Minuten Zeit, um sich auf die folgende Männergruppe vorzubereiten. Nach dem dritten Gottesdienst wird Pater Clemens heimfahren und für Obdachlose, Drogenabhängige und ehemalige Strafgefangene kochen. An seinem Tisch ist für die Menschen Platz, die die Gesellschaft ausgeschlossen hat. Ein Hüter von Gottes Schafen, nach denen niemand mehr sucht.
Homosexuell und katholisch
Der Theologe Michael Brinkschröder ist schwul. Ein Austritt aus der Kirche kam für ihn aber nie infrage, denn er will sie von innen heraus verändern.
Michael Brinkschröder engagiert sich heute ganz offen in der Arbeitsgruppe „Homosexuelle und Kirche“. Aber es war kein leichter Weg für ihn, sich offen zu seiner sexuellen Orientierung zu bekennen. Foto: Meyer-Tien
Von Katia Meyer-Tien, MZ
München. Es hätte alles so einfach sein können für den Jungen, der auf einem Bauernhof im ländlichen Fürstenau aufwuchs. Die Eltern waren katholisch, viele Freunde auch. Er war Messdiener, Jugendgruppenleiter, glaubte fest an Gott und Jesus Christus und wollte Theologie studieren. Doch einfach war nichts für Michael Brinkschröder.
Brinkschröder ist heute 47 Jahre alt, ein fröhlicher Mann, der in einem verwohnten Münchner Altbau lebt. Im langen Flur reihen sich die Bücher meterhoch an der Wand, neben dem Schreibtisch steht ein Duden neben dem neuen Testament und der Bibel „in gerechter Sprache“. Brinkschröder ist katholischer Religionslehrer, doch wie er dazu wurde, das war „ein Eiertanz“, denn Brinkschröder ist schwul.
Das Thema war tabu
Wann er gemerkt hat, dass er sich für Männer interessiert, das kann Brinkschröder heute nicht mehr genau sagen. Dass da irgendwas war, war ihm früh klar. Aber schwul sein? Homosexuell? Das ist Sünde. Lernte er von seinem Religionslehrer. Sonst war das Thema Tabu, über so etwas sprach man nicht.
Also versuchte auch Brinkschröder, nicht darüber nachzudenken. Bis er ein Freiwilliges Soziales Jahr in einem katholischen Kinderheim machte, unter der Aufsicht erzkonservativer Nonnen, und ihm die Jugendlichen nachriefen: „Du bist ja schwul, das sieht man doch!“. Brinkschröder geriet in Panik. Wollte es nicht wahrhaben, und dann die Angst: Sah man ihm das wirklich an? Würde er seinen Job verlieren? Schwul leben und bei der katholischen Kirche arbeiten, das geht nicht. Es war nicht das letzte Mal, dass sich Brinkschröder mit diesem Dogma konfrontiert sah.
Bis heute tut sich die katholische Kirche schwer im Umgang mit Homosexuellen und Transgendern. Sehr schwer. Wer nicht ins klare Schema des konservativen Wertesystems passt, der wird bestenfalls ignoriert. Schlimmstenfalls ausgegrenzt. Offiziell ist gleichgeschlechtliche Sexualität Sünde. Levitikus: „Du sollst nicht bei einem Manne liegen, wie Du bei einer Frau liegst; es ist ein Gräuel“
Brinkschröder studierte trotzdem Theologie. Oder vielleicht gerade deswegen. Er hatte die Erzkonservativen kennengelernt, für die seine sexuelle Orientierung abnormal ist, die ihn kompromisslos ablehnen.
Aber er kannte auch die andere Seite der Kirche. Die, die er als Kind und Jugendlicher als großartige Gemeinschaft erlebt hatte. Eine offene, helfende Kirche, die sich weltweit für Menschen in Not einsetzt: „Die Kirche der 1970er und frühen 1980er Jahre war für mich der Inbegriff von Fortschritt“, sagt Brinkschröder heute, „damals waren die Befreiungstheologie und auch der Feminismus sehr lebendig“. Dann aber, in den späten 1980er und 1990er Jahren seien alle progressiven Strömungen innerhalb der Kirche abgewürgt worden. Mit dieser Kirche wollte er sich auseinandersetzen. Sie verstehen. Und die Dogmen überwinden, zurück zu einer offenen und progressiven Kirche.
Eine Welt brach zusammen
Bloß wie? Als schwuler Theologe, das wusste er, würde er später kaum einen Job finden. Dazu kamen die Ängste daheim. Viele Anläufe in mehreren Stunden brauchte er, bis er einer guten Freundin gegenüber schließlich den Satz über die Lippen brachte: „Ich bin schwul“. Und als er es endlich, da war er schon 23, schaffte, diesen Satz auch zu seinen Eltern zu sagen, brach für die eine Welt zusammen. „Wie kannst Du uns das bloß antun?“ fragten sie ihn.
Doch da hatte Brinkschröder seine Entscheidung schon getroffen. Er wollte sich nicht verstecken müssen für das, was er ist. Er engagierte sich in einer Arbeitsgruppe zur schwulen Theologie, begann, das schwul sein und die Theologie zusammen zu denken. Schließlich schrieb er sogar seine Dissertation über die Wurzeln der kirchlichen Ablehnung der Homosexualität.
In seinem Fachbereich, der katholischen Theologie, konnte er die allerdings nicht einreichen. Dafür hätte er eine „Unbedenklichkeitsbescheinigung des Bischofs über Glaube und sittlichen Lebenswandel“, benötigt, erinnert er sich. Ein Risiko, dass er nicht eingehen wollte. Auch heute noch müssen Studenten der katholischen Theologie an der Universität München der Promotionsbewerbung „eine Unbedenklichkeitsbescheinigung des Heimatoberhirten über Glaube und charakterliche Haltung des Bewerbers“ beilegen.
Wechsel war zu simpel
Sie macht es ihm schwer, seine Kirche. So schwer, dass er sogar mal darüber nachdachte, zur evangelischen Kirche zu wechseln: „Aber das war mir zu simpel“, sagt er heute und schmunzelt bei der Erinnerung. Auch ein Austritt kam für ihn nie in Frage: „Dann kann man gar nichts mehr verändern“.
Brinkschröder promovierte schließlich in Soziologie, war dann arbeitslos. Seinen Job als Religionslehrer hat er heute nur, weil er eingewilligt hat, nie mit einem Mann eine eingetragene Partnerschaft einzugehen. Er engagiert sich ganz offen in der Arbeitsgruppe „Homosexuelle und Kirche“, in der viele nur anonym auftreten, weil sie um ihren Arbeitsplatz innerhalb der Kirche fürchten müssen, wenn sie sich als schwul, lesbisch oder transsexuell outen. Brinkschröder engagiert sich, weil er davon überzeugt ist, dass die Kirche sich erst dann wieder erfolgreich für Menschen und Menschenrechte weltweit einsetzen kann, wenn sie selbst wieder glaubwürdig wird.
Und es ist sein Glaube, sagt er, der ihm dabei hilft, sich gegen alle Widerstände dafür einzusetzen.
Als hätte es die Ehe nie gegeben
Kirchlich zu heiraten, ist noch immer die Regel. Eine Annullierung der göttlichen Verbindung ist indes oft noch unbekannt. Zwei Lebenswege.
Im katholischen Kirchenrecht gilt: „Was Gott verbindet, kann der Menschen nicht trennen.“ Doch eine Annullierung kann ein Ausweg sein. Foto: dpa
Von Mario Geisenhanslüke, MZ
Regensburg. An diesem Abend im Mai 2003 bricht für Maria Schmidt eine Welt zusammen. An diesem Abend hat ihr damaliger Mann ihre Eltern dazugeholt. Damit sie sich nichts antue, sagt er. Denn an diesem Abend wird er ihr – nicht wortgetreu, nicht ganz so direkt, aber im Kern zutreffend – eröffnen: Die letzten fünf Jahre habe ich mit einer anderen Frau ein Doppelleben geführt – und mit der will ich jetzt zusammenleben.
Maria Schmidts Ehe war an diesem Abend gescheitert. Florian Weber und Silvia Prey-Weber hingegen sind seit Anfang Mai dieses Jahres glücklich verheiratet. Mit ihrer Tochter Magdalena wohnen beide in einem beschaulichen Reihenhaus in Regensburg.
Schmidt und die Prey-Webers kennen sich nicht. Aber beide haben unserer Zeitung einen kleinen Einblick in ihre jeweilige Lebenswirklichkeit ermöglicht. Denn beide stehen stellvertretend für je eine Seite einer Medaille: die eine für die kirchliche Heirat, die andere für deren Annullierung.
Eine Geschichte mit Happy End
Florian Weber (30) und Silvia Prey-Weber (34), die ihren Doppelnamen behalten hat, sind glücklich. Beide sind, als sie am Küchentisch sitzen, kurz davor