Robert Louis Stevenson

Robert Louis Stevenson - Gesammelte Werke


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von Tabaksqualm.

      Die Gäste waren fast lauter Seeleute, und sie sprachen so laut, daß ich an der Tür stehen blieb und beinahe Angst hatte, einzutreten.

      Während ich wartete, kam aus einem Nebenzimmer ein Mann heraus, und ich sah auf den ersten Blick, daß dies Long John sein müßte. Sein linkes Bein war dicht an der Hüfte abgenommen, und unter der linken Achsel hatte er eine Krücke, die er mit wunderbarer Geschicklichkeit handhabte und an der er herumhüpfte wie ein Vogel. Er war sehr groß und stark, mit einem Gesicht, so groß wie ein Schinken. Dieses Gesicht war häßlich und blaß, aber von klugem und lächelndem Ausdruck. Er schien wirklich in sehr lustiger Laune zu sein, er pfiff vor sich hin, wie er sich so zwischen den Tischen bewegte und die besonders beliebten Gäste mit einem Scherzwort oder mit einem Schlag auf die Schulter begrüßte.

      Nun hatte ich, um die Wahrheit zu sagen, gleich bei der ersten Erwähnung Long John Silvers in Squire Trelawneys Brief innerlich gefürchtet, er könnte jener einbeinige Seemann sein, nach dem ich vom alten »Admiral Benbow« so lange Zeit ausgeguckt hatte. Aber ein einziger Blick auf den Mann vor mir genügte. Ich hatte den Kaptein gesehen, und den Schwarzen Hund, und den blinden Bettler Pew, und ich glaubte zu wissen, wie ein Pirat aussähe – jedenfalls nach meiner Meinung ganz anders als dieser reinliche, freundliche Schenkwirt.

      Ich bekam sofort neuen Mut, trat über die Schwelle und ging stracks auf den Mann los, der auf seine Krücke gelehnt dastand und mit einem Gast sich unterhielt. Ich hielt ihm den Zettel hin und fragte:

      »Herr Silver?«

      »Jawohl, mein Junge; so heiß ich ganz gewiß. Und wer bist denn du?«

      Als er aber den Brief des Squire sah, schien es ihm ordentlich einen Ruck zu geben. Er gab mir die Hand und sagte ganz laut:

      »Aha, ich verstehe! Du bist unser neuer Kajütsjunge; freut mich, dich zu sehen!«

      Und er gab mir einen festen Händedruck.

      Gerade in diesem Augenblick stand einer von den Gästen plötzlich auf und lief aus der Tür. Diese befand sich ganz in seiner Nähe und er war sofort aus der Straße verschwunden. Aber seine Eile war mir aufgefallen, und ich erkannte ihn auf den ersten Blick. Es war der Mann mit dem käsigen Gesicht, der zuerst in den »Admiral Benbow« gekommen war und dem die beiden Finger fehlten.

      »Oho!« rief ich; »haltet ihn! Da ist ja der Schwarze Hund!«

      »Wer er ist, darauf gebe ich keinen Pfifferling!« rief Silver; »aber er hat seine Zeche nicht bezahlt. Harry, lauf ihm nach und halte ihn fest!«

      Einer von den anderen Gästen, der ebenfalls ganz nahe bei der Tür saß, sprang auf und machte sich zur Verfolgung auf.

      »Und wenn er der Admiral Hawke wäre, seine Zeche soll er bezahlen!« rief Silver; dann ließ er meine Hand los und fragte: »Wer, sagtest du, daß er wäre? Der schwarze was?«

      »Hund, Herr Silver,« sagte ich. »Hat Herr Trelawney Ihnen nicht von den Piraten erzählt? Er war einer von ihnen.«

      »So!« rief Silver. »In meinem Hause! Ben, lauf und hilf Harry! So? War das einer von diesen Kerls? Hört mal, Morgan! Ihr habt ja wohl mit ihm getrunken? Kommt mal her!«

      Der Mann, den er Morgan nannte – ein alter grauhaariger Matrose mit einem mahagoniroten Gesicht –, kam mit einer ziemlich dämlichen Miene heran, indem er seinen Priem im Munde herumrollte.

      »Na, Morgan!« sagte Long John sehr ernst; »Ihr habt doch wohl nie in Eurem Leben früher diesen Schwarzen – Schwarzen Hund gesehen? Nicht wahr?«

      »Gewiß nicht, Herr!« sagte Morgan, mit einem Kratzfuß.

      »Ihr kanntet doch seinen Namen nicht? Oder?«

      »Nein, Herr!«

      »Beim heiligen Donnerwetter, Tom Morgan, da könnt Ihr Euch freuen!« rief der Wirt. »Hättet Ihr mit einem solchen Kerl was zu tun gehabt, Ihr hättet mein Haus mit keinem Fuß mehr betreten, darauf könnt Ihr Euch verlassen! Und was sagte er denn zu Euch?«

      »Das weiß ich nicht mehr so recht, Herr,« antwortete Morgan.

      »Habt Ihr einen Kopf auf Euren Schultern, oder ist das ein verdammtes Kalbsgekröse?« rief Long John. »Weiß ich nicht mehr recht! – Ach nee! Vielleicht wißt Ihr auch nicht mehr so recht, mit wem Ihr überhaupt gesprochen habt? Na, besinnt Euch mal, wovon hat er denn geplappert – Reisen, Kapitäne, Schiffe? Raus damit! Was war's denn?«

      »Wir sprachen so von Kielholen,« antwortete Morgan.

      »Von Kielholen? Ach nee! Das war ja eine recht passende Unterhaltung, Gottverdammich! Setzt Euch man wieder hin, Ihr seid ein Schafskopf.«

      Während Morgan wieder auf seinen Stuhl lossteuerte, flüsterte Silver mir in vertraulichem Ton, durch den ich mich sehr geschmeichelt fühlte, ins Ohr:

      »Der Tom Morgan ist ein ganz braver Kerl – bloß ein fürchterlicher Döskopf. Aber nun,« fuhr er laut fort, »laßt mich doch mal nachdenken – Schwarzer Hund? Nein – den Namen kenne ich nicht; ganz gewiß nicht. Aber halt – mir ist doch so – ja, ich habe den Kerl mal gesehen! Er kam manchmal mit einem blinden Bettler zu mir – jawoll, das tat er!«

      »Daß er das tat, darauf können Sie sich verlassen,« sagte ich. »Ich habe auch den blinden Mann gekannt. Pew war sein Name.«

      »Richtig!« rief Silver, jetzt ganz aufgeregt. »Pew! Das war sein Name. Ganz gewiß! Ah – der Kerl sah wie ein Haifisch aus, wahrhaftig! Aber wenn wir diesen Schwarzen Hund zu fassen kriegen, na, da wird aber Kapitän Trelawney Augen machen! Ben ist ein guter Läufer – da sind wenig Seeleute, die besser laufen können als Ben. Der muß ihn einholen, Hand über Hand, Gottverdammich! Von Kielholen sprach er? Ach nee! Na, den will ich kielholen!«

      Die ganze Zeit über, während er diese Sätze hervorstieß, humpelte er auf seiner Krücke in der Schenkstube herum, schlug alle Augenblicke mit der flachen Hand auf einen Tisch und war offenbar so aufgeregt, daß er einen Richter in Old Bailey oder einen Polizisten von Bow Street von seiner Unschuld überzeugt haben würde. Mein Verdacht war wieder rege geworden, als ich den Schwarzen Hund im »Fernrohr« wiedergefunden hatte, und ich beobachtete den Schiffskoch sehr scharf. Aber er war für mich ein zu fixer Schauspieler und ein zu abgefeimter Schlaukopf, und als nach einiger Zeit die beiden Matrosen ganz außer Atem zurückkamen und meldeten, sie hätten in einem Gedränge die Spur verloren und wären selber für Spitzbuben ausgescholten worden, da hätte ich mich ohne Bedenken für Long John Silvers Unschuld verbürgt.

      »Sieh mal, Hawkins,« sagte er zu mir, »es ist doch ein verdammt hartes Ding für einen Mann wie mich, wenn so was passiert – nicht wahr? Da ist Käpp'n Trelawney – was soll der davon denken? Hier sitzt der verdammte Sohn von einem Holländer in meinem eigenen Haus und trinkt von meinem eigenen Rum! Hier kommst du zu mir rein und sagst mir's gerade auf den Kopf zu! Und hier lasse ich ihn vor meinen eigenen Augen uns allen durch die Lappen gehen! Na, Hawkins, tu mir den Gefallen und stelle dem Käpp'n die Geschichte ins richtige Licht! Du bist ja man ein Junge, das ist richtig, aber du bist helle wie 'n Dreierlicht. Das hab ich gleich gesehen, als du in die Tür kamst. Na, die Sache ist doch so: was konnte ich denn tun, mit diesem alten Stück Holz, worauf ich rumhumple? Als ich noch ein kriegstüchtiger Sergeant bei den Seesoldaten war, da hätte ich ihn bald beim Wickel gehabt, und da hätte er meine Fäuste kennengelernt; aber jetzt –«

      Plötzlich schwieg er und sein Unterkiefer fiel herunter, wie wenn ihm auf einmal etwas eingefallen wäre.

      »Die Zeche!« rief er: »Drei Lagen Rum! Herrjemine, Gottverdammich – hab' ich richtig die Zeche vergessen!«

      Und er fiel auf eine Bank und lachte, daß ihm die Tränen über die Backen liefen. Unwillkürlich mußte ich mitlachen, und so lachten wir beide, immer von frischem, daß die ganze Schenkstube dröhnte.

      »Herrgott nochmal, was für ein großartiges Seekalb ich bin!« sagte er und wischte sich die Backen ab. »Du und ich, wir zwei beiden müssen uns gut vertragen, Hawkins – denn, meiner Seel, ich habe mich benommen wie ein Schiffsjunge! Aber hör' mal, wir wollen