Dietrich Novak

Gottlos


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draußen weiterunterhalten … So, Oma Hildebrandt, ich schließe dann mal wieder das Fenster, damit Sie keinen Husten bekommen. Und wenn ich wiederkomme, gibt’s ein zweites Frühstück, wie jeden Tag.«

      »Och, den geschmacklosen Quark und die matschige Birne können Sie selber essen …«

      »Sie sehen, unsereins hat es nicht leicht«, sagte Katja und zitierte Valerie hinaus.

      »Glauben Sie bloß nicht den Unsinn, den Ihnen die alte Dame serviert«, sagte sie vor der Tür, »an sich ist sie ganz lieb. Nur manchmal geht etwas die Fantasie mit ihr durch, seit …, nun ja, seit sich nach einem Schlaganfall ihr Geist etwas verwirrt hat. Sie wartet auch täglich auf ihre Tochter, die sie nie hatte.«

      »Dann ist also nichts dran, an den häufig auftretenden Todesfällen?«

      »Bedenken Sie bitte, wo sie sich befinden. Das ist hier kein Kurheim, aus dem man frisch gestärkt entlassen wird. Natürlich sterben hier Menschen, das mussten Sie ja gerade schmerzlich erfahren. Doch die meisten haben ein hohes Alter erreicht. Euthanasie wird hier nicht praktiziert, sonst wären wir schon in Teufels Küche gekommen. In Deutschland versteht man aus gutem Grund damit keinen Spaß. Die Gespenster der Vergangenheit sind noch allgegenwärtig.«

      »Also doch Gespenster. Hat Frau Hildebrandt nicht ganz Unrecht …«

      »Wenn man es so sehen will …«

      »Ich werde dann mal zu meiner Mutter eilen. Die ganzen Formalitäten zu erledigen, ist bestimmt nicht einfach für sie.«

      »Ja, von der Wiege bis zur Bahre Formulare, Formulare. Auch das ist Deutschland.«

      »Die beste Meinung scheinen Sie über ihre Heimat nicht zu haben. Oder sind Sie hier gar nicht geboren worden?«

      »Bingo, meine Kindheit habe ich in Schweden verbracht. Trotzdem würde ich mich inzwischen als Deutsche bezeichnen.«

      »Interessant, wie hält man es in Schweden mit der Sterbehilfe?«

      »Soviel ich weiß, ist dort seit 2010 die passive Sterbehilfe legal, allerdings mit der Bedingung, dass er oder sie die Auskünfte der Ärzte und die Folgen der Entscheidung versteht. Wovon man in einer Einrichtung wie dieser meistens nicht ausgehen kann. Aber wenn es Sie beruhigt, ich halte nichts davon, Gott zu spielen, und behaupte, dass dies auch für meine Kollegen gilt. Ich bin also im richtigen Land und am rechten Ort.«

      Valerie schmunzelte. Ihr gefiel die offene Art der Schwester. Und ihre Erfahrung gab ihr das Gefühl, nicht angelogen worden zu sein.

      »Also, machen Sie es gut. Und lassen sie sich nicht allzu sehr ärgern.«

      »Mit der Zeit bekommt man ein dickes Fell. Die Wenigsten meinen es böse.«

      Schwester Katja verschwand freundlich nickend in einem Nebenraum, und Valerie fragte sich zum Verwaltungsbüro durch. Karen kam gerade aus dem Zimmer und machte ein entnervtes Gesicht. »Ich dachte schon, du kommst nicht mehr, weil wieder ein dringender Fall ruft …«

      »Nein, ausnahmsweise mal nicht. Was sich jeden Moment ändern kann. Hast du alles erfahren, was du wissen wolltest?«

      »Ja, man hat mir das Formular „Anzeige des Todes“ und die darin enthaltene „Todesbescheinigung“ ausgehändigt. Beide dienen der Eintragung im Sterbebuch beim Standesamt und dem Bestattungsunternehmen für die Durchführung der Bestattung. Wir haben natürlich die Wahl, welches Bestattungsinstitut wir beauftragen, aber das Heim arbeitet mit einem zusammen, das sie mir empfohlen haben.«

      »Wahrscheinlich weil sie Prozente bekommen. So läuft das«, sagte Valerie.

      »So sind die hier nicht. Wir bekommen sogar etwas von dem bezahlten Entgelt anteilig zurückerstattet.«

      »Auch das ist gesetzlich geregelt, Mama, du Schaf. Es ist also keine besondere Kulanz. Sei froh, dass Papa keine eigenen Möbel hier hatte. Die müsstest nämlich du kostenpflichtig entsorgen.«

      »Das habe ich schon dem Heimvertrag entnommen. Ganz so blauäugig, wie du glaubst, bin ich denn doch nicht. Ich werde mir das mit dem Bestattungsunternehmen also noch mal überlegen. Trotzdem muss ich nach Hause, um die Sachen für Papa herauszusuchen, die er anhaben soll.«

      »Kein Problem, ich fahre dich. Und lass dir ruhig Zeit mit der Wahl des Institutes. Auf einen Tag kommt es nicht an.«

      »Musst du nicht in deine Dienststelle?«

      »Wenn ich dich heimgebracht habe. Soviel Zeit muss sein. Hat man dir eigentlich gesagt, woran Papa gestorben ist?«

      »Natürlich. Die herbeigerufene Leichenbeschauärztin hat doch den Todesschein ausgestellt. Papa ist ganz normal an Herzversagen gestorben. Seine alte Pumpe wollte einfach nicht mehr.«

      »Das heißt gar nichts. Das wird am meisten bescheinigt. Wichtig ist die Frage, ob es ein natürlicher Tod ist. Es gibt nämlich Medikamente, die den Herztod hervorrufen.«

      »Ich will das nicht hören. Durch deinen Beruf siehst du hinter allem ein Verbrechen. Und schon gar nicht erlaube ich, dass man an Papa herumschnippelt.«

      »Wenn eine natürliche Todesursache bescheinigt wurde, erfolgt keine Obduktion, zu deiner Beruhigung.«

      »Dann hätten wir das ja geklärt. Können wir dann?«

      Auf dem Weg ins Präsidium gingen Valerie viele Gedanken durch den Kopf. Auch hallte noch das Gespräch mit der angeblich etwas meschuggenen alten Frau in ihr nach. Auf Valerie hatte diese auf den ersten Blick einen ganz normalen Eindruck gemacht. Außerdem waren ihr die Bemühungen von Schwester Katja, das Gegenteil zu beweisen, etwas zu eifrig erschienen. Oder sah sie schon Gespenster? Hatte Karen Recht, dass sie hinter allem ein Verbrechen witterte? Auf jeden Fall würde es nichts schaden, das Heim intensiver unter die Lupe zu nehmen, als sie es vor Jahren getan hatte.

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