Alexander Florin

Erfolgreich scheitern


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von Schallplatten. In seinen freien Minuten las er alte Plattenkataloge und fertigte für sich eine Liste mit Platten an, die er auf jeden Fall in seinem Geschäft haben wollte und legte auch Regeln fest, welche Platten er auf keinen Fall aufnehmen wollte. Lange rang er mit sich um eine geeignete Sortierung der Liste. Sollte er sie alphabetisch nach Künstler, Albumtitel, Plattenfirma oder chronologisch nach Erscheinungsdatum sortieren? Wie sollte er mit Platten umgehen, bei denen Künstler und Komponist verschiedene Personen waren, wie mit solchen, die mehrfach von verschiedenen Firmen veröffentlicht wurden, wie mit solchen, die es nachweislich nicht mehr gab, die er aber gern hätte?

      Tom streifte durch die Geschäfte und betrieb detaillierte Angebotsanalyse. Für jedes Schreibgerät, das er im Geschäft sah, füllte er einen umfangreichen Fragebogen aus. Er vermaß alle Stifte, bestimmte die Tintenfarbe, schuf Klassen für die Materialien, recherchierte Hersteller- und Vertriebsfirmen. Nach einigen Monaten hatte er mehrere Tausend Stifte so erfasst und musste die Daten nur in die noch zu entwickelnde Internetplattform eintragen.

      Anna hatte sich zahlreiche Romane gekauft und geliehen, die inhaltlich in etwa dem entsprachen, was sie plante. Sie schrieb von jedem Roman den ersten und letzten Satz ab, um ein Gefühl für gute Anfänge und Enden zu bekommen. Sie rechnete aus, wie viele Wörter jeder Roman enthielt, um sich nicht mit einem zu kurzen Entwurf zu blamieren und analysierte ausführlich die Programme der einzelnen Verlage, um herauszufinden, zu welchem ihr Werk am besten passen würde.

      5. Bleiben Sie unvorhersehbar

      Kreativität benötigt Chaos: inneres und äußeres.

      Sie sind der Chef Ihres Vorhabens. Sie sind der einzige, der darüber alle Gewalt und Befugnisse hat. Sie können damit machen, was Sie wollen. Engen Sie sich daher nicht zu früh ein. Lassen Sie sich Spielraum für spontane Änderungen, mit denen Sie immer wieder verblüffen können. Auch Ihre Arbeitsweise sollte unvorhersehbar sein; schließlich bringen Sie darüber Ihre Kreativität und Spontaneität zum Ausdruck. Als Projektinhaber sind diese zwei Eigenschaften Ihr größtes Kapital, und Sie haben im Alltag nur wenig Gelegenheit, diese zu beweisen. Also nutzen Sie jede Möglichkeit.

      Fangen Sie beispielsweise einfach so mit dem Rauchen an. Oder Sie trinken bereits am frühen Morgen statt des üblichen Kaffee eine Flasche Bier. Oder Sie räumen Ihren Arbeitsplatz um. Oder Sie tragen künftig nur noch Schlips und Krawatte im Alltag. Oder abonnieren Sie eine Zeitung, die Ihrer politischen Meinung komplett zuwider läuft. Oder Sie entwickeln neue Gewohnheiten und gehen jeden Dienstag und Donnerstag fein essen. Oder Sie gehen in einen Swingerclub und entwickeln neue Freundschaften. Oder Sie sortieren Ihre CD-Sammlung nach Farbgebung der Hüllen. Tun Sie auf jeden Fall Dinge, von denen Sie selbst überrascht sind. Denn nur wenn Sie sich selbst überraschen können, gelingt Ihnen das auch bei anderen.

      Der immergleiche Trott Ihrer alten Gewohnheiten ist hochgradig kreativitätshemmend. Daher ist ihre wichtigste Aufgabe, die Kreativität, die Sie mit Ihrer Projektidee bereits bewiesen haben, auch auf Ihren Alltag auszudehnen und dadurch Ihre Kreativität voll zu entfalten. Schließlich gibt es keine Regel, die besagt, dass Kreativität nur in einem geordneten Umfeld existieren kann. Ihre Veränderungen symbolisieren auch Ihnen selbst, dass nun eine neue Phase in Ihrem Leben begonnen hat: Sie haben ein eigenes Vorhaben oder Projekt, das Sie durchziehen wollen. Damit sind Sie schon in der Zielsetzung ein anderer Mensch als zuvor, das sollte auch in allen anderen Aspekten Ihres Lebens deutlich werden.

      Anna zog am Tag, als sie ihre erste Seite schreiben wollte, zum ersten Mal in ihrem Leben einen Rock an. Das lag auch daran, dass all ihre Hosen gerade auf der Wäscheleine zum Trocknen hingen. Anfangs war es ihr ungemütlich und kühl, und sie musste regelmäßig ihre Arbeit unterbrechen, um die Heizung zu prüfen – zu kühl kam es ihr vor. Aber bald hatte sie sich damit arrangiert und nebenbei auch ihre Lieblingsfarbe gewechselt: von einem gedeckten Blau zu grellem Bunt. Sie befürchtete, wenn sie einen heiteren Roman schreiben wollte, würde ihre alte Farbe unbewusst eine trübe Stimmung bewirken, während die leuchtenden Farben doch Frohsinn und Heiterkeit einbringen würden. Da sie über eine Frau, ihre Großmutter, schreiben wollte, war es auch angemessen, nur noch Röcke zu tragen.

      Josef ging die Harmonie mit Mara zunehmend auf den Geist. Je länger er darüber nachdachte, desto gereizter reagierte er, dass Mara und er immer einer Meinung waren. Nie gab es Streit; wenn sie einmal verschiedener Meinung waren, besprachen sie dies auf „neutralem Boden“, in der Weinschänke nebenan; meist waren es nur Missverständnisse. Doch, so frage sich Josef, wie soll ein Vorhaben erfolgreich sein, wenn es nie kreative Differenzen gibt. So begann er, Mara zunehmend zu widersprechen, einfach um etwas Abwechslung und Auseinandersetzung in das Projekt zu bringen, wovon sicherlich die Kreativität profitierte. Mara ihrerseits zog zur Klärung von Streitigkeiten immer häufiger abgelegene „neutrale Böden“ vor, und so trafen sie sich häufig in angesagten Klubs und Diskos. Dort konnte Josef auch ungestört anderen Männern hinterherschauen, da er die Theorie entwickelt hatte, dass eine unterdrückte Bisexualität dem Vorhaben eher abträglich wäre. Allerdings war er sich nicht sicher, ob er eine solche Veranlagung hätte. Also schrie er allabendlich gegen den Diskolärm Mara seine Argumente ins Ohr, während sein Blick suchend umherschweifte.

      Jan beschloss, dass Schallplatten zwar schöne Dinge für seinen Laden sind, aber dass er das Angebot interessanter gestalten müsste. Also nahm er Bücher über Ikebana und Feng Shui ins geplante Sortiment auf. Diese Erweiterung war für ihn nur logisch und konsequent, ebenso dass er nur noch barfuß lief; seine Freunde, die ihn bisher moralisch immer unterstützt hatten, reagierten eher irritiert und deuteten die Zeichen falsch. Während sie ihn versuchten zu überzeugen, wenigstens teilweise sein klischee-asiatisches Verhalten abzustellen, erklärte Jan, dies wäre genau die Haltung, die dafür sorgen würde, dass sie nie ein solch revolutionäres Projekt, wie er es mit seinem Laden plane, umsetzen könnten.

      6. Zweifeln Sie nie an Ihrem Scheitern

      Fester Glaube ist der Weg zum Erfolg.

      Zweifel ebnen den Weg zur Niederlage.

      Wann ist etwas prophezeit und wann herbeigeredet? Diese pseudophilosophische Frage über Ursache und Wirkung von Aussagen braucht Sie nicht zu verunsichern. Seien Sie sich immer gewiss, dass Sie erfolgreich scheitern werden. Diese Gewissheit müssen Sie ganz tief in sich spüren. Diese Gewissheit kann Ihnen niemand abnehmen. Das Wissen um Ihr Scheitern gibt Ihnen die Kraft und Zuversicht, erfolgreich den Weg zu beschreiten und an Ihrem Ziel anzukommen.

      Selbstverständlich wird es Momente geben, in denen Sie befürchten, dass der Erfolg Ihnen doch anheimfallen könnte. Doch diese Momente entsprechen nicht der Realität. Die Realität, die Sie mit Ihrem Projekt formen, entsteht in Ihnen drin. Nur wenn Sie felsenfest und unabweisbar von Ihrem Scheitern überzeugt sind, wird es Ihnen gelingen.

      Lassen Sie sich auch durch anderslautende Meinungen und Prognosen von Ihrer Einschätzung der Lage nicht abbringen. Was können Meinungen und Prognosen schon bedeuten, wenn Sie die Wahrheit in sich spüren? Sie sind der einzige Maßstab, nach dem Ihr Scheitern zu beurteilen ist. Ein Scheitern, das nicht vorgesehen ist, ist nur eine Niederlage – und die einzugestehen, ist so viel schwerer als mit der Gewissheit zu leben, zu planen, zu arbeiten, dass das Scheitern unausweichlich ist und mit unabwendbarer Sicherheit das Ende Ihres Vorhabens bedeuten wird. Deshalb ist das Scheitern von Beginn an fester Bestandteil Ihres Projektes, ja, Ihr Projekt wäre ohne das von Ihnen fest eingeplante Scheitern gar nicht mehr Ihr Projekt, sondern nur ein langweiliges unter vielen erfolgreichen.

      Wie Sie merken, stellt die eigene Einstellung teilweise das größte Problem dar. Dies ist der Bereich, in dem Ihnen niemand helfen kann. Nur Sie selbst sind in der Lage, Ihres Scheiterns sicher zu sein. Wenn andere davon ebenfalls überzeugt sind, hat das geringen Wert, denn diese anderen wollen Sie sowieso nur scheitern sehen. Aber Sie selbst müssen davon überzeugt sein, dass ein erfolgreiches Scheitern genau das ist, was Sie erreichen werden.

      Anna plagten von Anfang an Zweifel daran, ob sie ihrem Ziel gewachsen war. Sie war sich nicht sicher, ob sie tatsächlich zur Romanautorin taugte, ob sie das nötige Durchhaltevermögen hatte, ob ihre Fähigkeiten ausreichten, Charaktere über mehrere Hundert Seiten hinweg mit Leben zu erfüllen.