Jules Verne

Jules Verne: Die Reise zum Mittelpunkt der Erde


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interessiert. Und wahrlich, ich wagte nicht einmal ein Wort zu sagen, aus Besorgnis, mein Oheim möge in den ersten freudigen Umarmungen mich ersticken. Aber es war doch dringend geworden, zu antworten.

      »Ja, dieser Schlüssel! ... Zufällig! ...

      – Was sagst Du? rief er in unbeschreiblicher Gemütsbewegung.

      – Hier, sagte ich, und hielt ihm das Blatt Papier hin, worauf ich geschrieben hatte, lesen Sie.

      – Aber das bedeutet nichts! erwiderte er, indem er das Blatt zerknitterte.

      – Nichts«, und fing an, den Anfang zu lesen, aber vom Ende an ...

      Ich hatte meine Phrase noch nicht fertig gelesen, als der Professor einen Schrei, mehr noch, ein wahres Gebrüll hören ließ! Es war seinem Geist ein Licht aufgegangen. Er war ganz umgewandelt.

      »Ach! sinnreicher Saknussemm! rief er aus, Du hattest also anfangs Deine Phrase umgekehrt geschrieben?«

      Und er fiel über das Papier her, mit trübem Auge, bewegter Stimme, und las das Dokument vollständig vom letzten Buchstaben aufwärts bis zum ersten.

      Es lautete also:

      In Sneffels Yoculis craterem kem delibat umbra Scartaris Julii intra calendas descende, audax viator, et terrestre centrum attinges. Kod feci.

      Arne Saknussemm.

      Was in gut Deutsch sich so übersetzen lässt:

      Steig hinab in den Krater des Sneffels Yocul, welchen der Schatten des Skartaris vor dem ersten Juli liebkoset, kühner Wanderer, und Du wirst zum Mittelpunkt der Erde gelangen. Das hab ich vollbracht.

      Arne Saknussemm.

      Als mein Oheim dies gelesen, hüpfte er, als habe er unversehens eine Flasche Leydener getrunken. Vor Freude, Überzeugung und Kühnheit war er prachtvoll. Er ging hin und her, fasste seinen Kopf mit beiden Händen, rückte die Stühle, legte seine Bücher auf einander, spielte – kaum glaublich – Ball mit seinen kostbaren Klappersteinen, schlug mit der Faust hierhin, mit der Hand dorthin. Endlich wurden seine Nerven ruhiger und er sank erschöpft in seinen Lehnstuhl.

      »Wieviel Uhr ist's doch? fragte er nach einer kleinen Weile.

      – Drei Uhr, erwiderte ich.

      – Höre! Mein Essen war bald vorüber. Ich habe Hunger zum Umfallen. Zu Tische. Hernach ...

      – Hernach ...

      – Wirst Du meinen Koffer packen.

      – Gut, rief ich.

      – Und den Deinigen!« erwiderte der unbarmherzige Professor beim Eintritt in das Speisezimmer.

      Sechstes Kapitel – Das Zentrum der Erde

      BEI DIESEN Worten lief mir ein Schauder über den ganzen Körper. Doch nahm ich mich zusammen. Ich entschloss mich sogar, mich wacker zu halten. Wissenschaftliche Gründe allein konnten den Professor Lidenbrock abhalten. Nun gab's deren, und zwar gewichtige, gegen eine solche Reise.

      Nach dem Mittelpunkt der Erde zu reisen! welche Torheit! Ich sparte meine Einwendungen für den günstigen Moment auf und machte mich an's Essen.

      Wie fluchte mein Oheim, als er den Tisch nicht gedeckt sah. Alles klärte sich auf. Die gute Martha bekam wieder ihre Freiheit, eilte auf den Markt und rührte sich dergestalt, dass nach einer Stunde mein Hunger gestillt war und das Bewusstsein der Lage mir wieder kam.

      Während der Mahlzeit war mein Oheim fast lustig; er ließ Scherze hören, die bei einem Gelehrten nie sehr gefährlich sind. Nach dem Dessert winkte er mir, ihm in sein Kabinett zu folgen.

      Ich gehorchte. Er setzte sich an's eine Ende des Tisches, ich an's andere.

      »Axel, sagte er mit ziemlich sanfter Stimme, Du bist ein sehr gescheiter Junge; Du hast mir da einen wackeren Dienst geleistet, als ich des Ringens müde schon den Gedanken aufgeben wollte. Wohin wäre ich geraten? Niemand kann das wissen! Ich werde Dir's niemals vergessen, und Du wirst an dem Ruhm, den wir erlangen werden, Deinen Anteil haben.

      – Nun, dacht ich, ist er guter Laune; da ist's Zeit über den Ruhm zu disputieren.

      – Vor Allem, fuhr mein Oheim fort, empfehle ich Dir völliges Geheimnis, verstehst Du mich? Es fehlt in der Gelehrtenwelt nicht an Neidischen, und es würden Viele die Reise unternehmen wollen, die bis zu unserer Rückkehr nichts merken sollen.

      – Meinen Sie, sagte ich, die Zahl solcher Verwegenen sei so groß?

      – Ganz gewiss! Wer würde sich besinnen, solch einen Ruhm zu gewinnen? Wäre dies Dokument bekannt, so würde ein ganzes Heer von Geologen hineilen, Arne Saknussemm's Spur zu verfolgen.

      – Davon bin ich aber gar nicht überzeugt, lieber Oheim, denn die Echtheit des Dokuments ist durch nichts erwiesen.

      – Wie? und das Buch, worin wir's gefunden haben!

      – Gut! Ich gebe zu, dass Saknussemm diese Zeilen geschrieben hat, aber folgt daraus, dass er wirklich die Reise vorgenommen hat, und kann nicht das alte Pergament eine Fopperei enthalten?«

      Es war mir fast leid, dies letztere etwas kecke Wort herausgesagt zu haben. Der Professor runzelte die Stirn, und ich fürchtete Schlimmes für die Fortsetzung dieser Unterhaltung. Zum Glück hatte es nichts zu bedeuten. Mein strenger Genosse erwiderte mit leichtem Lächeln:

      »Das werden wir sehen.

      – Ah! sagte ich etwas verdutzt; aber erlauben Sie mir vorzubringen, was sich alles über das Dokument sagen lässt.

      – Rede, lieber Junge, geniere Dich nicht. Ich lasse Dir alle Freiheit Deine Meinung zu sagen. Du bist nun nicht mehr mein Neffe, sondern mein College. Also vorwärts.

      – Nun, so will ich Sie erst fragen, was sind diese Yokul, Sneffels und Scartaris, wovon ich nie ein Wort habe reden hören?

      – Das ist ganz leicht. Ich habe just vor Kurzem von meinem Freunde August Petermann in Gotha eine Karte bekommen, die mir gerade zu rechter Zeit kam. Nimm den dreißigsten Atlas im zweiten Fach der großen Bibliothek, Reihe Z, Brett 4.«

      Ich stand auf und fand in Gemäßheit dieser genauen Angaben rasch den begehrten Atlas. Mein Oheim schlug ihn auf und sagte:

      »Hier ist eine der besten Karten von Island, die Handerson'sche; ich glaube, die wird uns alle Schwierigkeiten lösen.«.

      Ich beugte mich über die Karte.

      »Sieh diese aus Vulkanen bestehende Insel, sagte der Professor, und merke, dass sie alle mit dem Namen Yokul bezeichnet sind. Dies Wort bedeutet im Isländischen 'Gletscher', und unter dem hohen Breitegrad Islands geschehen die meisten vulkanischen Ausbrüche durch die Eisdecke.

      – Gut, erwiderte ich, aber was ist dann Sneffels?« Ich hoffte, er wisse diese Frage nicht zu beantworten. Wie irrte ich mich! Mein Oheim fuhr fort:

      »Folge mir auf die westliche Küste Islands. Siehst Du seine Hauptstadt Reykjawik? Ja. Gut. Fahre über die unzähligen Fjorde dieser zerrissenen Seeküsten, und halte etwas unter dem fünfundsechzigsten Breitegrad an. Was siehst Du da?

      – Eine Art Halbinsel, gleich einem abgenagten Knochen.

      – Die Vergleichung ist richtig, lieber Junge; jetzt, siehst Du nichts auf dieser Halbinsel?

      – Ja, einen Berg, der aus dem Meer emporgewachsen scheint.

      – Gut! Dieser Snäfields Jöcul ist der Sneffels.

      – Der Snäfields Jöcul?

      – Der ist's, ein fünftausend Fuß hoher Berg, einer der merkwürdigsten auf der Insel, und gewiss der berühmteste der ganzen Welt, wenn sein Krater den Eingang zum Zentrum der Erde bildet.

      – Aber das ist unmöglich! rief ich mit Achselzucken, und gegen eine solche Annahme mich sträubend.

      – Unmöglich! erwiderte der Professor Lidenbrock mit