Peter Kunkel

Der rote Baum


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Bedürfnisse beigebracht, derentwegen sie jetzt mit dem ihnen Anvertrauten so umgehen, wie sie es leider tun?

      Nun, sie haben die Parks bekommen. Was haben sie aus ihnen gemacht? Von den zweitausend Nashörnern des Kuravunaparks haben sie Jacques vor zwei Jahren nur noch zwölf zeigen können. Nashörner können zu Hunderten umkommen, wenn die großen Regen ausbleiben, gewiß; aber es bleiben immer noch genug übrig, um ein gutes Jahr wieder mit kleinen Nashörnern zu füllen. Im Kuravunapark sind groß und klein blindlings verarbeitet worden, lange genug, zu lange. Die Füße zu Papierkörben, die Schwanzhaare zu Amuletten für streunende Hippies und die Hörner bis zum heutigen Tag zu Pulver, das älteren Herren im östlichen, ohnehin übervölkerten Asien eine erotische Wiedergeburt vorgaukelt. Die Regen mögen fallen, wie sie wollen; ohne erwachsene Nashörner kann es auch keine jungen mehr geben. Macht es einen Unterschied, ob die neuen Verwalter der Parks an dieser Nutzung nationaler Ressourcen aktiv beteiligt waren, wie es leider den Anschein hat, oder ob sie, wie sie sicher selbst behaupten würden, unfähig gewesen sind, ihren wildernden Mitbürgern und der hinter ihnen stehenden internationalen Mafia Einhalt zu gebieten?

      Was wird inzwischen aus den zwölf Nashörnern geworden sein, nach Revolution und Bürgerkrieg, wo Tausende von Dörfern um Schädel-pyramiden herum in Schutt und Asche liegen und ganze Stämme von Erdboden verschwunden sind? Vorher werden sie, halbverhungert wie sie waren, doch wohl die Tiere der Nationalparks aufgegessen haben.

      Jetzt bestellt man also wieder Ausländer in den Hauptstädten Europas. Sogar bei uns, und wir zeigen uns wieder einmal willig, Herr Ministerial-rat, nicht wahr? Nicht wegen sogenannter wirtschaftlicher Interessen, versteht sich. Rettet die großen Tiere! Sie gehören der Welt!

      Und das soll ich tun? Ausgerechnet ich?

      Mir gefällt es hier, wo ich bin, Herr Ministerialrat. Wenn ich nicht die falsche Konfession hätte, wie oft hätte ich nicht schon dem Heiligen Franziskus, Schutzpatron der Tiere, eine Kerze dafür gestiftet, daß ich die Nashorn- und Elefantenschlächterei nicht aus nächster Nähe ansehen muß. Und noch eine dafür, daß ich in diesem Trauerspiel nicht auf der Verliererseite Verantwortung trage. Manchmal allerdings überkommt mich eine gewisse Unruhe um die großen Tiere. Recht oft sogar. Recht viel Unruhe sogar. Auch über Susanne kommt sie; ich sehe es wohl. Wir sprechen nie darüber; wir wissen voneinander, daß uns diese Unruhe nie verläßt. Das ist nichts Neues. Es war schon in Bungwana so. Auch dort hat uns die Unruhe nur stundenweise verlassen, nämlich wenn wir die Tiere mit unseren eigenen Augen unbehelligt durch Steppe und Savanne ziehen sahen.

      2

      Der Blick zum Fenster hinaus ist ungemein friedlich. Er geht über die Bäume des Zoos, deren Laub ihm auch jetzt, Mitte September, noch die Gehege darunter entzieht, hinüber zu den hundertjährigen Villen am Steilhang, der die Flußaue begrenzt. Viel zu große Häuser für unsere dienstbotenlose Zeit; längst sind sie aufgeteilt unter Wohngemeinschaften und Familien, die sich nicht mehr als zwei, drei ungemütlich hohe Zimmer ohne rechte Küche und Bad leisten können. So haben auch wir ange-fangen, als wir von Bungwana zurückkamen. Den Blick beeinträchtigt die ganze Unbequemlichkeit nicht. Fast überall verschwindet sie unter wildem Wein, und was man vom Fenster meines Büros aus sehen kann, ist eine einzige feuchtgrüne Angelegenheit mit den ersten gelben und roten Zeichen des Herbsts.

      Mein Kämmerchen liegt über dem Eingang des alten Antilopenhauses. Es ist in eine der Kuppeln eingebaut, mit denen der Architekt, vielleicht derselbe, der die Protzkästen drüben am Hang auf dem Gewissen hat, den exotischen Tieren einen exotischen Rahmen hat geben wollen. Drei Wände meines Stübchens sind gewölbt; nur dem Fenster gegenüber habe ich rechts und links von der Tür zwei Bücherbretter aufstellen können. Von draußen kommt Heuduft und Geruch von Wiederkäuern herein, von den Ausdünstungen der Tiere, vom Sekret der markierenden Drüsen, von Harn und Kot. Sie sind vielleicht das Beste an dieser Unterkunft; jedenfalls bin ich dankbar dafür, daß sie mein Stübchen füllen.

      Rechts vom Eingang unter mir knabbert ein Rudel Sasins an den letzten sattgrünen Augrasflecken, die ihm in dem sonst kahlen Gehege noch haben widerstehen können. Links steht ein Nilgauantilopenpaar mit Kind. Die Mutter kann ihr Mißtrauen gegen Besucher, die stehenbleiben und sie still betrachten, nicht loswerden, nicht einmal gegen mich, obwohl ich nun schon jahrelang sechsmal am Tag an ihr vorübergehe und sie mich längst als harmlos eingestuft haben müßte.

      Es sind nicht die kostbarsten Tiere, die wir hier haben. Jochen, klüger als ich und also im Lande geblieben, nach Hungerjahren als Volontär und Jahren des Kampfs gegen Band- und Spulwürmer als Assistent in unserem Zoo also dessen Direktor geworden, Jochen also hat sich in den Kopf gesetzt, ein Zentrum für die Erhaltungszucht von Wüstenhuftieren in unserem Tiergarten aufzubauen, auch jener Arten, die den periodischen Dürreperioden im Sahel nicht mehr ausweichen können, weil jedes grüne Fleckchen dort von Kühen, Ziegen und Menschen überquillt. Ihm haben es besonders die Antilopen angetan, die zusammengeschossen werden, wo man mit dem Erwachen des Islam jedes europäische Denken von sich getan hat, auch den Naturschutzgedanken, versteht sich. Lange Zeit wenigstens, lange genug um die Antilopen ihrer Länder fast zum Erlöschen zu bringen.. Jochen hat nicht geruht und gerastet, bis er sein Paar Sabelantilopen hatte, eine Gruppe der eigentlich schon aus-gestorbenen Mhorrs aus der Westsahara, die ihm die Spanier allerdings gern überließen, weil ihnen ihre Zucht bereits über den Kopf wächst, hellere Damagazellen aus dem Sudan, einige Mendesantilopen, persische Kropfgazellen, dazu Korrigums und Rotstirngazellen. Sie alle sind nicht in meinem alten Antilopenhaus untergebracht, sondern erfreuen sich weiter Gehege mit schimmernden Einzelpalästen für die Nacht, durchaus notwendig, um die Tiere einzeln in Kur nehmen zu können. Sehr wüsten-artig ist unser Voralpenklima nämlich nicht. Zwei Tage Sonnenschein lassen gleich ein Gewitter aufkommen, das alles durchfeuchtet und abkühlt. Jochen ist oft in Sorge um seine Preziosen.

      Ich habe gelegentlich die Ehre, ihn auf dem morgendlichen Inspektions-gang zu begleiten. Ziemlich rituell geht es da zu.

      „Lassen Sie sich nicht stören, Herr Meier!"

      „Haben Sie schon die Proben ins Tierhygienische geschickt, Gisela?"

      Ich bestätige jedesmal, daß die Anlage großartig sei, was nicht schwerfällt - sie ist es -, und Jochen hält stets bei den rotweißen Sabelantilopen an. Die bei Antilopen recht ungewöhnliche Farbkombination fasziniert ihn. Er kann nicht umhin, vor sich hinzumurmeln:

      „Delikat! Delikat! Tolle Selektion, diese Wüste!"

      Nach diesem Morgengesang ist er imstande weiterzuschreiten. Die Wüste hat es ihm angetan. In die Wüste fährt er, wann immer er kann, jeden Urlaub selbstverständlich, und ich glaube, der Teufel hat ihm dort von einer Sanddüne herunter die Wüstentieranlage seines Zoos gezeigt, und Jochen hat nicht gesagt: "Hebe dich hinweg, Satanas!"

      Nicht daß die Sabelantilopen eigentliche Wüstentiere wären; sie haben sich mit ihren Farben wohl eher den roten Lateritböden des Sahel angepaßt. Aber Jochen will eben, daß es die Wüste sei. Vor den wirklichen ‚Säbel‘antilopen der Wüste, den Mendesantilopen, viel kostbarer, weil es wirklich kaum noch welche gibt, hält er nie an: sie sind in schlichten Braun- und Schwarzweißtönen gezeichnet. Es mag ihn allerdings auch bedrücken, daß er noch kein Mendesweibchen hat erwerben können.

      Mir gefallen die rotweißen Sabelantilopen natürlich auch, wenn die schwache Gesichtsfarbe den dunklen Augen auch etwas Kuhhaftes gibt, einen für meine Begriffe nicht antilopengemäßen Dulderblick - da lobe ich mir die bedrohlichen schwarzweißen Masken der Oryxantilopen! Reine Subjektivität natürlich und gewiß nicht intelligenter als Jochens tägliche Hymne auf die Sabelantilopen. Deren sanftäugige Böcke bearbeiten ihren Zaun nicht weniger energisch als die Oryxmänner das Buschwerk des Kuravunaparks.

      Jochens Wüstentierprogramm ist reine Perfektion. Ein Ernährungsveterinär überwacht, was die Kostbarkeiten zu essen bekommen, gutes Gras und Heu und allerhand Laubwerk, die unvermeidlichen Karotten, versteht sich, geschnitzelte Runkelrüben, und was ihnen damit nicht gereicht werden kann, bekommen sie in pellets, plätzchenartigen großen Tabletten, die sie mit langer Zunge und sichtlichem Genuß aus ihren Krippen fischen.

      Jochen hat den Verwaltungsrat überredet, mich als Berater des Antilopen-zentrums einzustellen. Zuvor hatte