Schila Lomcans

Kolumbien 1993 - Jeder Tag ein Abenteuer


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Barranquilla. Patricia und ich suchten und fanden das Gepäck und ein Taxi, das uns an die Küste unweit der Stadt Barranquilla brachte. Auf dem Weg passierten wir mehrere mit Stacheldraht errichtete Straßensperren der Guardia Civile und überfuhren ein streunendes Huhn. Nein, gestoppt haben wir nur wegen der Maschinengewehre nicht wegen des Huhns. Wenig später checkten wir in einem äußerst einfachen Hotel ein, belegten dort ein spartanisches Zimmer und schauten uns ein wenig am Pool um. Etwas hungrig von der Reise bestellte Patricia „Huevos Pericot”2 und ein paar andere Kleinigkeiten für uns. Wir chillten am Pool, warteten auf das Essen und die Reiseleitung. Für den kommenden Tag, wie auch den Rest der Woche hatten wir so einiges vor. Geplant war zunächst eine Fahrt mit einem Schnellboot, das uns zu kleinen Inseln bringen sollte, die etwa 2 Stunden vor der Küste lagen. Dann wollten wir nach Santa Marta zu den „Ecohabs“ und von dort zu Fuß zu einer Indio-Siedlung, die einige Kilometer im Landesinneren lag. „Ciudad Perdita“ wäre auch unser Wunsch gewesen, aber der Hubschrauber war nicht startklar und zu Fuß sprengte es sowohl unsere körperlichen Möglichkeiten als auch unseren Zeitplan. Ein Tag Bootsentspannung, schwimmen und schnorcheln. Dann nach Cartagena und von dort über Magangué nach Mompós, El Banco und zurück nach Barranquilla. Die Strecke Magangué bis El Banco wollten wir auf dem Rio Magdalena zurücklegen.

      Viel vor für eine Woche, aber wir waren ja erst angekommen und ohnedies noch im Stress und Zeitgefüge Europas gefangen. Das war wohl auch der Grund, warum ich nicht verstehen konnte, dass Eier und Essen so lange auf sich warten ließen und die Reiseleitung erst einiges nach Ende der Mahlzeit vorstellig wurde. Zeit ist Kolumbien zwar eine Konstante, findet aber im täglichen Leben Kolumbiens nur wenig Beachtung, wie ich noch mehrfach erleben durfte. Prioritäten sind dort anders verteilt und hat man sich erst einmal daran gewöhnt, so kann man gar nicht mehr verstehen, wieso es in Europa oder anderen industrialisierten Erdteilen so anders läuft als beispielsweise hier.

      Das Wetter war uns wohl gesonnen. Wir ließen den Tag am Pool ausklingen und gingen früh zu Bett. Noch war der Jetlag unser Begleiter und die Abfahrt war für den frühen Morgen geplant.

      Patricia, so schien mir, war hier anders als zu Hause. Sie rückte näher als sonst, war fröhlicher und freute sich zusehends ihre Spanisch-Kenntnisse zum Einsatz zu bringen. Ich selbst sprach gar kein Spanisch, hatte aber, vor allem wohl durch meinen Französisch-Unterricht schon bald so einiges drauf und verstand oftmals schneller, was die Gesprächspartner meinten als Patricia.

      Wenn es etwas gibt, dass Ihnen in Kolumbien sofort auffallen wird, so ist es die Musik. Sie begrüßt Sie, wenn Sie ankommen, und verlässt Sie zu keinem Zeitpunkt, bis Sie Kolumbien wieder verlassen. Immer ist irgendwo ein Radio im Einsatz und man hört die stets gleichartigen Lieder die sich meist um eines drehen: die Liebe und das Herz. Tausende Geschichten darüber habe ich wohl von Hunderten Sängern in Kolumbien gehört und doch nicht verstanden. Eins aber ist sicher. Die Menschen in Kolumbien sind wie Ihre Musik. Etwas melancholisch aber herzensgut und immer verliebt. Die größte Liebe haben sie wohl zu ihrem Land, und auch wenn sie im größten Dreck an der Straßenecke sitzen und keine Peso bei sich tragen, so lächeln sie doch und hadern nicht mit ihrem Leben. Sie helfen sich gegenseitig und ich glaube wirklich, dass ich nicht eine Auseinandersetzung in diesen Wochen erlebt habe. Dies gilt wohl nur deshalb, weil wir die Städte meist gemieden haben und überwiegend so zu sagen bei den Menschen auf dem Land, den Campesinos unterwegs waren. Es mag sein, dass die Menschen in den kolumbianischen Städten ganz anders sind, aber bei uns ist das ja auch so.

      Ein paar Papageienschreie und etwas Musik weckte mich aus meinen Träumen und aus dem Fenster unserer „Hotelhütte“ sah ich den Morgen grauen.

      Kolumbien 1993-HotelhuetteNach Käfern im Zimmer hatte ich erst gar keine Ausschau gehalten. So was findet sich in diesem Land überall und lässt sich wahrscheinlich auch nicht in wirklich guten Hotels ausschließen. Meist bleiben die am Boden in irgendwelchen Ecken oder ritzen und ignorieren mich genauso wie ich sie.

      Patricia schlief noch und so trat ich auf leisen Sohlen meinen Ausflug zum Pool an. Kolumbien ist ein warmes Land, zumindest, wenn man sich auf Meeresniveau befindet, und ein morgendlicher Sprung in den Pool genau das Richtige, um den Tag zu beginnen.

      Ein paar Bahnen und Vorbereitungen später saßen wir auch schon in einem langen Holz-Boot, das von einem PS starken Motor in wilder Hatz über das relativ ruhige Meer schoss. Das Festland blieb schnell weit hinter uns zurück und nur allmählich erkannte man voraus kleine Fleckchen am Horizont. Die Inselchen, die unser Ziel waren.

      Etwa 2 Stunden später betraten wir den Strand einer Privatinsel. Sie war klein, der Strand an beiden Seiten von Mangroven bewachsen und hatte ein großes herrschaftliches Gebäude aus Holz, das sich auf zwei Etagen entlang des Strandes schmiegte. Eine offene Bauweise, ohne Wände und Fenster, durch die Luft ziehen konnte und die nur durch ihre Konstriktion in Räume unterteilt war. Alte Fischernetze und präparierte Meerstiere schmückten, genau wie verschiedenes Strandgut, die imaginären Wände und sorgten so für weitere Unterteilung im Inneren. Gleich neben dem Gebäude gab es ein paar brackige Tümpelchen in denen eine große Anzahl von wilden Flamingos nach Nahrung schnatterte.

      Kolumbien 1993-FlamingosDer Reiseleiter erzählte einiges zur Geschichte dieses Platzes, aber nur eines blieb mir in Erinnerung: Wir waren auf einer Privatinsel der Narkos zu Besuch.

      Weiter ging die Fahrt und nur kurze Zeit später kamen wir an ein Eiland, das gegensätzlicher gar nicht sein konnte. Es scheint, als rage hier ein winziges Atoll aus dem Meer. Kein Sand nur Kalkformationen. Nahezu rund und etwa 80 – 100 Meter im Durchmesser. Ringsum entlang der Küste mit schäbigen Hütten bestanden und im Gegensatz zur Narko Insel nicht menschenleer, sondern vollkommen überbevölkert. Um nicht die Füße an den scharfkantigen Kalkformationen zu verletzen, hatten die Menschen auf dem durch die Hütten gebildeten Innenhof zerstoßene große Muschelstücke und dergleichen benutz, um ein Planum zu erstellen.

      Kolumbien 1993-Insel-Kai Es gab einen Kai und große Mengen von Kokosnüssen, die in großen Haufen aufgetürmt in der prallen Sonne auf ihre Verarbeitung warteten. Alle Einwohner lebten davon, diesen Naturrohstoff in verschiedene Produkte zu verarbeiten. Manche waren für das Entfernen der weichen Außenhaut und der darunterliegenden Fasern zuständig, während andere die Nüsse teilten und den Saft oder das Fleisch gewannen und wieder andere die Fasern trockneten und dann zu Matten verwoben. Das Erstaunlichste aber war, dass es auf der ganzen Insel gar keine Palmen gab.

      Kolumbien 1993-Kinder am KaiHier lebten Familien in einer Art von Generationenhäusern zusammen. Vom Baby bis zum Alten waren alle Altersklassen vertreten und wirkten zusammen um das Gelingen des Ziels zu erringen. Süßwasser gab es dort keines und auch alle anderen Lebensmittel mussten herbeigeschafft werden.

      Wen wundert es, dass ich bereits auf dem Rückweg zum Festland ungläubig vor mich hin sinnierte. Wenn Sie mal ein Kind haben, das nicht versteht, welches Privileg es hatte, als es in Ihre Familie geboren wurde, dann schicken Sie es an diesen Ort. Es wird anschließend nie wieder „Nein“ sagen, wenn Sie es um Mitarbeit bitten und es wird verstehen, dass der Besuch einer Schule kein Zwang, sondern eine Auszeichnung ist.

      Der Abend verlief ruhig und harmonisch. Patricia machte ein paar Notizen in ihr Reisetagebuch und ich saß nach Sonnenuntergang noch im Liegestuhl am Pool. Spät gingen wir in diesem Land nie zu Bett. Der natürliche Lauf des Lebens beginnt hier früh und endet früh. Die Sonne geht schnell auf uns schlagartig unter. Mit ihr erwacht das Leben und endet der Tag. Noch ein Cervesa 3 und dann bis morgen.

Kolumbien-1993-Strasse-in-Cartagena

      Karibik Küste Cartagena

      Mit gepackten Koffern saßen wir vor dem „expreso Brasilia“4 und warteten. Warten, das ist eine Sache, die in Kolumbien einen hohen Stellenwert einnimmt,