Joana Goede

Die Allergrößte


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wenn es nötig war. Danach setzte Marius sich an seine Unterrichtsvorbereitung, bis Constanze irgendwann nach Hause kam. Ihre Zeiten waren nicht so klar, da sie meistens nach der Arbeit noch irgendwas erledigte. Marius wusste nicht, woher ihre ganzen Termine kamen. In jedem Fall war es ihr unmöglich, sich am Alltagsleben ihrer Familie zu beteiligen. Sie kam irgendwann an, wenn es ihr passte. Ihre Arbeit in einem Callcenter, wo sie eine Art Teamleiterin war, endete eigentlich um 16.00 Uhr. Manchmal machte sie Überstunden, manchmal besuchte sie noch jemanden, ging zum Sport, Shoppen, zum Friseur. Sie kam selten vor 18.00 Uhr nach Hause. Dann war sie meistens zu geschafft, um am gemeinsamen Abendessen teilzunehmen, verzog sich ins Schlafzimmer oder ins Arbeitszimmer, sagte den Kindern noch irgendwie gute Nacht, sah vielleicht mal einen Film mit Sophie. Das war es dann auch schon. Ansonsten hing alles an Marius, der ja meistens mittags Zuhause war und somit deutlich mehr Zeit hatte als seine Frau. Zumindest sagte sie das. Und es war für sie vollkommen selbstverständlich, dass er alles, was mit den Kindern und dem Haus zu tun hatte, übernahm.

      Marius war am Samstag in der Regel ziemlich erschöpft von der Woche, hatte da jedoch oft noch Mappen durchzusehen oder Tests zu korrigieren. Zusätzlich schwebte der Wocheneinkauf als Damoklesschwert über seinem Kopf, der jedes Mal Stress pur war, sofern Constanze mitging. Das war in letzter Zeit auch seltener geworden.

      Oft hatte sie auch samstags dafür keine Zeit mehr. Sie ging dann mit Sophie ins Kino, während Marius mit Leo einkaufen war. Das ging dann noch. Leo war ziemlich selbstständig und gab wenig Anlass zur Sorge. Er sprang seinem Vater immer öfter helfend zur Seite.

      Jetzt schon zog sich Marius' Magen zusammen, wenn er an den Samstagseinkauf dachte. Er hatte tatsächlich Angst, dass Constanze mit wollte. Es dauerte dann so viel länger. Und meistens gab es irgendwie Streit wegen nichts. Sie kaufte dann auch so viel unnützes Zeug. Zumindest in Marius' Augen war ein Großteil davon total überflüssig. Sie kam an vielen Dingen vorbei, die sie „schon immer“ haben wollte, kaufte Zutaten für Kuchen, die sie dann nicht schaffte, rechtzeitig zu backen. Neulich hatte Leo einen Kuchen gebacken, den Sophie mit in die Schule nehmen sollte, weil Constanze dann plötzlich doch keine Zeit mehr dazu hatte. Der Kuchen hatte etwas merkwürdig ausgesehen, aber zumindest geschmeckt hatte er gut. Und Leo war nicht wenig stolz gewesen.

      Trotzdem hatte Marius sich über diese Sache sehr geärgert. Dass Leo jetzt schon die Aufgaben übernahm, die eigentlich seine Mutter hätte machen müssen, die es ja auch zugesagt hatte.

      Marius nahm einen großen Schluck von dem Kaffee und merkte, dass er sich auf die Zeitung so gar nicht konzentriren konnte. Innerlich regte er sich zu sehr auf. Auf seinem Schreibtisch, den er vom Sofa aus im Nebenzimmer durch die geöffnete Tür sehen konnte, türmte sich eine Deutsch-Klausur. Er wollte sie eigentlich in der nächsten Woche zurückgeben. Doch er bezweifelte, dass er mit der Korrektur am Wochenende fertig werden konnte.

      So warf er die Zeitung beiseite und anstatt noch die morgendliche Ruhe zu genießen, ging er mit seinem Kaffee in sein Arbeitszimmer und nahm den Rotstift zur Hand. Dabei machte sich ein schlechtes Gewissen in ihm breit, dass er nicht gleich Constanze hinterhergegangen war, als sie beleidigt nach oben verschwand. Er wollte eigentlich nicht, dass sie sauer auf ihn war. Andererseits hatte sie dazu ja keinen Grund, zumindest objektiv betrachtet.

      Es war sogar lächerlich.

      Wie konnte Marius, ein erwachsener Mann, ein schlechtes Gewissen haben, weil er seiner Frau keinen Kaffee mitgekocht hatte? Konnte sie sich ihren Kaffee nicht selbst kochen? Natürlich konnte sie das. Es gehörte nur zu Constanzes Selbstbild, dass sie sich mit so etwas nicht abgab. Kaffee kochen, Essen machen, Staubsaugen, den Tisch abräumen. Das war sozusagen unter ihrem Niveau.

      Doch auch wenn Marius an sich davon überzeugt war, im Recht zu sein, wenn er jetzt hier unten saß und korrigierte, blieb ein schlechtes Gefühl im Magen und er wurde immer unruhiger, je länger er nichts von Constanze hörte. Jeden Moment war es möglich, dass sie wütend die Treppe hinunterstampfte und ihn wegen irgendwas anschrie. Ihm vorwarf, dass sie ihm komplett egal war oder ähnliches, dass er sie nicht liebte. Vielleicht kam sie auch erst in ein paar Stunden und richtig gut gelaunt herunter, man wusste es eben einfach nicht.

      Marius zwang sich zur Ruhe. Er trank seinen Kaffee und versuchte, die Klausuren zu korrigieren. Sicher übersah er Fehler. Aber es ging nicht anders, er musste es ja machen. Jetzt gerade, wo er die Gelegenheit dazu hatte. Er wusste ja nicht, ob sich heute noch eine andere ergeben würde.

      Etwa eine Stunde hatte Marius damit zugebracht, Krakelschriften zu entziffern und zu überlegen, ob man da wirklich noch eine Drei geben konnte, da hörte er ganz leise, schnelle Schritte auf der Treppe. Das war Sophie. Marius atmete auf. Sophie war nicht so anstrengend, wenn sie nicht gerade fast erstickte und Panik bekam. Sie schlich auch wirklich nur in die Küche, holte sich ein Glas laktosefreie Milch aus dem Kühlschrank und kam dann zu Marius ins Arbeitszimmer.

      „Willst du nichts frühstücken?“, fragte Marius, aber Sophie schüttelte den Kopf, in ihrem lila Schlafanzug in der Tür lehnend, und wollte wissen: „Kann ich fernsehen?“

      „Ja, aber leise. Ich muss hier arbeiten“, meinte Marius und schon saß Sophie auf dem Sofa und suchte sich ein Programm aus. Marius musste sie nicht einmal mehr ermahnen, den Ton auch wirklich leise zu stellen. Es schien ihr wieder gut zu gehen, sie hatte nicht übermäßig müde gewirkt.

      Marius stierte nachdenklich auf einen der Klausurbögen und konnte die Handschrift des Schülers kaum lesen. Kleine, dunkelblaue Buchstaben klebten aneinander, verschwammen, drehten sich in alle Richtungen. Die Konzentration nahm weiter ab. Marius erkannte bald kaum mehr den Inhalt von dem, was er da las. Ein fehlendes Komma oder ein Rechtschreibfehler hätte er erstrecht übersehen müssen. Quasi blind saß er an seinem Schreibtisch, lauschte auf die leisen Stimmen aus dem Fernseher im Wohnzimmer und driftete gedanklich ab, ohne es zu merken.

      Er hörte plötzlich laute Stimmen von oben.

      Offenbar war Leo auch wach und hatte oben seine Mutter getroffen. Es kam immer öfter vor, dass beide sich stritten. Leo nahm Marius in Schutz, Constanze konnte das nicht ausstehen. Und schon lagen sie sich wieder in den Haaren. Marius vernahm bereits Schritte auf der Treppe, die von Leo stammen mussten. Gleich darauf stand dieser mit unglücklichem Gesicht im Arbeitszimmer. „Sie hat schlechte Laune“, meinte Leo.

      „Ja, habe ich gehört“, brummte Marius, „was war denn?“

      „Nichts“, sagte Leo, lehnte sich in den Türrahmen und schaute seinen Vater lange an, „sie wollte ins Bad und ich war drin. Da hat sie sich aufgeregt. Mir gesagt, dass ich immer so ewig im Bad bin und sie sich dann nicht schminken kann. Ich war keine zehn Minuten drin. Sie steht da doch selbst mindestens eine Stunde.“

      „Ja, da hast du natürlich recht“, pflichtete ihm Marius bei.

      „Nervig“, bemerkte Leo und Marius wollte ihn kurz zurechtweisen, dass man so etwas doch über seine Mutter nicht sagen sollte, allerdings fiel ihm kein wirklicher Grund ein, warum er solche Äußerungen unterbinden sollte. Leo hatte ja ein Recht, sich aufzuregen.

      „Sie ist jetzt duschen“, meinte Leo, „das kann richtig lange dauern.“

      „Ja, vergiss das Bad“, bestätigte Marius und Leo seufzte tief.

      „Sie braucht ein eigenes“, schlug Leo vor und Marius lächelte über diesen Vorschlag.

      „Dafür haben wir leider keinen Platz, aber an sich ist es eine gute Idee.“

      Leo schlurfte nach dem kurzen Gespräch mit seinem Vater in Küche und holte sich eine Packung Cornflakes aus dem Schrank. Marius senkte seinen Blick wieder in seine Arbeiten, Sophie sah weiter fern. Und oben hörte man die Dusche.

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