Peter Kunkel

Der rote Baum


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      Zu diesem Buch:.

      Thomas ist nach Jahren in Afrika in einem der großen europäischen Zoos gelandet. Bruchgelandet, wie er findet: als ‚beratender Experte‘. Jetzt bietet man ihm an, in neuer Funktion an den alten Arbeitsplatz zurückzukehren. Er weiß nicht recht. Er läßt seine die afrikanischen Jahre Revue passieren, die Antilopen, die er zusammen mit Susanne, seiner Frau untersucht hat, Maud, mit der sie zusammenlebt haben, die von ihr untersuchten Löwen und Hyänenhunde, die ganze tierische und menschliche Fauna, die ihnen begegnet ist… Vieles, sehr vieles hat sich inzwischen verändert. Soll und will er, will vor allem Susanne wirklich wieder dorthin gehen?

      Peter Kunkel, Zoologe, hat über Verhalten von Vögeln und Ökologie von tropischen Wäldern gearbeitet, darunter zehn Jahre im Ostkongo, und war für die EU-Kommission als Experte für Vogel- und Habitat-schutz in Brüssel tätig.

      ISBN 978-3-7375-5436-7

      Copyright © Peter Kunkel 2010

      Umschlagbild : Oribibock. Zeichnung 2010 © Regula Kunkel

      Herstellung und Verlag : epubli GmbH. Berlin, www.epubli.de

       Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

      in der Deutschen Nationalbibliografie;

      detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de

      abrufbar

      Inhalt

       Thomas – Zoo oder Steppe

       Mauds Zeit

       Susannes Zeit

       Diplomatisches Intermezzo

       Dreimannertage

       Thomas – das große Nein

       Nachwort

      Toutes ces petites observations qui dégénèrent en étude ne conviennent point à l'homme raisonnable qui veut donner à son corps un exercice modéré, ou délaisser son esprit à la promenade en s'entretenant avec ses amis.

      Jean-Jacques Rousseau, Julie ou la Nouvelle Héloïse Quatrième partie, lettre XI

      Thomas : Zoo oder Steppe

      1

      Die großen Tiere vor dem Untergang bewahren und zugleich den Menschen lassen, was sie als ihr Recht, vielleicht sogar als ein Stück ihrer Würde ansehen, das ist schwierig, Herr Ministerialrat. Dafür hat bis jetzt noch niemand ein wirkliches Rezept gefunden. Das ist unmöglich. Das geht nicht, Herr Ministerialrat. Soviel wenigstens glaube ich in Afrika gelernt zu haben.

      Ich weiß, Herr Ministerialrat mit der unleserlichen Unterschrift, Sie hören das nicht gern. Keiner hört das hier gern; es ist so negativ. Wer uns wohl will, nimmt dergleichen für böse Bonmots, für prickelnde Sprüche, die uns den Zugang zu geistelnden Salons öffnen könnten, wenn es solche noch gäbe; hierzulande kultiviert man ja gern das unverbindlich-subversive Wort als Gesellschaftsspiel. Niemand hat uns bisher abnehmen wollen, daß dies ein ernsthaftes Fazit aus dem ist, was wir gesehen und erlebt haben.

      Was soll mir also Ihr Brief?

      Ihr Rezept ist nicht besonders originell, Herr Ministerialrat. Erhaltung der Natur, Vermehrung des Wildbestandes - immer diese Vermehrung! Ich habe nie begriffen, was diese Viehzuchtidee im Naturschutz zu suchen hat. Wollt ihr die Nationalparks so trostlos mit Tieren überfüllen, wie es inzwi-schen gleich daneben Land und Städte mit Menschen sind? Oder wenigstens waren und bald wieder sein werden? - totaler Naturschutz also, aber: unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Bedürfnisse, der Inter-essen, der Entwicklung und des Fortschritts der anrainenden Bevölkerung. Und natürlich Vorbereitung der Übernahme des Geleisteten durch natio-nale Kader. Herr Ministerialrat, mit diesem Rezept träumen Sie sich ins Abseits und den ins Elend, den Sie losschicken, etwas auf die Beine zu stellen, was diesen Seifenblasen auch nur von ferne ähnlich sieht.

      Mich also, wenn's nach Ihrem Brief geht. Vom Staatspräsidenten per-sönlich angefordert, schreiben Sie. Hat nun der Staatspräsident persönlich irgendjemand angefordert, egal wen, oder hat er mich, Thomas, Thomas Eschenbach, Dr. Thomas Eschenbach, persönlich angefordert? Sie sollten sich klarer ausdrücken, Herr Ministerialrat!

      Wo schicken Sie mich überhaupt hin? Gibt es nach dem Bürgerkrieg in Bungwana überhaupt noch große Tiere? Oder eine Bevölkerung, deren Interessen man berücksichtigen könnte? Ich fürchte, Herr Ministerialrat, Sie haben diese Formeln aus alten Akten abgeschrieben, aus vergilbten Stilübungen der Kindertage der Entwicklungshilfe. Oder schlimmer noch, sie sind Ihnen in ständigem Gebrauch aus jenen Tagen überkommen, heilige Formeln, die nie mehr geändert werden dürfen, bei denen sich Ihresgleichen nichts mehr denkt; nur unruhig werden Sie, wenn sie in den Akten fehlen.

      Vorbereitung der Übernahme durch nationale Kader. Sehen Sie, die Bungwanesen haben schon, als wir noch dort gearbeitet haben, die Nationalparks selbst verwalten wollen. Sie haben sie schließlich auch selbst verwaltet. Und das Ergebnis? Glauben Sie bitte nicht, Herr Ministerialrat, es sei an uns abgeglitten, daß die Bungwanesen nicht aufhörten zu behaupten, ihre Würde als Volk verlange, daß sie die Parks endlich selbst in Regie nähmen, und zwar voll und ganz. Den Glanz Bungwanas und seinen einzigen Reichtum, wenigstens in den Augen der Welt. Von allen Ecken und Enden sind die Leute gekommen, fast noch in den Bürgerkrieg hinein, um die Weite dieser Wildnis zu sehen und die großen Tiere, denen sie überlassen war.

      Was denn national sei an diesen Parks, habe ich bungwanesische Politiker oft genug fragen hören, solange in ihrer Verwaltung ausschließlich Ausländer säßen. Ein Spiel mit Worten, Herr Ministerialrat, ganz nach Landesart, und die Bungwanesen sind in solchen Spielen besser als wir. Die Magie des Worts ist nicht nur in ihrer Seele zu Hause, sondern ihnen auch von ihren Vorfahren überkommen, in einem ganzen philosophischen System, das die besagten Vorfahren, fürchte ich, aus dem gleichen Grund entwickelt haben, dessentwegen die Enkel nicht von ihm lassen wollen, weil nämlich Worte bequemer sind als Taten: man spricht sie aus - mit ganzer Kraft tut man das - und harrt...

      Sie sehen, Herr Ministerialrat, ich bin Rassist; wenigstens spiele ich ihn gern, wie alle alten Afrikaner. Und doch bin ich vor diesem Wortspiel immer still geworden. Bungwana haben die Landeskinder ihren Staat genannt, noch ehe er unabhängig war, Land der freien Männer. Was für ein Programm! Welche Hoffnung! Und ist nicht die schiere Existenz dieses Staatsgebildes schon Unfreiheit? Ein letzter Befehl des scheidenden, scheinbar scheidenden Kolonisators an zweiundsiebzig Stämme und Stämmchen, die sich auch heute noch gegenseitig verabscheuen, verach-ten, hassen, jedenfalls nicht lieben, weniger noch als ein Lombarde die Sizilianer? Ein Befehl, 'den Tribalismus zu überwinden', eine Nation zu bilden, der nichts gemeinsam ist als die Erinnerung, zwei Generationen lang Tag für Tag auf der eigenen Erde gedemütigt worden zu sein? Was sind sie, wenn sie die Nationalparks nicht selbst in die Hand nehmen? Wieder nur Bevölkerung, menschliches Füllsel zwischen den weiten Parkflächen, rasch mit dem Safaribus hinter sich zu bringen, preiswerte Handlanger und Kulisse einer nun nicht mehr für fremde Siedler und Pflanzer, sondern für nicht minder fremde Touristen bestehenden Welt.

      Und wer waren wir schließlich, daß wir uns angemaßt haben, ihnen die Parks zu verwalten? Wer hat denn vor der Kolonialzeit die großen Tiere in seinen Ländern ausgerottet? Die Afrikaner? Vielleicht haben Sie sich vor dem Bürgerkrieg einmal in Bungwana umsehen können,