Robert Louis Stevenson

Robert Louis Stevenson - Gesammelte Werke


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Bischof zu finden, rechne ich. Aber wie liegen denn die Knochen? Das ist doch nicht natürlich!«

      Allerdings schien es, wenn man genauer hinsah, unmöglich zu sein, daß das Skelett von selber eine solche Stellung angenommen hätte. Abgesehen von einigen kleinen Anordnungen – die vielleicht von den Vögeln verursacht waren, welche sein Fleisch gefressen hatten, oder von den grünen Ranken, die nach und nach die Überreste umsponnen hatten – lag der Mann vollkommen gerade ausgestreckt: seine Füße wiesen nach der einen Richtung, seine Hände, die über seinen Kopf zusammengefügt waren wie die eines Tauchers, zeigten genau in die entgegengesetzte Richtung.

      »Ich habe einen Gedanken in meinem alten Schädel,« bemerkte Silver: »hier ist der Kompaß! Und dies ist der Wegweiser, der nach der Spitze von der Skelettinsel zeigt, die wie ein Zahn vorspringt. Legt mal schnell die Richtung fest, in der diese Knochen liegen!«

      Sie taten es. Das Skelett zeigte genau nach der Insel, und auf dem Kompaß lasen sie: Ost-Südost bei Ost.

      »Das dachte ich mir!« rief der Koch. »Dies hier ist ein Wegweiser! Auf diesem Strich entlang kommen wir zu unserm Polarstern und den blanken Dollars! Aber, beim Donner! Wenn es mir nicht ganz kalt im Leibe macht, an Flint zu denken! Dies ist so recht einer von seinen Witzen! Er und diese sechs waren hier allein; er tötete sie, bis auf den letzten Mann; und diesen einen legte er hier nach dem Kompaß als Wegweiser hin, Gottverdimmich! Es sind lange Knochen, und das Haar ist gelb gewesen. Tscha, das wird wohl Allardyce sein. Du erinnerst dich an Allardyce, Tom Morgan?«

      »Ei jawoll! Ob ich mich an ihn erinnere! Er war mir Geld schuldig und nahm außerdem mein Messer mit an Land.«

      »Da wir von Messern sprechen,« sagte ein anderer, – »warum finden wir sein Messer nicht hier? Flint war nicht der Mann dazu, einem Matrosen die Tasche auszuräumen, und die Vögel, mein' ich, würden ein Messer wohl liegen lassen!«

      »Beim Deuker! Das ist wahr!« sagte Silver.

      »Hier ist rein gar nichts zurückgeblieben!« sagte Merry, der immer noch zwischen den Knochen herumtastete: »Kein Kupferdeut! nicht einmal eine Tabaksdose! Das kommt mir nicht natürlich vor.«

      »Nein, der Tausend! das tut es nicht,« gab Silver zu; »nicht natürlich und auch nicht nett, heiliges Donnerwetter, Meßmaate! Wenn Flint noch am Leben wäre, da wäre hier ein heißer Ort für euch und mich. Sechs waren sie, und sechs sind wir; und Knochen sind sie jetzt!«

      »Ich sah ihn tot daliegen, sah ihn mit diesen meinen Augen, die ich im Kopfe habe,« sagte Morgan. »Billy nahm mich mit zu ihm herein. Da lag er, mit Pennystücken auf den Augen.«

      »So – eija, ganz gewiß ist er tot und liegt unter der Erde,« sagte der Mann mit dem verbundenen Kopf; »aber wenn jemals ein Geist umgegangen ist, so würde Flint umgehen. Ach du liebe Zeit, der hatte ein böses Ende, der Flint!«

      »Jawoll, das hatte er!« bemerkte ein anderer; »bald tobte er und bald schrie er nach Rum und bald sang er. ›Fünfzehn Mann‹ war sein einziges Lied, Maate; und ich sage euch: ich mochte es eigentlich später nie wieder gerne hören. Es war mächtig heiß, und das Fenster stand offen, und ich hörte das alte Lied klar und deutlich – und dabei hatte der Tod den Mann schon in seinen Klauen.«

      »Nu, nu!« sagte Silver, »laß das Gepappel! Er ist tot, und er geht nicht um, so viel weiß ich. Wenigstens kann er nicht bei Tage umgehen – und darauf könnt ihr Gift nehmen. Angst machte schon Katzen tot! Vorwärts, Maate, und laßt uns die Dublonen holen!«

      So gingen wir denn weiter; aber trotz dem hellen Sonnenschein gingen die Piraten nicht mehr einzeln und rufend durch den Wald, sondern hielten sich dicht aneinander und sprachen im Flüsterton. Die Angst vor dem toten Seeräuber hatte sie gepackt.

      Teils infolge der niederdrückenden Wirkung dieser Angst, teils um Silver und die Kranken ausruhen zu lassen, machte die ganze Gesellschaft Rast, sobald wir den Rand der Hochebene erreicht hatten.

      Da die Hochfläche etwas nach Westen vorsprang, so hatten wir von dieser Stelle, an der wir haltmachten, eine weite Aussicht nach allen Richtungen. Vor uns, jenseits der Baumwipfel, sahen wir das Waldkap mit seiner weißen Brandung; nach der entgegengesetzten Richtung überblickten wir nicht nur den Ankergrund und die Skelettinsel, sondern sahen auch jenseits der östlichen Niederung eine große Fläche offener See. Gerade über uns stieg das Fernrohr empor, mit schwarzen Schluchten an einzelnen Stellen und mit hohen Fichtenbäumen an anderen. Kein Laut war zu hören, als das Brausen der Brandung in der Ferne und das Zirpen unzähliger Insekten in den Gebüschen. Kein Mensch zu sehen, kein Segel auf der See; die ungeheure Weite der Aussicht verstärkte das Gefühl der Einsamkeit.

      Silver stellte von seinem Platz aus verschiedene Berechnungen mit dem Kompaß an.

      »Hier sind drei ›große Bäume‹ ungefähr in einer Linie von der Skelettinsel an. Unter ›Staffel des Fernrohrs‹ versteht er, denk' ich, den niedrigeren Vorsprung dort. Es ist jetzt ein Kinderspiel, das Zeug zu finden. Ich hätte wohl Lust, vorher noch zu Mittag zu essen.«

      »Ich habe keine rechte Lust,« murrte Morgan in seinem tiefen Baß. »Muß immer an Flint denken – hat mir den Appetit genommen.«

      »Na ja, mein Junge, du kannst deine Sterne preisen, daß er tot ist!« sagte Silver.

      »Er war ein gehässiger Teufel,« rief ein dritter Pirat mit einem Schauder; »und so blau im Gesicht!«

      »Das kam vom Rum,« bemerkte Merry. »Blau! Ja, blau war er, das will ich meinen. Das ist ein wahres Wort.«

      Seitdem sie das Gerippe gefunden hatten, konnten sie von dem Gedanken nicht mehr abkommen; sie hatten immer leiser und leiser gesprochen, und jetzt flüsterten sie beinahe, so daß ihr Gespräch kaum das Schweigen des Waldes unterbrach. Plötzlich kam mitten aus den Bäumen vor uns eine dünne, hohle, tremulierende Stimme und sang die wohlbekannten Worte nach der alten Weise:

      Fünfzehn Mann bei des Toten Kist –

      Johoho, und 'ne Buddel, Buddel Rum!

      Niemals hab ich Menschen so furchtbar erschrocken gesehen wie die Piraten! Die Farbe wich aus ihren sechs Gesichtern wie mit einem Zauberschlage; einige sprangen auf, andere klammerten sich an ihren Nachbarn an; Morgan warf sich platt auf den Leib.

      »'s ist Flint, beim –!« schrie Merry.

      Das Lied hatte so plötzlich aufgehört, wie es begonnen hatte. – Es brach sozusagen mitten in einer Note ab, wie wenn irgend jemand dem Sänger die Hand auf den Mund gelegt hätte.

      »Nunu!« sagte Silver, aber seine aschgrauen Lippen konnten kaum das Wort hervorbringen: »Nunu! so geht das nicht! Wir müssen den Wald absuchen. Es ist wohl eine merkwürdige Geschichte, und ich kann die Stimme nicht nennen – aber sicherlich macht einer sich einen Spaß – irgendein Mensch von Fleisch und Blut, und darauf könnt ihr Gift nehmen!«

      Während er sprach, hatte er selber wieder Mut gefaßt, und sein Gesicht war nicht mehr so bleich. Die anderen begannen schon auf sein Zureden zu hören und sich von ihrem Schrecken zu erholen, da ertönte plötzlich wieder dieselbe Stimme. Aber diesmal sang sie nicht, sondern es war wie ein fernes, winselndes Klagen, das ganz schwach von den Klüften am Fernrohr widerhallte.

      »Darby Mac Graw,« winselte es – dieses Wort bezeichnet am besten den Klang – »Darby Mac Graw! Darby Mac Graw!« wieder und immer wieder; und dann etwas lauter und höher und mit einem Fluch, den ich auslasse: »Gib den Rum her, Darby!«

      Die Piraten standen wie festgewurzelt; die Augen traten ihnen aus dem Kopf. Als längst die Stimme verklungen war, starrten sie immer noch in ängstlichem Schweigen vor sich hin.

      »Nun ist es sicher!« keuchte einer von ihnen. »Laß uns gehen!«

      »Das waren seine letzten Worte,« stöhnte Morgan, »seine letzten Worte an Bord!«

      Dick hatte seine Bibel aus der Tasche genommen und betete. Er war gut erzogen worden, der Dick, bevor er auf See kam und in böse