alles ziemlich klar«, meinte ich, »Gott verzeih den Übeltätern!«
Selbst hierauf antwortete sie nicht, sondern fuhr fort, mich mit dem nämlichen bleichen Gesicht anzustarren. »Eine schöne Sache«, hub ich von neuem an. »Soll ich also wirklich ins Verderben gehen und jene beiden mit mir reißen?« »Ach, was soll ich nur tun!« rief sie verzweifelt. »Kann ich denn gegen meines Vaters Befehl handeln, gerade jetzt, da er gefangen ist und vielleicht sein Leben davon abhängt?« »Vielleicht sind wir voreilig gewesen«, sagte ich. »Auch das Letzte kann eine Lüge sein. Vielleicht hat der Mann gar keine ausdrücklichen Befehle; alles kann das Werk Simon Frasers sein, ohne Wissen Eures Vaters.« Da brach sie, ohne auf uns beide zu achten, in Tränen aus, und mein Herz machte mir heftige Vorwürfe, denn dieses Mädchen dünkte mir in einer furchtbaren Lage. »Hört zu,« sagte ich, »haltet ihn nur eine einzige Stunde fest, und ich will versuchen durchzukommen und Euch segnen.« Sie reichte mir die Hand. »Ich habe ein gutes Wort nötig«, schluchzte sie. »Eine volle Stunde also?« fragte ich, ihre Hand festhaltend. »Drei Menschenleben hängen davon ab, mein Mädchen.« »Eine volle Stunde«, wiederholte sie und rief laut ihren Heiland um Vergebung an.
Ich meinte, hier wäre kein passender Ort für mich und floh.
Elftes Kapitel Der Wald bei Silvermills
Ich verlor keine Zeit. Talabwärts, vorbei an Stockbridge und Silvermills, lief ich, so rasch meine Füße mich nur tragen wollten. Alan hatte versprochen, sich allnächtlich zwischen zwölf und zwei »in einem kleinen, verkrüppelten Gehölz östlich von Silvermills und hart südlich des Mühlgrabens« einzufinden. Ich fand das Wäldchen, das sich einen steilen Hügel hinanzog, an dessen Fuß ein tiefer, reißender Mühlbach strömte, ohne Schwierigkeit. Hier verlangsamte ich meinen Schritt und begann mit etwas mehr Ruhe mein Vorhaben zu überlegen. Ich erkannte, ich hatte mich Catriona gegenüber auf einen Narrenhandel eingelassen. Es war nicht anzunehmen, daß Neil in der Durchführung seines Auftrages ohne Mithelfer wäre, aber vielleicht war außer ihm keiner von James Mores Leuten daran beteiligt. In diesem Falle hatte ich mein möglichstes getan, Catrionas Vater henken zu lassen, ohne mir selbst wesentlich weiterzuhelfen. In Wahrheit wollte mir keine dieser Eventualitäten gefallen. Wenn nun das Mädchen durch Neils Abhaltung mitschuldig am Tode ihres Vaters wurde? Sie würde es sich, wie ich sie kannte, nie verzeihen. Wie aber, wenn noch andere mich in diesem Augenblick verfolgten? Welches Geschenk brachte ich da Alan mit? Was gab es hierauf zu erwidern?
Ich hatte bereits den westlichen Teil des Gehölzes erreicht, als beide Bedenken mich mit der Wucht eines Keulenschlages trafen. Meine Füße blieben wie angewurzelt stehen und auch mein Herzschlag stockte. »Was für ein tolles Spiel habe ich heut getrieben!« dachte ich und machte auf der Stelle kehrt, um mich anderswo hinzubegeben. Das brachte mich wieder in die Richtung nach Silvermills; der Weg führte in einer Schleife am Dorf vorbei, lag aber deutlich vor mir. Kein Mensch, weder Hoch- noch Tiefländer, war zu sehen. Hier hatte ich, was ich suchte, hier bot sich eine Gelegenheit, wie ich sie laut Stuarts Rat ausnutzen sollte; ich lief daher am Mühlbach entlang bis jenseits des östlichen Waldzipfels und zurück quer durch das Gehölz, bis zu seinem westlichen Ausläufer, von wo aus ich ungesehen wieder die ganze Straße überblicken konnte. Auch diesmal war sie leer, und mein Mut stieg von neuem.
So saß ich über eine Stunde eng an den Waldsaum gedrückt, und weder Hase noch Adler hätten schärferen Lugaus halten können. Zu Beginn dieser Stunde war die Sonne schon untergegangen, der Himmel aber noch in Gold getaucht und das Tageslicht klar; ehe jedoch die Stunde zerrann, hatte das Zwielicht eingesetzt. Gegenstände und Entfernungen wurden undeutlicher, und die Beobachtung war erschwert. Während dieser ganzen Zeit zeigte sich keine Menschenseele östlich von Silvermills, und die wenigen, die westlich davon gingen, waren ehrliche Bauern und deren Frauen auf dem Wege ins Bett.
Selbst wenn die schlausten Spione Europas mir auf den Fersen waren, hielt ich es doch für äußerst unwahrscheinlich, daß sie von meinem Verstecke wüßten; ich ging daher etwas tiefer in den Wald hinein und streckte mich aus, um Alan zu erwarten. Die Nervenanspannung war groß gewesen, denn ich hatte nicht nur den Weg, nein, auch jeden Strauch und jedes Feld in Sichtweite beobachtet. Das war nun vorbei. Der Mond, der im ersten Viertel stand, schien matt in den Wald hinein; ringsum schwieg das Land, und während ich die nächsten drei, vier Stunden dort flach auf dem Rücken lag, bot sich mir eine treffliche Gelegenheit, mein Verhalten kritisch zu betrachten. Zwei Dinge wurden mir zuerst klar: ich hatte kein Recht gehabt, heute nach Dean zu gehen, und war ich schon gegangen, so durfte ich jetzt nicht liegen, wo ich lag. Dieses Gehölz, in dem ich Alan erwartete, war im ganzen weiten Schottland der einzige Ort, der mir aus taufend triftigen Gründen verschlossen war. Ich gab das zu und – blieb, zu meiner eigenen Verwunderung. Ich dachte an die harten Worte, die ich eben erst Catriona gegeben, wie ich stolz von zwei Menschenleben gesprochen hatte, die ich mit mir herumtrüge, und wie ich sie jetzt, scheinbar gewissenlos, von neuem aufs Spiel setzte. Ein gutes Gewissen macht drei Viertel allen Heldentums. Kaum hatte ich mein Verhalten jeder Einbildung entkleidet, als ich mich auch schon waffenlos einem Heer von Schrecknissen gegenüber befand. Plötzlich setzte ich mich aufrecht. Wie, wenn ich jetzt zu Prestongrange ginge, ihn abfinge, noch ehe er sich zu Bett legte (was ich immer noch leicht tun konnte), und mich ihm vollständig unterwarf? Wer konnte mich deshalb tadeln? Stuart, der Anwalt, nicht; ich brauchte nur zu erklären, ich wäre verfolgt worden, hätte keine Möglichkeit zur Flucht gesehen und mich ergeben. Catriona auch nicht; auch ihr gegenüber hatte ich meine Antwort parat: ich hätte nicht ertragen können, daß sie ihres Vaters Leben gefährde. So wäre ich im Handumdrehen alle meine Nöte losgeworden, die mich, im Grunde genommen, ja gar nichts angingen: mit dieser einzigen Geste konnte ich mich aus der Appiner Mordaffäre herausziehen, konnte sämtliche Stuarts und Campbells, Whigs und Tories der Welt abschütteln, für mich allein mein Vermögen genießen und vermehren und einen Teil meiner Jugend der Werbung um Catriona weihen, was doch entschieden eine passendere Beschäftigung war, als gleich einem Dieb gejagt und gehetzt zu werden und die ganzen schrecklichen Entbehrungen einer Flucht mit Alan von neuem auf sich zu nehmen. Anfänglich schämte ich mich meiner Kapitulation nicht; ich war nur ungemein erstaunt, daß mir derartiges nicht schon früher eingefallen war. Dann begann ich den Gründen dieser Sinnesänderung nachzugehen. Ich führte sie auf meine gedrückte Stimmung, diese wieder auf meinen plötzlichen Leichtsinn und letzteren auf die uralte, allgemein menschliche und nur allzu leicht übersehene Sünde des Sichgehenlassens zurück. Sogleich fiel mir der Textein: ›Willst du den Teufel mit Beelzebub vertreiben?‹ Wie, überlegte ich bei mir, durch Weichlichkeit und Wandeln auf dem breiten Pfad der Freude und durch die Reize eines jungen Weibes war ich meinem ganzen Ich untreu geworden und hatte James und Alans Leben aufs Spiel gesetzt. Und jetzt wollte ich als Ausweg den gleichen Pfad wählen? Nein, der Schaden war durch Laschheit geschehen; das Gegenmittel war die Selbstzucht; das verweichlichte Fleisch mußte gekreuzigt werden. Ich erwog, welchen Weg ich am widerwilligsten beschreiten würde; die Antwort lautete: jetzt, ohne Alan zu sehen, den Wald verlassen, um wiederum allein in der Dunkelheit meinem verworrenen und gefährlichen Geschick entgegenzueilen. Ich habe diesen Teil meiner Selbstbetrachtungen um so ausführlicher geschildert, als ich glaube, er könnte jungen Leuten nützlich sein und ihnen als Beispiel dienen. Aber selbst im Kohlbauen liegt (wie man sagt) Vernunft, und auch Ethik und Religion lassen Raum für den gesunden Menschenverstand. Es war dicht vor Alans Stunde, und der Mond war untergegangen. Brach ich jetzt auf, so würden die Spione (die ich doch nicht gut heranpfeifen konnte) mich vielleicht verfehlen und sich statt dessen Alan an die Fersen heften. Blieb ich, so konnte ich wenigstens meinen Freund warnen und dadurch noch sein Leben retten. Ich war bislang dank meiner Nachlässigkeit leichtsinnig genug mit anderer Leute Leben umgesprungen; sie jetzt wiederum durch Nachlässigkeit lediglich unter dem Vorwand der Buße, zu gefährden, war schwerlich vernünftig. Kaum hatte ich mich also erhoben, da sank ich auch schon an meinen Platz zurück; jetzt aber war ich in ganz anderer Verfassung, gleichermaßen erstaunt über meine frühere Schwäche wie froh über meine gegenwärtige Gefaßtheit. Bald danach vernahm ich ein Knacken des Unterholzes. Ich legte mich mit dem Ohr auf die Erde und pfiff ein, zwei Takte von Alans Melodie; eine Antwort kam, nicht minder vorsichtig, und bald rannten wir in der Dunkelheit gegeneinander.
»Bist du's endlich, Davie?« flüsterte er.
»Ich und kein anderer.« »Gott im Himmel, hab ich mich nach dir gesehnt, Bub!« sagte