Didier Desmerveilles

Stieg Larsson lebt!


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im Dienste der Wahrheit«, sagte er ruhig.

      »Das ist ein Fall für die Polizei!«

      »Polizei! Du weißt doch genauso gut wie ich, dass das Ein­zige, was die wirklich in­teressiert, die Verteilung von Knöllchen an jeden deutschen Parksünder ist. Glaubst du, die machen ihren Rücken für so'ne uralte Geschichte krumm, die zig Jahre zu­rückliegt? Das ist Zusatz­arbeit für Unter­bezahlte.«

      »Und wenn das nun ein Mord gewesen ist? Dann ist das ein Fall für die Mordkom­mission.«

      »Das ist mein Fall«, widersprach Tim so energisch, dass das erst mal ein Schweigen gebot. Tim merkte, dass er etwas übers Ziel hinausgeschossen war und versuchte abzu­schwä­chen: »Zunächst ist das mal mein Fall. Ich hab' schließlich die Dinger da ge­funden.«

      »Du hast vielleicht Humor«, fand Freya ihre Sprache wie­der, »knallst mir hier 'n paar Menschen­knochen auf'n Tisch und sagst: ›Das ist mein Fall!‹ Wir sind hier doch nicht bei Quincy, das ist blutiger Ernst!«

      »O.k., o.k., du hast recht. Ich werde die Polizei benachrich­tigen. Aber auf ein oder zwei Tage wird es ja wohl nicht ankommen, nachdem die Leiche dort jahrzehn­telang verbuddelt gewesen ist.«

      »Die Leiche? Hast du denn noch mehr ...?«

      »Nein. Ich weiß auch nicht, warum ich das gesagt hab'. Ich war zwar gestern mit dem Hund noch mal da und hab' stun­denlang das Gelände durchwühlt, aber es war nichts weiter zu finden. Demnach kann man gar nicht wissen, ob wirk­lich jemand ge­storben ist ...«

      »Aber mit an Sicherheit grenzender Wahrschein­lichkeit. Oder hast du jemals davon gehört, dass jemand sich 'n Arm abhackt, um ihn danach im Wald zu vergraben? Ich hab' in meiner medizinischen Praxis schon 'ne Menge abnormer Dinge erlebt, aber das –«

      »Abnorm ist die Sache allemal«, unterbrach Tim sie, »und ich träum’ nachts auch schon schlecht davon.«

      Freya rückte ihre Brille zurecht und sah sich einige der Knochen gründlicher an. »Sieht in der Tat so aus, als wäre am Oberarm gesägt worden, diese Spuren ... Mal über­legen ... Was hältst du von folgender Hypothese: Je­mand wurde ermordet und, um Spuren zu verwischen, um die Identi­fikation zu erschweren, hat sein Mörder ihn zer­sägt. Uh!« Die Vorstellung ließ ihr einen Schauer in die Glieder fahren. »Und die einzelnen Leichenteile wurden dann an verschiedenen Orten verscharrt. Das wäre ja nicht das erste Mal. Von so einem Fall hab' ich schon häufiger gehört. Wenn es nicht so makaber wäre – es erscheint zu­mindest logisch.«

      »Die Logik eines Mörders«, stimmte Tim zu.

      »Mann, wo bin ich da reingeraten? Gruselig. Mit dir erlebt man wirklich die un­glaublichsten Dinge, Timmi. Ich glaub', ich mach' uns noch 'n Tee. Was hast du ei­gentlich gemacht seit damals? Noch mehr so Sachen?«

      Tim fiel darauf keine Antwort ein, mit der er hätte zufrieden sein können. Schweigen breitete sich aus. Freya legte nach: »Wie ist es dir ergangen?«

      Gern sprach er nicht über sich selbst und über sein Leben. Ja, seit dem Studium war Zeit vergangen. Und in dieser Zeit hatte Tim sich, wenn er ehrlich war, zurückentwi­ckelt. So musste man das wohl nennen. Ein Sonderling war er ja immer gewesen, aber doch immerhin einer mit Humor, schlagfertig sogar und mit wacher Lust am Gespräch. Und jetzt?

      Seit knapp drei Jahren arbeitete er als Lektor für einen Ver­lag, der vorwiegend Bild­bände herausgab. Den Großteil seiner Arbeit konnte er zu Hause am Computer erle­digen. Nur zwei, drei Mal pro Woche fuhr er nach Hamburg, um vor Ort Detailfra­gen zu klären, Absprachen mit Kollegen zu treffen, Anweisungen zu geben, an Sit­zungen und Bespre­chungen teilzunehmen, mit Autoren und Fotografen zu re­den, teure Ferngespräche zu führen oder teure Farblaserausd­rucke machen zu lassen, eben all die Dinge, für die ein Büro in der Großstadt von Nutzen ist. Tim liebte die Stadt nicht. Und er liebte die Menschen nicht. »Nichts flößt mir weniger Vertrauen ein als Menschen«, hatte er in der Anfangszeit einem Kollegen gestanden, dem er offen­sichtlich sympathisch war. Das beruhte allerdings nicht auf Gegenseitigkeit. »Hast du Lust mit rüber zum Döner-La­den?«, hatte der einmal sogar gefragt. Einige aus dem Ver­lag aßen dort regelmäßig zu Mittag. Aha, so'n sozial Kompetenter, hatte Tim gedacht, der Menschen gern heim­lich analysierte. Er hatte auf seine Tupperdose mit Schwarzbrot-Stullen verwiesen, verlegen gelächelt und dankend abgelehnt. Er rechnete sich selbst, und zwar völlig ungehemmt, der Spezies seltsamer Einsiedler zu. Irgendetw­as hielt ihn von der Menschheit fern, irgendeine unbestimmte Angst. Schon als Kind hatte er den Alm-Öhi aus »Heidi« bewundert, vor allem in der Lebensphase vor Heidi. Tatsächlich erinnerte seine Lebensweise von ferne an das literarische Vorbild: Zurückgezogen lebte er in einem renovierten Bauernhaus. Statt der Berge gab es den Kanal. Die nächste Siedlung, eine Art »Dörfli«, war fünf Kilometer entfernt und ihr wichtigstes Gebäude ein Altenheim. Man kann schwerlich umhin, aus all diesen Beobachtungen zu folgern: Tim brauchte keinen Menschen auf der Welt. Und vielleicht war es auch keine Übertreibung zu sagen: Andere Menschen waren ihm total egal. Aber sollte er das alles seiner alten Studienkollegin anvertrauen? Was würde sie davon halten?

      Tim antwortet: »Ach, man leibt und lebt.« Und erst als der Satz schon ausgesprochen im Raum stand, bemerkte er, dass er die Reihenfolge der beiden Verben durcheinan­der gebracht hatte. Das mit dem Verlag erwähnte er auch noch kurz. Dann nahm er einen Schluck Tee und schlürfte dabei leicht.

      Als die Dämmerung einsetzte, verabschiedete sich Tim ebenso plötzlich, wie er mit dem Telefonanruf nach so lan­ger Zeit aus der Versenkung aufgetaucht war. Dieser Tim Rasmussen war doch ein unergründlicher Kerl. Aber Freya mochte ihn, sie mochte seine unterkühlte, scharfsinnige und bisweilen ironisch-spitzfindige Art. Und sie hatte gleich ge­wusst, dass sie ihm seine Bitte nicht würde abschlagen kön­nen. Sie versprach ihm also, sich um die erwünschte Analy­se zu bemühen. »Sobald die Er­gebnisse vorliegen, ruf' ich dich an. Deine Nummer hab' ich noch irgendwo. Immer noch das einsame, alte Bauernhaus zwischen Kiel und Rendsburg, das du von dei­nem Opa geerbt hast?«

      »Inzwischen mit komplett renovierten Wohnräumen. Man­che Träume werden eben doch Wirklichkeit.«

      »Wusste gar nicht, dass man beim Verlag so gut verdient.«

      »Man braucht im Leben immer etwas Glück. Neben allem Können. Bis dann also, ich verlass' mich auf dich.«

      »Und ich verlass' mich darauf, dass du die Polizei infor­mierst. Du hast es verspro­chen.«

      »Klar.«

      Allein in der Teeküche ihrer Station zurückgeblieben, nipp­te Freya an ih­rem kalten Tee und knabberte den letzten Keks auf, während sie mit der anderen Hand an ihrem hüb­schen Zopf drehte und mit wachen Augen auf Menschen­knochen starrte.

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