Holger Lang

Der letzte Tag: Teil 2


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      "... dem All. Zwei Stationen wollen Sie. Eine davon ist fertig. Und wenn Sie mich noch einmal unterbrechen, Herr PRÄSIDENT, dann werde ich dem Volk die Dokumente zukommen lassen, die ich in meinem Tresor habe. Selbst wenn Sie den finden, werden Sie nicht geschützt sein. Es gibt massenhaft Kopien, Daniel Hohlfelder. Möchten Sie das?"

      Er zuckt zurück. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber es weicht noch mehr Farbe aus seinem Gesicht. Dass ein Mensch so blass werden kann, hätte ich nie gedacht.

      "Na, sehen Sie." Ich gebe mich betont fröhlich. "Wo war ich? Äh, ach ja, Raumstationen. Aber unser schnellstes Schiff, die Space-Explorer, ist beschädigt. Und wieso? Weil wir keine guten Ersatzteile erhalten. Dann passiert es, dass Besatzungen sterben, dass Triebwerke den Geist aufgeben."

      "Was benötigen Sie?"

      Ich nenne diesem Wurm eine Firma, die die guten Ersatzteile produziert. Die Explorer muss bald wieder einsatzfähig sein, sonst sind wir von den Männern da oben abgeschnitten. Und sie von uns. Das würde sämtliche Pläne zerstören.

      "Sie kriegen Ihre Teile. Und entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbrochen habe." Es ist wunderbar, den Präsidenten so kleinlaut zu sehen. Es gibt mir jedes Mal ein Gefühl der Macht und Überlegenheit. Ich genieße es, aber heute will ich es mal nicht übertreiben. Das wäre womöglich noch kontraproduktiv. So belasse ich es dabei und ärgere ihn nicht weiter. Aber eine kleine Mahnung kann ich nicht unterdrücken.

      "Weiterhin auf gute Zusammenarbeit, Präsident. Und falls Sie auf den Gedanken kommen, mich unschädlich machen zu wollen, vergessen Sie's gleich wieder. Ich besitze Ihre Listen und Tagebücher." Letzteres sage ich etwas lauter.

      "Bitte, seien Sie still!", sagt er tonlos. Er zittert beinahe vor Angst. Wunderbar. So gefällt er mir und könnte mir fast sympathisch sein.

      "Und übrigens, am Sonntag wird bei Minister Gröll ein kleines Treffen mit ein paar Freunden sein. Die Genehmigung wird dann vorliegen und auch nicht zurückgezogen, ist das klar?"

      Er wird noch blasser, nickt aber, wendet sich ab und verlässt die Landeplattform. Ich weiß, dass ich die guten Teile bekommen werde. Dafür habe ich mich schließlich entsprechend eingesetzt und gekämpft. Wobei ich nicht so viel machen musste dafür. Das Wissen hat ja bereits gereicht, dass ich alles erreichen kann, was ich möchte. Ich werde Gröll informieren müssen, denn es wirkt, als ob Hohlfelder irgendetwas ahnt.

       * * *

      Ich liege auf meinem Bett. Schmerzen.

      "Ihnen wird nichts geschehen", hat der Schiffsführer gesagt. Und jetzt? Jetzt liege ich hier und würde am liebsten tot sein. Es ist nahezu unerträglich und viel mehr Schmerzmittel kann ich nicht bekommen.

      Es klopft.

      Ein Arzt betritt den Raum. Hoffentlich gibt er mir noch irgendwas, damit die Schmerzen leichter werden.

      "Doktor Schmidt", stellt er sich vor.

      ‚Allerweltsname', denke ich.

      Ich versuche, mich aufzusetzen. Vorsichtig drückt er mich in die Kissen zurück.

      "Bleiben Sie ruhig liegen. Ich wollte nur kurz nach Ihnen sehen, und eventuell gleich eine Untersuchung bei Ihnen vornehmen. Wir müssen wissen, ob Sie nicht mehr Schäden davongetragen haben, als bisher angenommen."

      ‚Netter Mann', denke ich. ‚Angenehmes Aussehen, gewinnendes Lächeln, angenehme Stimme. Ein Mann, zu dem man Vertrauen haben muss.'

      "Für diese Untersuchung", fährt er fort, "ist eine kurzfristige Betäubung notwendig. Wir wollen ja nicht, dass Sie Schmerzen haben, Herr Hagen."

      Mit einem Hinweis, dass er gleich zurück sei, verlässt er den Raum.

      Doktor Schmidt schließt leise die Tür hinter sich.

      "Ein geeigneter Fall?", fragt ein Regierungsbeamter.

      "Ja, würde ich sagen. Wenn das gelingt, wird man uns wenigstens nicht vorwerfen können, wir würden keine humanen Methoden anwenden. Es wird ein interessantes Experiment." Er reibt sich die Hände.

      "Bereiten Sie den Patienten vor! Die Lautsprecheranlage ist in Betrieb, sodass wir mit ihm kommunizieren können?"

      "Ja, natürlich."

      "Beginnen Sie."

      Schmidt betritt den Raum.

      Ich liege immer noch auf dem Bett.

      "So, wir beginnen mit der Untersuchung. Wie gesagt, Sie werden nichts spüren."

      Doktor Schmidt hält eine Spritze in der Hand. Meine Hoffnung auf Erleichterung steigt.

      "Ich werde das direkt in Ihre Infusion geben, dann müssen wir nicht extra stechen. Tut nicht weh."

      ‚Ich bin nicht fünf und kann Schmerzen durchaus ertragen!', denke ich. Die Flüssigkeit wird in meinen Körper geleitet.

      "Sehen Sie, ist schon vorbei. Aber lassen Sie mich kurz neugierig sein. ... Ich bewundere Sie, Herr Hagen. Vor Ihrer Astronautenausbildung ... was haben Sie da beruflich gemacht?"

      "Ich studiere an der Universität München Medizin", sage ich. Dann fällt mir auf, was ich gesagt habe. "Entschuldigung. Vor der Astronautenausbildung ... ich wollte schon immer in den Weltraum. Ich bin immer mit der letzten U-Bahn zurückgefahren. Sie haben die Bahnhöfe abgesperrt. Und ich habe ..."

      Ich unterbreche mich.

      ‚Was rede ich für Unsinn', denke ich. Das Gesicht des Arztes verschwimmt. Er schweigt. Dann ist es verschwunden.

      Ich erreiche den Bahnsteig nicht mehr rechtzeitig. Er wird abgesperrt.

      "Die letzte Bahn fällt heute aus", weist mich ein Beamter der Verkehrsgesellschaft zurecht. "Sie können da nicht rein."

      Wir schreiben das Jahr 2000. Ich studiere Medizin, bin aber in einer anderen Stadt. Erst morgen werde ich zurück nach München fahren.

      "Aber wie soll ich jetzt nach Hause kommen?"

      "Ihr Problem."

      Er wendet sich ab. Reinigungskolonnen reinigen die Bahnsteige. Die nächste Bahn wird erst wieder um 05:00 Uhr fahren.

      Wieso sperren die die Bahnsteige immer ab? Da ist doch nichts zu holen. Gut, die Leute können runterfallen. Aber das können sie tagsüber auch.

      Unfälle sind ja an der Tagesordnung. Ich bin neugierig.

      "Entschuldigung, ich muss da nochmal rein. Wir haben da nicht gründlich gereinigt." Wortlos öffnet ein anderer Bahnbediensteter die Absperrung. Schnell schlüpfe ich mit dem Mann vom Reinigungspersonal durch die Absperrung. Schnell rase ich die Treppen zum Bahnsteig hinab.

      Hinter mir höre ich, wie wieder abgesperrt wird. ‚Wie komme ich da raus? Ach was', denke ich weiter. ‚Der nächste Zug kommt irgendwann, und dann müssen sie ja oben wieder aufmachen. Dann werde ich unter den Ersten sein.'

      Die Müdigkeit, die mich den ganzen Abend geplagt hat, ist verschwunden.

      Ich stehe hinter einer Säule auf dem Bahnsteig.

      Der Mann vom Reinigungspersonal klettert auf die Schienen.

      ‚Was macht er da?' Das Jagdfieber packt mich. Ich muss hinterher.

      Ich verfolge ihn, er scheint nichts zu bemerken.

      Im Tunnel gibt es eine Tür.

      ‚Wartungsräume', denke ich. Er öffnet sie mit einem Schlüssel. Die Tür geht auf. Er tritt hindurch. Die Tür fällt zu. Gerade schaffe ich es noch, hindurchzuschlüpfen.

      Ein langer Gang. Weiße Wände, Fliesenboden. Links und rechts Türen. Viele stehen offen. Der Mann vom Reinigungspersonal verschwindet hinter einer Tür. Umkleideraum, steht an der Tür. Als er zwei Minuten später wieder heraustritt, trägt er einen Arztkittel. "Was geht hier vor?"

      Er sieht mich immer noch nicht.

      ‚Mein