B. Born

Killerhitze


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"Gleich sind wir da."

      Ich mag große Frauen. Katja fummelt ewig an diesem Türschloß rum. Kein Wunder, der Schlüssel ist völlig verbogen. In dem Raum hinter der Tür fällt sie mir in die Arme. So besonders groß ist sie gar nicht. Ihre Haare jucken in der Nase. Sie sind lang und lockig, natürlich lockig.

      "Meine Vulkanforschungsstation", sagt sie und läßt mich los.

      Ich sehe mich um.

      Auf den Regalen seltsame kleine Geräte. Umgebaute, zweckentfremdete Kaffeemaschinen, normale Kaffeemaschinen, arrangierte Reagenzgläser, die in neuer Formation wahrscheinlich irgendeine Funktion erfüllen. Und jede Menge Gestein, eingefärbtes oder auch nicht eingefärbtes, buntes und erdfarbenes. Photographien, die wissenschaftlich oder historisch wirken. Pläne, akribisch, fein gezeichnet. Unmengen kleiner, erstarrter Sandhäufchen. Ein Modell, das den Potsdamer Platz darstellen soll. Einen Potsdamer Platz ohne Mercedes Benz und Sony, mit Kratern und Rissen.

      "Ich habe nachgewiesen", sagt Katja, "ich habe den aktiven Vulkanismus unter Berlin nachgewiesen."

      Sie ist nicht nur bekifft, sie ist auch betrunken. Ich muß grinsen. Mich trifft ein fester Blick, ihr ist es verdammt ernst, mit diesem Vulkankram. Ruppig steckt sie ein paar Stecker in Steckdosen. Mit einem Schlag fängt das Ganze an zu leben. Völlig phantastisch. Überall kleine Explosionen. Rote, grüne, gelbe Flüssigkeiten beginnen zu kochen und spritzen aus verschiedenen Trichtern an die Ateliersdecke. Alles um uns herum bebt und köchelt. Es ist wirklich erstaunlich, aber ich finde nicht richtigen Worte für diese Arbeit und für das, was dahinter steckt. Katja ist verrückt. Und ziemlich beeindruckend.

      Es fängt an zu dämmern. Das Licht der aufgehenden Sonne dringt durch die vielen kleinen quadratischen Fensterscheiben, die bis hoch zur Decke reichen. Das Licht ist milchig. Wir sehen auf den Osthafen Spree. Das Wasser berührt fast die unteren Scheiben. Auch das ist phantastisch. Ich vergesse das Köcheln. Am liebsten würde ich das Saxophon auspacken und was spielen.

      Katja seufzt. "Das sehen alle am liebsten." Sie meint den Ausblick. Ich will was sagen. Sie winkt ab. "Macht nichts, bin ich schon gewohnt."

      Dann trinkt sie Kaffee und Sekt und ich Bier. Das Bier vertreibt einen Anflug von Kater. Aus einer Compaktanlage dröhnt "Jazzradio Berlin" auf Mittelwelle. Der Klang ist dumpf, fast blechern. Die Musik ist gut. Cool Jazz. Über dem Wasser wird es immer heller, alles wird rot. Ich glaube fast an die Vulkane mitten in Berlin, unter Berlin. Es wär jedenfalls romantisch, wenn da welche wären. Und auch so ist es romantisch.

      Katja verschwindet aufs Klo, vermutlich kotzen. Wundert mich überhaupt nicht. Mir gehts gut. Sie kommt wieder und möchte in den Arm genommen werden. Wir küssen uns ein bißchen. Sie schläft ein. Ich lege eine Decke über sie. Dann gehe ich wieder an diesen rätselhaften Maschinen vorbei. Ich drehe mich noch einmal um, drehe mich um mich selbst. Atme tief. Trete hinaus, ins Licht. Die Luft ist frisch. Mein Körper torkelt etwas. Ich lasse ihn torkeln, zwinge ihn zu nichts. Radele los. Rosa habe ich völlig vergessen.

      Ein klarer Sommermorgen.

      Sonne. Das Fenster ist offen. Der Nachmittag ist warm. Ein paar Schlucke Mineralwasser aus der Flasche und ein paar Seiten in einem Buch. Nein, doch nicht, nicht lesen. Die Sonnenstrahlen spielen mit dem Staub im Zimmer. Aufwinde. Ein paar Fliegen schwirren hektisch unter der Deckenlampe durcheinander. Mein Kopf. Mein Kopf im Spiegel. Frühstück. Nicht ganz da. Aber gut geht es mir, sehr gut sogar. Nahrungsaufnahme. Ein Kind schreit, nur kurz. Irgendwo lauter Heavy Metal - eine unvergängliche, ewig langweilige Musik. Heißgeliebt von irgendjemandem. Kohlenhändler schleppen Briketts über den Hof. Jetzt schon.

      Heute morgen hatte ich einen Platten auf dem Nachhauseweg, natürlich am Hinterrad. Wenigstens passierte es vor dem Haus, in dem wir den Band-Übungsraum haben, so daß ich das Saxophon dort abstellen konnte. Es wog irgendwie schwer mit meinem betrunkenen Kopf. Ich muß es holen, es will gespielt werden. Mir sind Katja, die Spree und tausend Melodien im Kopf. Neue Melodien sind für Nachbarn schwer zu ertragen.

      Rechts der Kanal, links ein Spielplatz mit Kindern. Der Kanal ist fast tot, die Kinder etwas zu lebendig. Es stinkt. Von links nach Hundepisse und von rechts nach Fisch, Krebsen und Entenkot. Ein Kahn pumpt Sauerstoff in das modrige Wasser. Schleimige Blasen quirlen durch die Algen. Den Entenkot frißt keiner, die Fische sind tot und die Krebse haben auch keine Lust mehr, sie würden sicher abwandern, wenn da nicht die steilen Betonmauern wären. Und es stinkt jämmerlich nach Jauche. Ich atme tief durch, stelle mir vor, Sauerstoff zu atmen. Fühle mich ausgezeichnet.

      Die letzten zwei Straßen sind immer zu weit. Da steht mein Fahrrad. Natürlich, ich habe das Flickzeug vergessen. Na gut. Dann eben morgen. Oh Lord, won't ya buy me a Mercedes Benz.

      Im Haus ist es kühler. Automatische Handgriffe. Der Geruch von Rattengift und Rattendreck. Das elektrische Licht verdunkelt für eine Sekunde meinen Blick. Die Kellertreppe runter. Wieso steht die Tür offen? Sie steht offen! Sie ist verbeult. Aufgebrochen! Mit Gewalt, Brachialgewalt!

      Ich weiß schon alles.

      Absoluter Stillstand - minus 270 Grad. Nebel. Fetzen. Bilder. Das Regal - leer. Das Saxophon - weg.

      Nichts. Die Dämmwände schlucken jedes Geräusch. Die Stelle im Regal bleibt leer. Nur das Saxophon ist weg. Sonst ist alles da. Scheinbar. Vielleicht. Stand hier noch ein Verstärker? Nein, den hat letzte Woche jemand abgeholt. Und sonst? Alles da. Nur mich hat es getroffen. Warum? Kalter Schweiß überall. Irgendetwas fräst sich in meinen Brustkorb. Stumpf und spitz zugleich. Alles ist wie sonst. Nichts ist mehr wie sonst.

      Die Polizei kommt. Erst die in Uniform und im Streifenwagen, dann die Kripo im Opel. Ein Mann, eine Frau, beide in Jeansjacke, beide mit Westen drüber, die irgendwie kugelsicher aussehen. Spurensicherung. Es dauert ewig. Fast eine Stunde staksen sie durch den Raum, messen was an der Tür, blasen Graphitstaub in die Gegend, schütteln den Kopf, finden mal was zu rauh oder zu glatt. Das Ergebnis: Kein einziger Fingerabdruck. Diagnose: schwerer Einbruch, verübt mittels Wagenheber und Brecheisen. Ein paar Fragen nach dem Preis, der Seriennummer, der Versicherung, einem Verdacht, einem Motiv, der Nachbarschaft. Der Stift kratzt, kritzelt irgendetwas, nicht sehr lange. Ergebnis: Keine Versicherung, also keine Kohle, und wahrscheinlich keine Chance, das Instrument je wiederzusehen. "Das ist sicher schon in einer anderen Stadt, auf dem Flohmarkt in München vielleicht", resümiert die Frau. "Suchen sie die Büsche in der Umgebung ab", rät der Kerl.

      Der Nachbar aus dem ersten Stock borgt mir einen Hammer. Ich schlage auf die Stahltür ein, bis sie wieder ins Schloß paßt. Das dauert lange und macht einen Höllenkrach. Das Ding in meinem Brustkorb bohrt sich tiefer und tiefer. Lebst du noch, lebst du noch, oder bist du schon fertig wie die anderen an der Wand. Eine Katastrophe. Ich schlage auch noch, als es nicht mehr nötig ist, schlage auf den Schädel der Diebe ein, des Diebes, oder was auch immer.

      Wut. Wut im Bauch, in den Händen und Zehen.

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