Jules Lux

Be Nobody


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man gemeinhin glauben möchte. Die Lust auf eine andere Person passiert allein durch die Unwissenheit, mit wem wir es eigentlich zu tun haben. Wir sehnen uns nach dem Prototyp des attraktiven Menschen, der nicht mit sich und dem Broterwerb, sondern mit der Liebe und der Einfachheit beschäftigt ist: dem „Girl Next Door“ oder dem „schönen fremden Mann“. Wir wollen nicht wissen, dass wir im Alltag viele nicht-körperliche, peinliche Dinge tun, die einzig und allein der rationalen Welt frönen. Der Kampf ums Geld, um einen Beruf, der uns jede Luft zum Atmen nimmt, um Technikschnickschnack, doofe Hobbies und Wochenenden in der Autowaschanlage schaltet jede Lust aus und führt, im Gegenteil, sogar zu Aggressionen. Nicht umsonst ist Gewalt per se heterosexuell. Oder haben Sie schon mal gehört, dass es beim Christopher Street Day zu Krawallen kam?

      Mit plötzlichen Attacken seitens braver Ehepaare und Familien ist hingegen jederzeit zu rechnen. Ich saß einmal in einer S-Bahn, in der zwei angetrunkene Ehepaare in den Fünfzigern, ordentlich frisiert und angezogen, zwei junge Männer Anfang zwanzig anpöbelten. Als die sich verbal wehrten, marschierten die älteren Herren tatsächlich in Richtung Jugend, um ihnen mit der Faust unvermittelt ins Gesicht zu schlagen. Die Runzeligen, die nichts gelernt haben außer Zeitunglesen und Häuschenbauen, gingen gegen die Schönen vor, die noch bis elf Uhr ausschlafen und sich ihre Sexualpartner aussuchen können. Mit ein paar mutigen Gästen konnte ich die Herrschaften gerade noch rechtzeitig auseinanderreißen. Die Lage danach: Die Jungs sahen mit ihren blutigen Lippen noch begehrenswerter aus, die Alten hatten ihre Bankrotterklärung abgegeben. Etwas subtiler und nur bedingt auflösbar sind die Attacken, die junge Familien in der Innenstadt, in Kaufhäusern und Einkaufsstraßen gegen ihre Mitmenschen reiten. Man soll bitteschön die Kinder durchlassen, Kinderteller auf die Speisekarte setzen, Parkplätze zur Verfügung stellen, überhaupt mal Platz machen. Es scheint so, dass sich der ganze angestaute Frust über das leidenschafts- und geheimnislose Ehe-, Berufs- und Familienleben, bei dem keiner zulasten seines Kontos zurückstecken will, hier entladen muss. Die Kinder werden nicht wie menschliche, neugierige Wesen, sondern wie Waffen über die öffentlichen Plätze und Anlagen getrieben. Anstatt den Kindern ein Vertrauen in die fremde Umgebung und die Menschen zu schenken, werden sie missbraucht, um den eigenen Status deutlich zu machen oder sich gegenüber den anderen Menschen, die einem der Rest der Woche piepegal sind, zu positionieren. Die Kleinen werden zur Seite gezerrt oder weiter geschleift, als verlängerter Arm ihrer Erzeuger missbraucht oder laut zur Raison gerufen. „Das Leben liegt vor dir“, bekommen sie ständig gesagt. „Das Leben liegt in dir“, sollte es heißen. Was vor allem noch kommt, ist der Versuch, den ganz eigenen Wert des Lebens aufzulösen und die Träume der Jugend einzusargen. Wie wir mit unseren Kindern umgehen, zeugt davon, dass wir durch Nachwuchs leider nicht klug werden und der Sex, mit dem er initiiert wurde, uns nicht logischerweise dazu gebracht hat, dem Phänomen Mensch an sich mehr zu vertrauen.

       Übung: Fordern Sie von Ihren Mitmenschen morgen einmal genau nichts. Bestellen Sie keine Dinge, weisen Sie keine Handlungen an, ermahnen Sie zu nichts, lassen Sie sich nicht zu Vorschlägen hinreißen, schreiben Sie keine Mails oder SMS, rufen Sie niemanden an.

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