Nele Deckert

Jaco


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dass er niemals wieder zurück zu seiner Mutter kommen könnte überkam ihn sehr große Trauer.

      Hofleben

      Während der kommenden zwei Jahre gewöhnte sich Jaco langsam an das raue Leben auf dem Hof. Nur an seinen Besitzer konnte er sich nie richtig gewöhnen.

      Eine große Erleichterung dabei war die Anwesenheit von Nell. Die Hündin, mit der grau werdenden Schnauze, lehrte Jaco vieles was er auf dem Hof brauchte.

      Der unerfahrene Jaco ließ sich von Nell zeigen wie man das Futter, welches ihr Besitzer ihnen jeden Tag vorsetzte, ein wenig schmackhafter machen konnte. Meist gab es die Tischreste die ihr Besitzer nicht mehr mochte oder die ungenießbar geworden waren. Nell lehrte ihn die Teile der Futters aus zu sortieren die vergammelt waren, und indem Nell ab und zu eine Löwenzahnblüte auf das Futter legte sah es auch gleich nicht mehr so schlimm aus.

      Nell gab immer auf Jaco Acht, sie informierte ihn wenn ihr Besitzer schlechte Laune hatte, denn sie konnte das regelrecht spüren. Und wenn es so war schickte sie Jaco in die Hundehütte um ihn zu schützen. Denn ihr schlecht gelaunter Besitzer konnte sehr böse werden. Einmal sah Jaco wie er Nell schlug, nur weil sie ein Kaninchen nicht von seinem Grundstück vertrieb. Dabei traf er Nell mit seiner Armbanduhr am Ohr und ein großer Riss entstand. Der Anblick der verletzten und blutenden Nell trieb Jaco die Tränen in die Augen. Nell war eine unglaublich gütige Hündin und sie hatte es nicht verdient so behandelt zu werden.

      Auch die Trauer über den Verlust seiner Hundefamilie überwand Jaco durch Nells Hilfe. Sie forderte ihn immer wieder auf ihr Geschichten aus seiner Kindheit, bei seiner Mutter und den Geschwistern, zu erzählen. Und das tat Jaco auch. Er erzählte von dem schönen Haus mit Garten. Er berichtete von der tollen Zeit in der er mit seinen Geschwistern herum getollt hatte um anschließend am Bauch der Mutter einschlafen zu können. Und er berichtete auch von dem schlimmen Tag als sein neuer Besitzer ihn von der Züchterin abholen kam. Zu Beginn überkam Jaco bei seinen Erzählungen immer große Trauer. Doch mit der Zeit lernte er seine Kindheit als schöne Erinnerung zu nutzen. Und immer wenn es Jaco schlecht ging dachte er an seine Mutter. Diese wundervollen Gedanken halfen ihm dann die Traurigkeit zu überwinden.

      In Gegenzug erzählte Nell Jaco auch oft Geschichten über ihr Leben. So erfuhr Jaco dass sein Besitzer den Hof und Nell einst von einer älteren Dame erworben hatte, für die das abgelegene Haus nicht mehr bewohnbar geworden war. Die Wege zum Einkaufen waren ihr einfach zu weit geworden und durch ihre Krankheit konnte sie nicht mehr in das Dachgeschoss des Hauses gehen weil die Treppen zu steil für ihre wackeligen Beine waren. In Gedanken dachte Jaco öfters einmal an diese Dame, er stellte sich vor wie sie den Hof geliebt haben musste. Wie sie sich im Frühjahr über die Blumen in den Beeten gefreut hatte. Doch nun lebte sie nicht mehr hier und Jacos Besitzer lies zu dass der Hof immer weiter verwilderte.

      Im Laufe der Zeit entwickelte sich eine tiefe Freundschaft zwischen dem jungen Hund und der alten Hündin. Jaco war unendlich dankbar dass Nell sich so für ihn aufopferte. Er wusste er würde sich immer auf Nell verlassen können, denn egal in welcher Lebenslage er sich befand sie wusste immer Rat.

      Mit den Monaten spürte Jaco dass es Nell immer schlechter ging. Sie konnte kaum noch laufen, und sogar das Essen fiel ihr schwer. Jaco überkam tiefe Trauer als er mit ansehen musste wie Nell immer schwächer wurde. Und er beschloss dass es nun an ihm war auf Nell aufzupassen. Er brachte ihr die Essensreste immer bis vor die Hundehütte, er überlies ihr den Schlafplatz in der angenehmsten Ecke ihrer Hütte und er erzählte ihr viele schöne Geschichten. Jaco wusste wie dankbar Nell für all diese Unterstützung war. Er sah es in ihren Augen und darum fiel es ihm auch gar nicht schwer auf so manchen Komfort zu verzichten nur um Nell etwas Gutes zu tun.

      Immer öfter berichtete Nell Jaco nun vom Hundehimmel. Sie hatte damals von ihrem Vater erfahren dass es den Hundehimmel gibt. Ein Ort an dem alle Hunde zusammen leben wie eine große Familie. Dort gibt es keinen Schmerz, kein Hunger und kein Leid. Und was Jaco am aller meisten beeindruckte war das Nell berichtete dass ihr Vater, ein großer starker Wachhund, im Hundehimmel sei. Und von dort aus würde er sie beobachten und immer wenn es ihr schlecht ginge spüre sie dass ihr Vater für sie da ist.

      Der Abschied kam langsam, aber sicher, näher und als Jaco an einem kühlen Frühlingsmorgen aufwachte wusste er dass etwas passiert sein musste. Er versuchte Nell zu wecken, doch sie reagierte nicht. Alles was er tat blieb ergebnislos, er bellte Nell an, er stupste sie mit der Nase, er leckte ihr über das Gesicht aber Nell rührte sich nicht. Als Jaco realisierte das Nell von ihm gegangen war begann er lange und bitter zu weinen. Seine Gedanken kreisten immer wieder darum wie er nur ohne Nell auf diesem schrecklichen Hof leben sollte. Doch dann erinnerte er sich an die Geschichten über den Hundehimmel. Als ihm klar wurde das Nell nun an diesem wunderbaren Ort sein musste freute er sich für sie. Nun würde sie nie wieder Schmerzen haben und auch sonst würde es ihr bestimmt sehr gut gehen. Und dann spürte er das Nell nicht für immer weg gegangen war, dass sie immer vom Himmel aus auf ihn aufpassen würde.

      Unglücklicher Kettenhund

      Der Sommer der nun folgte war heiß. Jaco vertrieb sich die Tage mit schlafen und in den kühleren Nächten begab er sich auf Streifzüge über den Hof. Während dieser Streifzüge hing Jaco sehr oft seinen Erinnerungen nach. Die klare kühle Nachtluft tat ihm gut und die Stille rings um ihn herum verlockte dazu die Gedanken schweifen zu lassen. Er dachte oft an Nell und überlegte sich wie schön sie es nun im Hundehimmel haben möge. Er stellte sich vor wie es wäre wenn seine Geschwister wieder bei ihm sein könnten. Manchmal merkte er überhaupt nicht wie die Zeit verging und wo er überhaupt hin lief.

      Eines Abends führte Jacos Weg dicht unter dem großen Fenster an der Vorderseite des Hauses entlang. Dort wurde er Zeuge eines seltsamen Telefongespräches. Sein Besitzer brüllte in den Hörer: „Meine Schwester hätte sich doch früher überlegen können ob sie für ihren Sohn sorgen kann oder nicht. Weshalb sollte ich mich jetzt um ihn kümmern? Und weshalb sollte ich ihn hier wohnen lassen?“

      Darauf folgte Stille. Jaco vermutete dass sein Besitzer wohl seinem Gesprächspartner zuhörte, der am anderen Ende der Leitung saß. Aber plötzlich ging das Geschrei wieder los: „Es kann doch nicht sein dass ich der einzige noch lebende Verwandte bin. Ich habe schon Jahre lang kein Wort mehr mit meiner Schwester gesprochen, sie wollte nichts mit mir zu tun haben und ich auch nichts mit ihr. Es muss doch jemanden geben der sich um den Jungen kümmern kann! Was ist mit dem Vater?“

      Wieder folgte Schweigen. „ Was? Er ist auch bei dem Verkehrsunfall gestorben. Und sonst? Es gibt doch sicher noch irgendjemanden der den Jungen bei sich aufnimmt. Ich werde es sicherlich nicht sein! Der Junge interessiert mich nicht!“ Jaco hörte noch wie der Hörer auf die Gabel geknallt wurde und sein Besitzer fluchend in dem Haus umher lief.

      Da es keine gute Idee war sich jetzt von seinem Besitzer erwischen zu lassen beschloss Jaco zurück zu seiner Hütte zu gehen. Aber nach allem was er gehört hatte war Jaco sehr durcheinander. Wer sollte auf den Hof kommen? Wen wollte sein Besitzer nicht hier haben? Vielleicht war er ja bald nicht mehr alleine hier!? Lauter Fragen und Ideen schwirrten durch seinen Kopf. Tief in Gedanken versunken sah er nicht dass ein großer rostiger Eimer direkt vor ihm auf dem Weg lag. Er stieß dagegen. Der dumpfe blecherne Schlag der nun folgte riss ihn sofort aus seiner Traumwelt. Durch den Schrecken waren seine Sinne geschärft und seine Muskeln angespannt. Er hörte wie sich sein Besitzers näherte. Er wusste dass dieser nun aus der Türe treten und nachsehen würde was das Geräusch verursacht hat. Darum beschloss Jaco zur Hütte zurück zu laufen. Er wollte nicht in die Nähe seines Besitzers kommen, denn bei schlechter Laune war dieser unberechenbar. Jaco rannte als ob es um sein Leben ginge, doch er war zu langsam. Sein Besitzer sah ihn noch, kurz bevor er hinter der Ecke des Schuppens verschwand.

      In seiner Hütte angekommen verkroch Jaco sich ganz hinten, so dass sein Besitzer nicht an ihn heran kommen konnte. Er hörte wie sich wütende Schritte näherten und sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Dann tastete sein Besitzer mit einer Hand nach Jaco, anschließend folgte ein Fuß der wild in der Hütte herum trat aber irgendwann gab er auf, und Jaco hörte eine fluchende Person die sich entfernte. Zitternd versuchte Jaco seine Gedanken zu ordnen. Wieder überfluteten ihn die Fragen von vorhin.