sie.
Vor ihrer Abreise hatte er sich mit den Botschaften, die sie von den Spionen über das Seevolk erhalten hatten, auseinandergesetzt und er hatte eine überraschende, ja erschreckende Entdeckung gemacht. Wenn man die Nachrichten so las, wirkte es fast so, als hätte man über die Jahre immer wieder Berichte von den Spionen erhalten, doch bei näherer Betrachtung stellte sich das als falsch heraus. Denn zwar waren in den letzten Jahren immer mal wieder Schriftrollen aufgetaucht, was den Anschein eines stetigen Flusses an Informationen vortäuschte, aber tatsächlich datierte die letzte „aktuelle“ Meldung etwa 50 Jahre zurück. Seit 50 Jahren waren keine neuen Informationen mehr nach Kelldor gelangt.
Man hatte viele der Berichte mit Nachrichtenmöwen geschickt. Darin wurde berichtet von dem, was sich beim Seevolk so tat. Ein Bericht hatte den Kapitän ein wenig amüsiert. Er sprach davon, dass man die Insel, auf der man lebte, zu einem riesigen Schiff umbauen wolle. Das klang selbst für einen gelangweilten Spion ein wenig weit hergeholt. Andere Schriftstücke sprachen von ausuferndem Abholzen der Wälder, um ein riesiges Schiff oder eine riesige Flotte Schiffe zu bauen, da schien man sich nicht ganz einig. Vom Verlassen der Insel war mehrfach die Rede. Aber wovon würde das Seevolk leben, wenn es die Insel verließ? Von Fischen vielleicht. Aber wenn sie nur noch auf ihren Schiffen leben wollten, gab es keine Felder – und vor allem kein Trinkwasser. Dafür hätten sie sich die riesigen Meeressäuger Untertan gemacht, hieß es. Damit beherrschten sie riesige Tiere, die im Meer lebten. Ein faszinierender Gedanke. Der Kapitän würde all das nur zu gerne sehen – wenn es denn existieren würde. Was er bezweifelte. Diese Spione hätten Abenteuererzählungen verfassen sollen, so viel Phantasie steckten sie in ihre Arbeit.
Einer der letzten Berichte, der eingetroffen war, sagte noch einmal, dass das Seevolk eine neue Flotte bauen würde. Das war eine beunruhigende Nachricht, oder wäre eine gewesen, wenn sie aktuell gewesen wäre. Doch sie war nur als letzte eingetroffen, datierte aber auch auf eine Zeit vor vielen Jahrzehnten zurück.
Stan fand eine Erklärung dafür. Viele dieser Nachrichten waren vor vielen Jahren abgeschickt worden. Man hatte sie in einem wasserfesten Futteral an einer Nachrichtenmöwe befestigt und abgeschickt. Doch viele dieser Möwen hatten ihr Ziel nicht erreicht, oder erst auf Umwegen. Manche schienen einen anderen Kurs gewählt zu haben, hatten Zwischenstopps auf der Insel des Spuckenden Feuers gemacht, waren im Inselreich gelandet oder in Savaan und waren erst viele Jahre später zu ihrem Ausgangspunkt in Kelldor zurückgekehrt, noch immer die unversehrte Nachricht mit sich tragend. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, das Datum näher zu begutachten, man nahm es als neue Information hin und vermerkte nur das Ankunftsdatum, nicht aber das des Verfassens.
Andere Möwen hatten weniger Glück. Sie wurden gefangen oder von Fischen gefressen. Die Fische wurden von anderen Fischen gefressen oder von Fischern gefangen und als man sie zubereitete, fiel den jeweiligen Fischhändlern oder Köchen die Botschaft in die Hände, die an der Möwe befestigt war. Die brachte man dann umgehend dem Bürgermeister, der sie an die zuständige Stelle im Reich weiterleitete. So kam es, dass es niemandem aufgefallen war, dass die Spione sich seit 50 Jahren nicht mehr gemeldet hatten.
Was mochte aus ihnen geworden sein? fragte sich Stan Kapitän. Hatte man sie entdeckt? Hatte man sie hinrichten lassen? Oder waren sie mit auf die große Flotte aus Holz gezogen, in der es keine Nachrichtenmöwen mehr gab, mit denen sie ihre Berichte aussenden konnten? Es war ein Geheimnis, eins von vielen. Der Kapitän läutete die Glocke des Fehlers und berichtete Sigrid Bürgermeisterin, der Bürgermeisterin von Residenzstadt unterhalb der Sommerresidenz, von seiner Entdeckung und sie erklärte aufgeregt, sie würde sofort eine Depesche an den König entsenden. Nur wenig später stach der Kapitän in See.
Er warf noch einen letzten Blick auf den Flackernden Leuchtturm, der nun langsam hinter dem Horizont verschwand. Er war schon öfter nach Süden gereist, aber nicht weit, nur ein paar Seemeilen, kaum weiter als die Insel des Spuckenden Feuers vom Festland entfernt lag. Es gab noch mehr Vulkaninseln im Süden, aber keine von ihnen war je bewohnt gewesen. Und weiter hinaus als bis zur Insel der Glühenden Steine war er nie gesegelt. Doch heute würde sich das ändern. Er würde bis in den tiefsten Süden reisen, wenn das nötig sein sollte, weit über den Äquator hinaus und bis zu den Feldern des schwimmenden Eises am Ende der Welt. Sie hatten genug Verpflegung für eine lange Reise und dies würde eine lange Reise werden, da war er sich sicher. Eine Reise ins Ungewisse, denn die Seekarten, die sie von südlich der Insel der Glühenden Steine besaßen, waren mehr als dürftig. Sie zeigten eine Menge Meer an, mit der Möglichkeit auf ein paar Inseln. Stan ließ sich den Wind um die Nase spielen und lächelte. Die Karte hatte viele weiße Flecken aufzuweisen. Er nahm sich vor, das zu ändern.
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