Karl Edding

Am Ende der Nacht


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und auch von Kollegen nur Freundlichkeit entgegengebracht bekam – bis auf eine Ausnahme: Es gab noch einen weiteren Kundenberater, mit dem er einfach nicht auf einen grünen Zweig kam. Andreas Abelt war so ziemlich das größte Charakterschwein, das es gab. Dummerweise war er auch der Sohn des Bankfilialleiters und damit so etwas wie unantastbar. Andreas hatte nach seinem verpatzten Abitur vor drei Jahren in der Bank angefangen und zwar ganz offensichtlich nur, weil sein Vater es so gewollt hatte. Die Arbeit machte ihm nicht im geringsten Spaß, meistens sah man ihn nur mit griesgrämiger Miene durch die Bank stapfen und viele Kunden lästerten hinter vorgehaltener Hand über ihn. Ja, so was bekam man in einer Bank auch mit. Erst neulich hatte eine ältere Dame Daniel angesprochen.

      "Also, dieser junge Herr Abelt", hatte sie gesagt. "Dem möchte ich mein Geld nicht anvertrauen. Der sieht doch aus, als wäre er kriminell." Er hatte daraufhin nur höflich gelächelt und behauptet, dass es ihm nicht zustände, hinter dem Rücken eines Kollegen über ihn zu lästern. Die Dame hatte ihn nur wissend angelächelt und genickt. Ihr war klar, dass Andreas auch unter den Kollegen nicht sonderlich beliebt war.

      Umso überraschter war Daniel, Andreas nun im Personalbereich von anderen Beratern umringt zu sehen, die ihm alle freundlich die Hand schüttelten.

      "Hey, Andreas!", rief er. "Hast du heute Geburtstag oder ein gutes Geschäft abgeschlossen, oder warum wirst du hier so von allen abgedrückt?"

      "Oh, Daniel, schön, dass du da bist." Schlagartig war es ruhig geworden. Erst jetzt bemerkte Daniel den seltsamen Ausdruck in den Gesichtern seiner Kollegen. Sie wirkten irgendwie unglücklich. Daniel sah sich um und fand erst in der hintersten Reihe, die Person, die er gesucht hatte. Anette, seine beste Freundin hier auf der Arbeit, stand dort mit gesenktem Kopf und vermied es tunlichst, ihn anzusehen. Was war hier los?

      "Also, was wird hier gefeiert?"

      "Ich wurde zum Abteilungsleiter befördert", meinte Andreas und grinste dabei übers ganze Gesicht – und Daniel war sich sicher, dass es eindeutig hämisch war. Doch anstatt irgendetwas zu erwidern, griff er nur hinter sich, bis er die Lehne eines Stuhls fand, diesen an sich zog und sich darauf fallen ließ. Seine Beine hätten sonst unter ihm nachgegeben und das Letzte, das er wollte, war, sich vor diesem Aufschneider Schwäche zu zeigen.

      "Glückwunsch", presste er dann doch noch heraus, obwohl es ihn furchtbar viel Beherrschung kostete.

      "Dankeschön. Falls du Lust hast, ich gebe heute Abend eine kleine Feier im La Oste, du kannst ja gerne kommen. So, dann werde ich mal mein Büro beziehen. Man sieht sich." Damit verschwand Andreas federnden Schrittes aus dem Personalraum und nach und nach folgten ihm die anderen, wobei sie aber alle einen mitleidigen Blick auf Daniel warfen, der inzwischen wie ein Häufchen Elend auf dem Stuhl zusammengesunken war. Als letztes war noch Anette da, die sich zu ihm herunterbeugte und ihm die Hand auf die Schulter legte.

      "Alles okay bei dir?"

      "Ja", meinte er, doch natürlich wussten sie beide, dass das nicht stimmte.

      "Das ist doch eine Frechheit", begann sich Anette dann zu ereifern. "Wie kann der Chef nur so einen Idioten befördern? Niemand kann ihn leiden und er kann nichts!"

      "Er ist sein Sohn."

      "Na und? Er ist eine absolute Katastrophe, sowohl menschlich als auch im Beruf. Wir sollten dem Chef mal die Meinung sagen!"

      "Nein."

      "Aber …"

      "Ich sollte das tun." Daniel sprang auf. Der Schock über die Beförderung von Andreas hatte seine Enttäuschung darüber gedämpft, doch jetzt schlug sie in Wut um. Er hätte befördert werden sollen. Er arbeitete seit fast acht Jahren bei dieser Bank und hätte es verdient gehabt.

      "Vielleicht solltest du dich dazu erst einmal sammeln und …"

      "Nein, Anette." Daniel stürmte zur Tür. "Ich werde diesem Abelt jetzt mal ordentlich die Meinung geigen."

      "Sei nicht zu ausfallend, hörst du?"

      Aber Daniel hörte es nicht mehr. Wütend, sogar fast rasend vor Zorn, stürmte er zum Aufzug, denn das Treppenhaus war gerade gesperrt. Ansonsten hätte ihn die Bewegung vielleicht wieder zur Vernunft gebracht, so aber kam er immer mehr in Fahrt. In der dritten Etage angekommen stürmte er zum Büro des Direktors. Dessen Sekretärin war noch nicht anwesend; Daniel wusste das, denn sie kam immer erst eine Stunde nach ihm zur Bank und ebenfalls durch die Empfangshalle. So konnte er ungebremst die Tür zum Büro aufreißen und seinen Chef, der gerade mit dem Rücken zu ihm ein Telefonat führte, anbrüllen.

      "Was soll der Scheiß?!"

      Der Bankdirektor drehte sich erstaunt und missbilligend zu ihm herum, sprach ein hastiges "Ich rufe gleich zurück" in das Telefon und sagte dann mit ruhiger Stimme zu Daniel, so als ob er dessen rüde Ausdrucksweise überhört hätte: "Herr Zeus, was kann ich für Sie tun?"

      "Das fragen Sie noch? Wollen Sie mich jetzt völlig verarschen?"

      "Also ich weiß …"

      "Seit verfickten acht Jahren arbeite ich in dieser verfickten Bank, bin jeden Tag pünktlich, war fast nie krank und mache einen verflucht guten Job. Und dann so eine Scheiße!"

      "Herr Zeus, mäßigen Sie Ihre Ausdrucksweise!", wies ihn der Chef zurecht. Über seiner Stirn hatte sich schon eine tiefe Zornesfalte gebildet.

      "Nein, das werde ich nicht! Ich hatte Sie immer für kompetent und loyal gehalten, aber ich sehe, dass Sie genauso charakterlos wie Ihr nichtsnutziger Sohn sind."

      "Machen Sie mal halblang, Mann!", rief der Abelt nun. "Ich kann ja verstehen, dass Ihnen meine Entscheidung vielleicht missfällt, aber sie geschieht zum Wohle der Bank."

      "Sind Sie noch ganz bei Trost?! Ihr Sohn ist eine Katastrophe für diese Bank. Er hält sich schon immer für was Besseres, behandelt uns alle wie den letzten Dreck und verkauft den Kunden Aktienpakete von Firmen, die ihm dafür Geld gezahlt haben."

      "Unterlassen Sie solche haltlosen Anschuldigungen!"

      "Ich werde es höchstens unterlassen, noch weiter darüber zu schweigen. Diese Vetternwirtschaft ist ja zum Kotzen. Ihr Sohn ist so gut wie ganz alleine dafür verantwortlich, dass unsere Bank seit drei Jahren eine immer niedrigere Kundenzufriedenheit aufweist, weil Sie ihm ständig neue Aufgaben zuweisen. Lassen Sie diese Experimente."

      "Zeus, noch ein Wort und Sie können Ihre Sachen packen."

      "Na schön. In einem solchen Umfeld kann ich sowieso nicht mehr arbeiten. Aber glauben Sie mir ja nicht, dass Sie so leicht damit davonkommen. Ich werde einen Anwalt einschalten."

      "Tun Sie, was Sie nicht lassen können. Aber fürs Erste: Verschwinden Sie aus meinem Büro, Sie Irrer!"

      "Nichts lieber als das!" Wütend stürmte Daniel wieder zum Aufzug zurück. Als der lange auf sich warten ließ, hämmerte er lange mit den Fäusten gegen die Tür, bis sein Chef hinter ihm stand.

      "Kriegen Sie sich mal wieder ein, Mann! Vielleicht sollten Sie erst einmal eine Nacht über Ihr Verhalten schlafen. Reden wir morgen weiter darüber."

      "Ich habe Ihnen nichts mehr zu sagen."

      "Wenn Sie meinen. Aber falls Ihnen doch noch was einfällt, können Sie jederzeit wieder vorbeikommen. Ich verliere Sie ungern als Angestellten."

      Daniel trat in den Aufzug, der endlich in seiner Etage angekommen war. "Das haben Sie schon längst." Als sich die Türen schlossen, atmete er tief durch und drückte den untersten Knopf. Tiefgarage. Er hatte momentan keine Lust, irgendeinem seiner Kollegen und schon gar nicht Anette über den Weg zu laufen. Eigentlich wusste er überhaupt nicht, was er gerade wollte. So schnell, wie seine Wut gekommen war, war sie nun auch schon wieder verraucht. Genau in solchen Momenten brauchte er normalerweise Becki an seiner Seite, die ihn wieder auf den Boden zurückholte. Doch diesmal war sie nicht da gewesen und so langsam befürchtete Daniel, dass er großen Mist gebaut hatte.

      Aber beim Gedanken daran, dass dieses Arschloch von Abelt (also Andreas) von nun an sein Vorgesetzter sein würde, wurde ihm übel. Er hatte diesen verwöhnten Schnösel von Anfang an