenkt, alle Hypothesen dieser Art kamen nicht in Frage. War doch das Mädchen aus Cimola gar nicht in die Nähe des Meeres gekommen. Cimola lag weit über fünf Wegstunden vom Meere entfernt.
Seit Wochen waren Streifen zu Wasser und zu Lande unterwegs. Nichts, auch nicht die geringste Spur von Räubern ward entdeckt.
Selbstmorde der Verschwundenen kamen nicht in Betracht. Alle fünf waren als lebenslustig bekannt.
Die Regierung in Rom sandte gepfefferte Noten an die Polizeichefs von Genua und Savona.
In allen Orten entlang der ligurischen Küste, von Genua bis Ospedaletti westwärts und bis Livorno südöstlich, wurden Spezialwachen und Streifen eingerichtet. Hohe Preise wurden für die Ergreifung der Täter ausgesetzt.
Die ersten vier Opfer waren an ein und demselben Tage verschwunden. Zunächst wußte man nur von den zweien aus Bergeggi; erst nach einigen Tagen stellte es sich heraus, daß auch die beiden anderen am gleichen Tage verschwunden waren.
Die Zeitungen und Plakatsäulen in den Städten, die Aushängetafeln auf dem Lande brachten Bilder mit genauen Beschreibungen; die Lichtbildtheater stellten sich in den Dienst der Sache. Alles blieb vergebens.
Wohl liefen hier und da Anzeigen ein, daß man die Vermißten gesehen, aber in allen Fällen erwiesen sie sich als falsch.
Nach dem Verschwinden Emilias wurden Torpedoboote von Spezia und Genua in die Zone beordert. Ebenso wurde Militär zur Verstärkung der Gendarmerie abkommandiert.
Zu Wasser wurden Tag und Nacht Streifen veranstaltet.
Scheinwerfer spielten ununterbrochen an den Felsen und auf den Wellen.
Berittene Karabinieri und Bersaglieri suchten die ganze Gegend ab.
Viel lichtscheues Gesindel wurde festgenommen und mußte wieder freigelassen werden. Alle Verbrecher verschwanden aus der Gegend.
Die Pascher, die es jetzt unmöglich fanden, auf dem Wasserwege von und nach Frankreich ihre lohnende Schmugglertätigkeit auszuüben, fluchten.
Alles war und blieb vergebens.
Von den Verschwundenen wurde weder eine Spur noch ein Lebenszeichen erlangt.
Auch ihre Leichen konnten nicht gefunden werden.
3
»Hände hoch! Wer einen Schritt tut oder Miene macht, die Hände zu bewegen, den knalle ich nieder wie einen tollen Hund.«
Die Matrosen blieben in der Mitte des Felsendomes mit erhobenen Händen stehen.
Kapitän Mader stand mit schußbereiter Parabellumpistole an einem großen Steintisch. Hinter ihm und an beiden Seiten waren einige Marineoffiziere, Unteroffiziere und Mannschaften aufgestellt. »Schröder! Sind Sie des Teufels?! Haben Sie Ihren Schwur vergessen? Hindert Sie irgend jemand, in die Welt zurückzukehren?! Treten Sie vor! Nehmen Sie die Hände herab!«
Ludwig Schröder tritt vor. In seinem Gesicht kämpfen Trotz und Verlegenheit. Er blickt scheu